Anmerkung zu Joachim Wagner:
Wer für die Zeitung schreibt, muß "Komplexität reduzieren" (schlichter gesagt: vereinfachen), sonst ermüdet er seine Leser und überfordert ihr Sitzfleisch. Geht der Autor damit jedoch zu weit, versimpelt er die Welt gar zu herzhaft, dann bleibt von der Wirklichkeit wenig oder nichts übrig, dann wird sie ersetzt durch Vorurteile oder irreale Alternativen, dann wird sie bei lebendigem Leib hineingezwängt in ein Prokrustesbett, in dem sie zerrenkt, gestaucht und bis zur Unkenntlichkeit deformiert wird. Die Story mag dabei an Süffigkeit gewinnen, aber ihr innerer Wert, ihr Informationsgehalt verdampft.
Es ist keine wirkliche Justiz - weder eine zum Anfassen noch ein anderer Aggregatzustand derselben -, die Joachim Wagner im ZEIT-DOSSIER vorführt, sondern ein janusköpfiges Zwitterwesen - schwarzer Altherrengriesgram und Frühlingsblick, beides in einem. Da die Elemente des ebenso abscheuweckenden wie hoffnungsgeschwängerten Berichts zu gut dreiviertel rund um den Sievekingplatz aufgelesen zu sein scheinen, entbehrt die Lektüre für Hamburger "Zunftgenossen" gleichwohl nicht eines gewissen Reizes.
Ich will nun weder den Autor noch seine zahlreichen Interviewpartner (oder -opfer!) hier loben oder schulmeistern, zumal ich die Zusammenhänge nicht kenne, aus denen die Perlenschnüre einzelner Sentenzen herausgezogen worden sind.
Nur eines soll angemerkt werden:
"Generationenkonflikt" ist ein nicht nur
schickes, sondern auch sachlich
wichtiges, zuweilen bedrängendes und vertrackt kompliziertes Thema.
Die sozialwissenschaftliche und sonstige Literatur darüber füllt
Schränke. Es gibt den Konflikt, wie jeder weiß, ja in der Tat;
er ist allenthalben greifbar, in Familien, Bildungsstätten, Parteien,
Gewerkschaften usw. In der Justiz etwa nicht? Eine rhetorische Frage -
denn wie könnte es anders sein! Deshalb bringen Allgemeinheiten und
bloße Stereotype über Junge und Alte nichts - außer Langeweile.
Nur eine genaue Rede über den Ort der Handlung (hier: die Justiz)
und die unterscheidbaren Altersgruppen, die sich dort - miteinander, gegeneinander,
nebeneinander - artikulieren, führt über das Niveau sattsam bekannter
Schlagworte hinaus. Eine deutliche Analyse empirischer Befunde vorweg,
ein paar offene Worte über leitende Wertvorstellungen dazu (beides
vielleicht verwoben, aber nicht zum Einheitsbrei verrührt!) - und
der Autor hätte Wissenswertes über die Justiz zu Papier bringen
können.
Stattdessen tritt im DOSSIER gerade bei der Präsentation zweier Generationstypen die Schlichtheit des Strickmusters kraß zutage: Da sind die Alten (Älteren; nicht mehr ganz Jungen?), über deren bornierten Starrsinn der Leser nur den Kopf schütteln kann, deren philisterhaft-feiges Karrierestreben er verachten muß und deren selbstbezogen-bequeme Berufsauffassung ("ihr Interesse erschöpft sich im ‘Bausparen, Fernsehen und Langlaufen’") keinerlei Respekt verdient. Aber es gibt - Gott sei’s gedankt! - auch die jungen "Reformrichter", die endlich frischen Wind in den Stall bringen und nun die ersten sind, die wirklich und ernstlich über ihre richterliche Verantwortung nachdenken, ihre soziale Rolle begreifen und - wenn Anlaß dazu sich bietet - für Demokratie, Fortschritt und Recht auf die Straße gehen, während die Alt-Etablierten (fest verhüllt in ihre unauffälligen, mausgrauen Anzüge) verständnislos und angstvoll in den geheiligten Hallen des Hanseatischen Oberlandesgerichts beisammenhocken und gemeinsam Palandt lesen oder (da sie nun einmal dem entsprechend reaktionären Herrenclub angehören) sich in das Studium der DRiZ flüchten.
War dies eine bösartige Karrikatur des ZEIT-DOSSIERS? Keineswegs - umgekehrt sitzt der Schuh am Fuß: Es ist Joachim Wagner, der die Wirklichkeit veralbert, und zwar so ungehemmt, daß ich zweifle, ob sich überhaupt ein junger Kollege finden ließe - mag er mit Justitia auch noch so bitter hadern -, dem es gefällt, mit so peinlicher Penetranz zur "Vorhut einer jungen Richtergeneration mit eigenem Profil- und Sendungsbewußtsein" etc. pp über die "alten Säcke" emporgejubelt zu werden.
Der Fischzug durch den Sievekingteich - was hat er dem Autor nicht alles ins Netz getrieben: Forsche und nachdenkliche, platte und launige, einfältige und geistvolle, ernste und alberne Sprüche und Anmerkungen hat er einsammeln können. Nichts dagegen! Für ein oder zwei spitze Glossen hätte sich daraus schon Honig saugen lassen. Aber Wagner steigt mit seiner Fracht auf die ideologische Rutsche. Eine nach Urhebern und Inhalten ganz diffuse und heterogene Sentenzmasse muß auf Biegen oder Brechen in die Zwangsjacke: Jugendfortschritt hier - Greisenstarrsinn dort gepreßt werden ..... Da steht es endlich, das fabelhafte Fabelwesen, grell und bunt bemalt und beklebt mit Sprüchen - aufgefischten, angelesenen und selbstverfaßten. Letztlich und endlich erfährt man zwar nichts über die Justiz, doch genug über des Autors eigene "Vorverständnisse" (wie man heute so dezent zu sagen pflegt).
Aber seien wir gerecht: Zuweilen sind verunglückte Geistesprodukte in der Wirkung fruchtbarer als gelungene. Ich würde eine seriöse Problemanalyse sicherlich mit Interesse und Nutzen gelesen, sie dann aber irgendwelchen einschlägigen Papieren einverleibt und die Angelegenheit nach acht Wochen wieder vergessen haben. Wir alle ertrinken in Papier, und der Kopf kann nicht alles speichern. An das ZEIT-DOSSIER vom 13. August 1982 indessen werde ich mich wohl noch in sieben Jahren erinnern. Widerspruch bringt eben oft mehr in Bewegung als Zustimmung oder bloßes Interesse, und so könnte die Frage, wie das Thema denn richtigerweise hätte angepackt werden müssen, uns immerhin als "Denkanstoß" dienen. Das wäre dann einiges mehr als nichts.