(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/97) < home RiV >

Skandalöse Fehlleistung

Im Mitteilungsblatt 3/96 habe ich Ausführungen zur Insolvenzrechtsreform gemacht, im Mitteilungsblatt 4/96 das Gespenst des obligatorischen Einzelrichters an die Wand gemalt. Nicht ahnen konnte ich, daß es einst zu einer unheilvollen Verknüpfung kommen würde. Nun haben wir die Lage.

Das Inkrafttreten der Insolvenzrechtsreform rückt näher. An warnenden Stimmen hat es nicht gefehlt: Der gewaltig hohe Bedarf an Personal für die Umsetzung dieses Gesetzes sei in keiner Weise darstellbar. Dies alles hat nichts gefruchtet, verhallte in der "Tiefe des politischen Raumes". Keine Verschiebung, keine inhaltlichen Abstriche. Insbesondere der Staatssekretär im Bundesjustizministerium Funke ist in sein Reformkind zu sehr verliebt, als daß er von ihm lassen könnte. Die Insolvenzrechtsreform ist eben zu schön. Nun ja, schön ist sie schon. Nur sollte es doch selbst höchsten Köpfen zwischenzeitlich dämmern, daß viele schöne Dinge zwar vorstellbar sind, wir diese uns jedoch nicht mehr leisten können.

Die Zeit drängte. Irgendetwas zur Entlastung und Rechtfertigung mußte also her. Und es folgte ein Schauspiel von einer Qualität, die für weite Bevölkerungskreise die Politik in dieser Republik immer wieder so attraktiv macht. Man ging über die Dörfer, um eine Finanzierungsmöglichkeit aufzuspüren und traf - als Restanten - auf den z.Zt. auf Eis gelegten Entwurf des zweiten Rechtspflegeentlastungsgesetzes. Dieser Entwurf wurde auf eine Gegenfinanzierung hin ausgeweidet, und - siehe da - man wurde fündig: Der obligatorische Einzelrichter und als Zugabe eine Erhöhung der Berufungsgrenze. Inhaltlich wurde selbstverständlich nicht diskutiert, ging und geht es doch allein darum, Kasse zu machen. Die Gegenfinanzierung wie "der Phönix aus der Asche". Dabei ist allen Beteiligten klar, daß diese finanzielle Rettung der Insolvenzrechtsreform absolut unseriös ist. Es wird hier eine Rechnung aufgemacht, die vorne und hinten nicht stimmt, die man selbst schulpflichtigen Kindern nicht durchgehen lassen würde. Aber so ist Politik, Rechtspolitik in vielen, leider allzu vielen Fällen: Aktionismus, Argumentieren in Schlagworten und Leerformeln, faule Kompromisse, Durchwursteln und zu guter Letzt eine blumige Presseerklärung, in der die eigene Reformleistung abgefeiert wird. Dabei erschließt sich der Eindruck, daß reformerische Anliegen ernsthaft transportiert und umgesetzt werden sollen, daß es also um die Sache geht, nicht einmal in Ansätzen.

Das Ganze wird auf die Gerichte niedergehen in der Erwartung, sie müßten damit irgendwie schon fertig werden, ganz in Anlehnung an das Motto: "Nach mir die Sintflut". Sollte diese Erwartung dann enttäuscht werden, wird - ich wiederhole mich - wie das Amen in der Kirch die Klage über das Mißmanagement der Gerichte angestimmt.

Der Betrachter mag das Elend nicht länger mit ansehen und wendet sich mit Grausen ab. Die Geschichte der Rechts- und Gesetzespolitik ist reich an Fehlleistungen und Versäumnissen. Der Gesetzgeber ist offensichtlich fest entschlossen, diese Kette an "Glanzlichtern" nicht abreißen zu lassen.

Heiko Raabe