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 Schelten und
Sichschelten-Lassen
MHR 2/ 95

Die DRiZ hatte das 5. Heft des Jahres mit den Ziffern

"1933 . 1945 . 1945"

überschrieben und hat zu diesem Thema Erinnerns- und Bedenkenswertes zusammengestellt. Meine Zustimmung im allgemeinen heißt nicht, daß ich schlechthin alles für gelungen und richtig halte. Diese Einschränkung gilt z.B. auch für Teile des Aufsatzes der Verfassungsgerichtspräsidentin Prof. Dr. Jutta Limbach:

"Der 8. Mai 1945:
Das Ende der NS-Diktatur"
(DRiZ 1995, 167).

Zu ihm habe ich der Redaktion der DRiZ geschrieben:

"Richterinnen und Richter werden sich gefallen lassen müssen, als reaktionär, weltfremd und geschichtsvergessen gescholten zu werden", meint die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts (DRiZ 1995, 167 ff./170 r.Sp./). Sie sagt es allerdings im Konditional. "... Fehlt es hier ..., dann ...!", heißt es vorwurfs- oder sorgenvoll, drohend oder resigniert. Welches sind nun die Voraussetzungen, unter denen man sich schelten lassen muß oder verständlicherweise beschimpft wird? Das bleibt ziemlich dunkel:

Daß unser Verhältnis zur Vergangenheit "von Wahrheitsliebe getragen" sein sollte, ist ein goldener Satz, und daß zu den zahlreichen "Herausforderungen" unserer Gegenwart auch antisemitische und ausländerfeindliche Gewalttaten zählen, stimmt leider nur zu sehr. Die nunmehr "erforderliche Aufmerksamkeit" aber: was ist die und worin erweist sie sich?

Man kann die verbreitete Milde der Jugendgerichte ja gern kritisieren, aber man höre doch, bitte, endlich auf damit, deshalb das angeblich "blinde rechte Auge" der Justiz zu bemühen und all' die verstaubten Klischees herbeizukramen, die selbst in den Medien wohl durchweg einer realistischer gewordenen Berichterstattung Platz gemacht haben.

Worauf die Autorin mit ihrer "verengten Rechtsprechung zur Volksverhetzung" anspielt, erläutert sie nicht. Meint sie den Karlsruher Nachbarn, den zu belehren das Bundesverfassungsgericht nach dem ersten Deckert-Urteil des BGH vom 15. März 1994 einen ziemlich untauglichen Versuch unternommen zu haben scheint, oder die nach ihrem Geschmack übertrieben skrupelhaften Tatgerichte; oder möchte sie den Gesetzgeber zu weiteren einschlägigen Novellen ermuntern?

Es geht der Präsidentin aber offenbar kaum um einen Sachverhalt, der genau und im einzelnen entfaltet werden soll und beredet werden kann: Indem sie (DRiZ a.a.O. S. 170) in nur einer knappen Spalte viermal die Volkswut, die Medien also, beruft ("geharnischte öffentliche Proteste ... empörte Öffentlichkeit ... berechtigte Empörung ... berechtigter Volkszorn"), läßt sie ein - vermutlich resignierendes - Fazit unüberhörbar anklingen: Wer eine so schlechte Presse hat wie diese Justiz, kann daran nicht unschuldig sein; aber letztlich kommt es darauf gar nicht an, weil öffentliche Kritik ein Sturm ist, in dem das Segel der Justiz nun einmal richtig hängen muß. ...

Letztlich findet nur ein altes Problem hier seine erneute Aktualisierung. Über das oft fruchtbare, zuweilen aber auch prekäre Verhältnis zwischen Justiz und Medien ist immer wieder Tinte vergossen worden, jüngst anläßlich der soviel beredeten Deckert-Entscheidungen in Mannheim und Karlsruhe, die auch bei Frau Limbach letztlich ins Zentrum von Klage und Anklage rücken. Vielleicht sollte man sich - gerade als Jurist - daran erinnern, daß es sachkundige und auf ihr Berufsethos bedachte Journalisten gewesen sind, die ihren Kollegen einiges von der überschäumenden Hysterie, nicht nur der Märztage 1994, auszureden versucht und Genauigkeit angeraten haben.

Inzwischen ist viel Wasser die Elbe hinabgeflossen; auch die Reden um den 8. Mai sind verklungen; man kann prüfen und sichten, was Substanz hatte und geistiger Gewinn bleibt, und was nur geredet worden ist. Allzuvieles, was den Tag überdauert, wird kaum zu finden sein. In der Deutschen Richterzeitung vom Mai 1995 steht immerhin einiges verzeichnet, das für die Zeitgeschichte -gerade für unsere berufsständische Chronik - bewahrens- und für uns bedenkenswert bleibt. Der Aufsatz der Verfassungsgerichts-präsidentin gehört dazu leider nicht."