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Freispruch ?
Wieder ein "Rollenspiel": Der geschätzte Kollege B. stellt die Psychologie unter Anklage, der ebenso ehrenwerte Nothelfer N. eilt aus Neubrandenburg herbei und erwirkt einen Freispruch für die Wissenschaft von der menschlichen Seele.
Aber wo und wie hätte ich mich unterfangen, die Psychologie anzuklagen - wie hätte mir solches auch nur im Traum einfallen können? Mißbräuche hatte ich ans Licht zu ziehen gesucht, wie es - sozusagen als dunkle Kehrseite von mancherlei Wissenschaft - sie auch sonst und überall zuhauf gibt. Die Kehrseite der Psychologie ist bekanntlich ein boomender, seit Jahren gewaltig ins Kraut geschossener Psychomarkt, auf dem sich abenteuerliche Gestalten tummeln. Wie ersichtlich, pflichtet Robert Northoff mir darin nicht nur bei, sondern weiß auch mitzuteilen, weshalb und inwiefern Vopel bei aller gelegentlichen Brillanz ein etwas dubioser Unternehmer gewesen sein müsse, wie man’s hätte besser machen können, und wer es heute besser - viel besser! - macht. ...
Über "Rückmeldungen" ist die MHR-Redaktion stets glücklich, egal, ob beipflichtend oder kritisch. Hauptsache, es herrscht Leben in der Bude! Eben diesem Prinzip folgen auch Replik, Duplik usw. ...
Da ich nun einmal beim Rückfragen bin, fällt mein Auge auf ein kleines Detail, das als der Erkundigung kaum wert erscheint: Immerhin: Was in aller Welt hat eine "sprachliche Ästhetisierung à la Jenninger" mit meinem Bericht zu tun?
Die 31. Auflage des Plötz bemerkt zum Stichwort (auf S. 1626):
"11. November 1988: Zum Jahrestag der "Reichskristallnacht" hält Bundestagspräsident Philipp Jenninger (1932) eine Rede, die durch mißverständliche Formulierungen zu seinem Rücktritt führt."
Ob der Mangel dieser Rede, deren Substanz dem glänzenden Buch Sebastian Haffners über Hitler (1978) entsprach, aus dem sogar einige ihrer Formulierungen zu entstammen schienen, dem Redner anzukreiden war, weil er Nazi-Zitate nicht hinreichend deutlich als Zitate hervorhob (ein rhetorisches Versagen), oder den Hörern zur Last fiel: das ist kaum noch zu entscheiden. Aber die Wellen schäumten damals hoch, in aller Welt: "Hitler im deutschen Bundestag!" und dergleichen Tatarennachrichten standen in Blättern von Weltrang gedruckt. ...
Es war dann Ignaz Bubis, der jüdische Zentralratsvorsitzende, der acht Jahre später eine listige Probe auf’s Exempel wagte: Er hielt, wie jährlich, "seine" Novemberrede - und erfuhr nichts als positive Resonanz. Wenig später offenbarte er, daß der Text seiner beifällig aufgenommenen Ansprache in weiten - und allen wesentlichen - Teilen der alte Jenninger’sche gewesen sei, wobei Bubis etwas salopp zu bedenken gab, schließlich könne er sich zu diesem jährlich wiederkehrenden Anlaß nicht immer etwas Neues einfallen lassen. ... Jedenfalls war es eine faire Geste, die ein anderer als Bubis sich schwerlich hätte leisten können.
"Sprachliche Ästhetisierung"? Ich glaube (bin aber, hier ohne Aufzeichnungen, auf meine bloße Erinnerung angewiesen), daß es der Rhetoriker Walter Jens gewesen war, der dem Fall Jenninger diesen seltsamen Stempel aufgedrückt hatte - damals, als er in der Hamburger ZEIT die perhorreszierte Rede, dem Publikum zur Lehre, um- und neuschrieb: so, wie der Professor sie in seinem Tübinger Oberseminar als korrekt hätte passieren lassen. ...
Aber ich bin abgeschweift und muß zum Ende kommen:
Ein Freispruch für die Psychologie kam nicht in Betracht, und zwar deshalb nicht, weil dem Verfahren eine Zulässigkeits- und Prozeßvoraussetzung: die Anklage fehlte. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, daß ich den Guru angeklagt habe. Erwachsene Teilnehmer sind in aller Regel für sich selbst verantwortlich, sollten mit der exceptio "Verführung!" sparsam umgehen und sich zunächst an die eigene Nase fassen. Auch das genannte Seminar hat diese Regel, jedenfalls für mich, nicht außer kraft gesetzt.
Günter Bertram