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Abschiedsrede für den
Kammervorsitzenden

Leider ist es so im Leben, daß man manchmal erst dann, wenn man etwas herzugeben hat, den wahren Wert erkennt.

Nicht, daß wir Beisitzer und Reste der GS 27 bisher nicht Ihren Wert erkannt hätten, Herr Bertram, aber vieles ist doch in den vergangenen Jahren Gewohnheit und Alltag geworden.

Heute endet nun unsere gemeinsame Kreuzfahrt durch fremde Schicksale, Verirrungen und Abarten unserer Mitmenschen. Gern hätten wir sie mit Ihnen fortgesetzt.

Mit Ihnen verlieren wir einen Kollegen, der gradlinig, standfest und berechenbar ist, weil er über feste Wertvorstellungen verfügt. Sie haben Ihre Meinungen, die Sie - wie kein zweiter - in treffende Worte gießen können, und Kritik nie unter der Decke gehalten, sondern sie offen kundgetan, auch wenn - bzw. oder gerade dann - es nicht "political correct" war. Ihre Sprache war immer überaus plastisch, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob ein Gespräch in der Kantine geführt wurde, ein Aufsatz in der NJW zu verfassen oder ein Urteil zu begründen war.

Ein Beispiel für Ihre Ausdruckskunst:

Sie schrieben mir einmal in eine dienstliche Beurteilung, ich sei kein "Fliegenbein-zähler". Ich habe damals eine Zeitlang darüber nachgedacht, was das denn sei und ob dies für einen Richter wohl gut oder schlecht sei.

Ich weiß es zwar bis heute nicht; finde aber den Ausdruck sehr anschaulich. Sollte damit jemand gemeint sein, der sich auf das Wesentliche konzentriert, so trifft dies sicherlich auch auf Sie zu. Wir haben uns nie darüber streiten müssen, ob in einem schriftlichen Urteil diese oder jene Schönheitskorrektur besser sei. Für sie steht immer der sachliche Inhalt im Vordergrund, was für einen "Meister der Worte" nicht ohne weiteres selbstverständlich ist.

Sie haben uns stets viel Vertrauen entgegengebracht und waren uns und anderen gegenüber stets fair und tolerant. Dafür vielen Dank.

Verständnis und Menschlichkeit sind es gewesen, die unsere Zusammenarbeit so überaus angenehm gestaltet haben.

Da ist jedoch noch etwas, und zwar etwas ganz Entscheidendes:

Ihr - oft hintergründiger - Humor!

Gerade dieser hat oft den Umgang mit anderen, insbesondere mit schwierigen Prozeßbeteiligten, erleichtert und Verfahren beschleunigt.

Ich erinnere mich z.B. an Ihre schlagfertige Reaktion auf die Beschwerde eines Verteidigers, der sich mit den Worten: "Herr Vorsitzender, die Staatsanwältin grinst mich an!" an Sie gewandt hatte und dem sie entgegneten: "Herr M., sehen sie mich an, ich grinse nicht!". Selbst der als schlagfertig bekannte Verteidiger war - jedenfalls für einige Momente - perplex und rang nach Luft.

Zugegeben, es gab auch Fälle von unfreiwilligem Humor:

Da war z.B. ein Kunde namens Underberg, dessen Namen Ihnen offenbar in der Hitze des Gefechts einer Hauptverhandlung entfallen war. Vorausschauend hatten Sie sich jedoch eine Eselsbrücke gebaut. Ich kenne sie nicht, sie mag "Magenbitter" oder so ähnlich gewesen sein, jedenfalls folgte die Frage: "Herr Bommerlunder, wollen Sie sich einlassen?"

Zu erwähnen ist ferner ihre musikalische Ader:

So gab es vor nicht allzu langer Zeit einen Prozeß gegen einen amerikanischen Rechtsradikalen, in dem ein "Ohrenschein" einzunehmen war. Das Abhören der Kassetten förderte u.a. Marschmusik ans Tageslicht, die Ihnen offenbar aus ihren Jugendtagen nicht ganz unbekannt war. Automatisch fuhren Ihre Finger im Takt auf dem Tresen auf und ab, und die Melodie wurde - natürlich dezent - mitgesummt. Dies ging solange gut, bis Ihnen die zarten Ellenbogen Ihrer Beisitzerinnen, Frau Reuß und Frau Bolle-Steinbeck, beide gerichtsbekannte Ignoranten auf dem Gebiet der Marschmusik, gar nicht so sanft links und rechts in die Rippen fuhren und dem musikalischen Treiben ein jähes Ende bereiteten. Zu schätzen gewußt haben wir u.a. Ihre große Fürsorge:

