Bertrams kritische Aktualisierung der alten Vopelseminare darf nicht dazu führen, daß die Psychologie als solche diskreditiert wird.
Bertrams Aktualisierung eines vopelschen Selbsterfahrungsseminars in drei Akten kann einen ehemaligen Kollegen und Psychologen nicht unberührt lassen. Zwar liegen die Geschehnisse so weit zurück, daß man sie getrost als Kaffeesatz der Geschichte betrachten könnte; doch habe ich Sorge, daß die Psychologie als solche Schaden nimmt, so daß mir drei Anmerkungen gestattet seien.
- Die Schwächen der inzwischen sagenumwobenen Vopelseminare sind offensichtlich. Sie lagen in der historischen Situation, im psychologischen Ansatz und offenbar auch in seiner Person. So richtig der Ansatz der 68er Jahre war, den Muff aus den Talaren zu vertreiben, so überdreht waren die seinerzeitigen Encounter- und Selbsterfahrungsseminare, freilich meist in der guten Absicht, einmal richtig durchzulüften. Aber auch wenn wir Selbsterfahrung als wichtigen und unerläßlichen Teil der Fortbildung ansehen, muß sie nicht mit derart vielen Kunstfehlern versehen sein, wie dies offenbar bei Vopel der Fall war. Zwar ist richtig, daß Selbsterkenntnis schmerzhaft sein kann und daß Verhaltensänderungen vor allem dann erreicht werden können, wenn emotionale Pflöcke eingepflanzt und alternative Verhaltensweisen auch in Rollenspielen eingeübt werden. Doch ist es psychologisch absurd, einerseits ein für die Teilnehmer bedrohliches Szenario aufzubauen, andererseits aber immer wieder provokativ Offenheit einzufordern, einerseits ernstnehmende Erwachsenenbildung betreiben zu wollen, andererseits aber Macht und Zuwendung wie ein Pascha nach eigenem Gutdünken zu verteilen, einerseits helfen zu wollen, andererseits aber Opfer zu produzieren. Dabei scheint sich der Seminarleiter auch in seinen eigenen Fällen verstrickt zu haben, denn das (offenbar mit eigenem Lustgewinn verbundene) Vorführen von Menschen läßt sich zwar psychoanalytisch als eine Überkompensation eigener Minderwertigkeitsgefühle deuten, läßt aber doch jene Gelassenheit und Distanziertheit vermissen, die ein souveräner Supervisor haben sollte.
- Aber auch die Darstellung des von mir geschätzten Kollegen Bertram ist bei all ihrer Poesie mißverständlich. Zunächst: es ist gut, daß er 20 Jahre abgewartet hat; denn so vermeidet er die (aus den Sexualstrafverfahren bekannte) sekundäre Schädigung der Teilnehmer, die ja bekanntlich nicht in der Gewalttat selbst, sondern in der öffentlichen Erörterung derselben liegt. Doch irritiert mich die blumen- und dornenreiche Sprache, die die Erniedrigung und das Hündische so plastisch beschreibt, daß es zu einer mißverständlichen sprachlichen Ästhetisierung à la Jenninger kommt. Und mich irritiert die Haltung, die zwischen Faszination und Widerwillen schwankt, auch wenn dies vielleicht auf dem Bedürfnis beruhen mag, der Psychologie nicht Unrecht zu tun. Es ist, wie der Verfasser sich im Teil III selbst outet, die Rolle des Voyeurs bei einem unanständigen Spiel, spannend für den Leser der MHR, der damit nicht nur über das Geschehen, sondern auch über den Beobachter einiges erfährt. Wie immer, wenn es ans Eingemachte geht, ist damit allerdings auch die Hoffnung verbunden, daß all das Unbewältigte und Verdrängte in diesem bildhaften und wortgewaltigen Erinnern endlich eine kathartische Auflösung gefunden hat.
- Doch mischt sich darin die oben schon genannte Sorge, daß der eine oder andere Leser den Zeitsprung nicht wirklich verinnerlicht hat; und ich befürchte, daß bei den Kollegen und Kolleginnen latent vorhandene Vorurteile über die Psychologie aktualisiert worden sein könnten. Natürlich ist die Psychologie keine Schönwetterveranstaltung; auch würde es mir nicht genügen, wenn die Teilnehmer einer Fortbildungsveranstaltung zum hundertsten Mal feststellen, daß man ganz nett geplauscht hat, daß aber sonst nichts gewesen ist. Humanistische Psychologie braucht jedoch keine Opfer; sie versucht vielmehr, die jedem Menschen innewohnenden Ressourcen zu wecken und ihm bei der Entwicklung zu helfen. Und Konfliktbearbeitung braucht nicht das vielleicht Pferden angemessene Konzept von Zucker und Peitsche, sondern das aus der Mediation bewährte fachkundige Begleiten der eigenen Überlegungen. Schließlich: Supervision ist nicht so sehr schmerzhafte Selbsterfahrung, sondern ganzheitliche Fallbearbeitung, bei der - in geschützter Atmosphäre - auch im Rollenspiel Erfahrungen gemacht und rückgekoppelt werden können. Seminare wie die von Heidi Salm, von der auch der Verfasser dieses Artikels vieles gelernt hat, was er inzwischen bei eigenen Supervisionen anwenden konnte, belegen, daß diese Ansätze sich auch in der Richterfortbildung bewährt haben. Dort, wo nicht herablassende Verachtung und Angst, sondern kritische Akzeptanz und Lernen erreicht werden, dort hat Psychologie ihren wahren Platz.
Robert Northoff
Anmerkung zur Person:
Herr Northoff dürfte noch manchem Leser als Hamburger Kollege erinnerlich sein. In einem Prospekt des Kommunalverlags zu seinem Buch "Rechtspsychologie - Anwendungsorietierte Grundlagen der Arbeits- und Konfliktbewältigung für Rechtswesen, Sozialwesen, Polizeiwesen" (DM 98,--)
wird er wie folgt vorgestellt:
"Der im Ruhrgebiet aufgewachsene Autor studierte in Freiburg/Br. sowie in Lausanne/Schweiz Rechtswissenschaft, Psychologie und Soziologie. Nach dem 1. juristischen Staatsexamen 1976 schloß er sein Studium 1978 mit dem Diplom in Psychologie ab.
Es folgte ein Wechsel nach Hamburg, wo er nach seinem 2. juristischen Staatsexamen als Richter eingestellt wurde und 1985 promovierte. Bis 1992 war er als Richter in den unterschiedlichsten Bereichen, so in einer Strafvollstreckungskammer, als Jugend- und Familienrichter und als Leiter des Arbeitsstabes eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Strafvollzug bei der Bürgerschaft Hamburg tätig.
Gleichzeitig arbeitete er auch als Lehrbeauftragter im Fachbereich Rechtswissenschaft II an der Universität Hamburg und an der Fachhochschule der Polizei sowie als Ausbilder für Referendare.
1993 folgte er einem Ruf an die Fachhochschule Neubrandenburg, wo er seitdem im Fachbereich Sozialwesen als Hochschullehrer für Familienrecht, Jugendhilferecht, Resozialisierung und Konfliktbearbeitung zuständig ist. Daneben arbeitet er als Supervisor, Mediator und gerichtlicher Gutachter.
Forschungsschwerpunkte sind die Bereiche Rechtspsychologie und Kriminalprävention."