Jammerte jemand der Beisitzer, er werde mit diesem oder jenem nicht fertig, so kam prompt die knappe Antwort: "Geben Sie her. Ich mache das!" Die Fürsorge bezog sich natürlich nicht nur auf uns, sondern auch auf andere Prozeßbeteiligte. Kein Zeuge oder Angeklagter mußte fürchten, seine Privat- oder gar Intimsphäre in der Öffentlichkeit ausbreiten zu müssen. Der Wachtmeister wurde vorher gebeten, das Schild "Öffentlichkeit ist ausgeschlossen" vor die Tür zu hängen. Wenn unverfängliche Dinge erörtert werden sollten, riefen Sie ihm zu: "Drehen Sie das Schild um - wir verhandeln für ein paar Sekunden öffentlich!" Das ging auch solange gut, bis jemand feststellte, das das Schild im Saal 237 zwei bedruckte Seiten hat. Auf der Rückseite stand: "Die Sitzung ist nicht öffentlich!" An dem Unterschied zwischen der Vorder- und Rückseite haben wir lange gerätselt. Möglicherweise muß man Jurist sein, um das zu verstehen.

Ich will nicht verschweigen, daß diese Fürsorge manchmal für uns und andere durchaus von Nachteil sein konnte.

Zeugen, die zum Termin, der ihnen zugedacht war, nicht kommen konnten oder wollten, durften ihn mehr oder weniger selbst bestimmen. Das führte dazu, daß mein Wecker manchmal schon um vier Uhr morgens klingelte.

Fürsorge aber auch gegenüber unserem Arbeitgeber, dem sie sehr viel Geld gespart haben. Noch zu Zeiten, in denen es der Stadt noch finanziell gut ging und von "Justiz 2000" keine Rede war, war die Papierverschwendung Ihnen ein Graus. So haben Sie nach verläßlichen Angaben der Justizbehörde im Laufe der Jahre der Stadt 21.213,--DM dadurch erspart, indem Sie einseitig beschriebenes Papier - wie Einladungen zum Bierabend, Stellenausschreibungen, Verwerfungsbeschlüsse des BGH sowie Todesanzeigen aufhoben. Bei passender Gelegenheit wurden diese Papiere dann auf ihrer Rückseite mit Verfügungen oder Beschlüssen versehen und zu Aktenbestandteilen gemacht. Ihr Verdienst um die Stadtfinanzen wäre noch viel größer gewesen, wenn nicht Frau Preisler in der Geschäftsstelle gewesen wäre. Diese war - aus nicht mehr zu ermittelnden Gründen - der Meinung, Ihr Kampf gegen Papierverschwendung gehe entschieden zu weit. So nahm sie, wenn ihr z.B. der Text auf der Todesanzeige nicht zusagte, eine noch jungfräuliche DIN A 4-Seite und klebte diese auf den Verblichenen. Der Einsparungseffekt hielt sich daher leider in Grenzen.

Jedoch müssen wir auch Kritik anmelden: Sie sind nämlich verdammt unordentlich. Zum Beweise dafür benenne ich den Leiter unserer Geschäftsstelle Herrn Bahlau. Oft suchte er verzweifelt Aktenbestandteile, die wie vom Erdboden verschwunden schienen. Seine Lage aber besserte sich sofort, als er hinter Ihr Geheimnis kam: Sie pflegten nämlich Dinge, die Sie nicht gleich zuordnen konnten, in eine bestimmte Akte zu heften: Eine rote Akte, die der Name "Musekamp" zierte. War es der Name, der Sie inspirierte? Wir sind leider nie dahinter gekommen.

Diese Geschichten und Anekdoten machen eins ganz deutlich:

Sie sind nicht eine Person, die beliebig durch eine andere ersetzt werden kann. Ihr Weggang hinterläßt ganz sicher eine große Lücke - bei uns, Ihren Kollegen aus der GS 27, und in der gesamten Hamburger Justiz.

Wir hoffen, Sie schauen so oft wie möglich bei uns herein, wenn Sie in der Nähe des Sievekingplatzes sind, und daß Sie weiterhin Ihre Stimme in der MHR und anderen Publikationen erheben werden.

Wolfgang Backen