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Schrecken harte Strafurteile
potentielle Rechtsbrecher ab?

Überlegungen zur negativen Generalprävention

1. Einleitung

Seit etwa zwei Jahren besteht für Referendarinnen und Referendare des Hanseatischen Oberlandesgerichts die Möglichkeit,die Grundzüge des Rechts der Strafzumessung einschließlich der Revisibilität der Strafzumessungsentscheidung in einer meiner Pflichtwahlarbeitsgemeinschaften kennenzulernen.

Aus aktueller Veranlassung - allen Mitgliedern des Hamburgischen Richtervereins dürfte die Diskussion der letzten Monate bekannt sein, ob harten Strafurteilen eine abschreckendeWirkung zukommt - habe ich den Arbeitstitel dieses Beitrags zum Gegenstand eines Referats der oben genannten Arbeitsgemeinschaft gemacht, welches der Co-Autor, Rechtsreferendar Tim Paschkowski, am 28.10.1997 gehalten hat.

Dieses Referat und das anschließende Gespräch gaben uns Veranlassung, diesen Beitrag zu schreiben. Er soll inbesondere der Versachlichung der Diskussionen dienen, indem die Bedenken der Literatur gegen bzw. die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen generalpräventiver Einzelstrafschärfungen in Erinnerung gerufen werden.

2. Kann die negative Generalprävention ein Strafzumessungsfaktor zur Bestimmung der Strafhöhe sein?

Limitierende Größe jeder tatrichterlichen Strafzumessung ist die Schuld des Täters (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB); diese ist nach den in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannten Gesichtspunkten, dem Unrecht (Beweggründe, Maß der Pflichtwidrigkeit, Art der Ausführung, Auswirkungen der Tat, Tatwille), den Schuldfaktoren (Beweg-gründe, Gesinnung) und den Anzeichen für dasAusmaß der Schuld (Vorleben, Nachtatverhalten) zu bestimmen.

Obwohl Generalprävention in § 46 Abs. 1 und 2 StGB nicht genannt ist, steht außer Zweifel, daß Strafverfolgung und Bestrafungen als solche in der Bevölkerung allgemein auf die Stärkung des Vertrauens in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung (positive oder integrative Generalprävention) hinwirken.

Da die Aufzählung des § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB nicht abschließend ist, ist die Frage zu beantworten, ob eine Integration von Schuldausgleich und dem rational definierbaren Strafzweck der Allgemeinabschreckung (negative oder spezielle Generalprävention) mit dem Ziel, potentielle Rechtsbrecher von strafbaren Handlungen abzuhalten, zulässig ist und zu einer Strafschärfung im Einzelfall führen darf.

A. Die Ansichten der Literatur

In der Literatur sind Argumente gegen eine solche Schärfung von Einzelstrafen zum Zwecke der negativen Generalprävention vorgebracht worden.

a. Wortlaut des Gesetzes

Die Unzulässigkeit einer Einzelstrafschärfung aus Gründen negativer Generalprävention folge schon aus dem Wortlaut des § 46 StGB. Wenn der Gesetzgeber neben den o.g. Gesichtspunkten und der explizit genannten Spezialprävention (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB) einen weiteren Strafzumessungsgrund hätte berücksichtigen wollen, dann hätte er einen solchen gewichtigen wie den der Generalprävention im Gesetzestext nicht unerwähnt lassen können.

Da der Gesetzgeber dem Gedanken der Generalprävention nur in den §§ 47 Abs. 1 (Strafartwahl), 56 Abs. 3 (Strafaussetzung) und 59 Abs. 1 Nr. 3 StGB (Verwarnung mit Strafvorbehalt) mit der Formulierung "Verteidigung der Rechtsordnung" Rechnung getragen habe, sei die negative Generalprävention kein Strafzumessungsfaktor zur Bestimmung der Schuld bzw. der Strafhöhe.

b. Verfassungsrechtliche Bedenken

Daneben werden gewichtige verfassungsrechtliche Bedenken gegen die negative Generalprävention erhoben. Es verletze die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), einen Einzelnen zum Zwecke der Reduzierung der Gesamtmenge normabweichenden Verhaltens zu instrumentalisieren. Es gäbe keine ethische Berechtigung, den Täter nur deshalb höher zu bestrafen, weil dem Tatrichter eine hypothetische Abschreckungswirkung vorschwebe. Auf diese Weise werde der Täter über seine Verantwortung für seine Tat hinaus als bloßes Mittel zur Einwirkung auf potentielle Rechtsbrecher mißbraucht, indem er als Objekt staatlichen Verfahrens der Verbrechensbekämpfung diene.

c. Rivalität präventiver Strafzwecke

Generalpräventive Erwägungen zur Begründung harter Einzelstrafen können insbesondere bei freiheitsentziehenden Strafen im Konflikt zu aus spezialpräventiver Sicht erforderlichen Strafhöhen stehen. Es sei unvertretbar, Resozialisierungsbemühungen nur dadurch zunichte zu machen, daß der Täter wegen einer hypothetischen Abschreckungs wirkung gegebenenfalls besonders lang in Haft sein müsse. Nach kriminologischen Erkenntnissen könne dies zu einer Entsozialisierung und zur Verfestigung kriminogener Einstellungen führen.

d. Kriminologische Bedenken werden unter drei Gesichtspunkten erhoben.

aa. Fehlende sozialpsychologische Wirkungszusammenhänge

Zunächst sei der angestrebte Effekt einer Abschreckung durch eine Erhöhung der Einzelstrafe überhaupt zu bestreiten. Dies sei durch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen über die Wirkung von Strafen belegt:

Sowohl der Vergleich der amtlich registrierten Kriminalität in regionalen Einheiten mit unterschiedlicher Strafrechtspflege oder vor bzw. nach bestimmten Strafrechtsänderungen (kriminalsta-tistische Untersuchung), als auch Interviews, in welchen nach Entdekungsrisiko und Straferwartung gefragt und die Ergebnisse mit der Deliktsneigung verglichen werden (Befragungsstudien) sowie Spielsituationen, in denen die Reaktionen der Probanden überprüft werden (experimentelle Untersuchungen), hätten belegt, daß von hohen Strafen keine beachtliche Abschreckungswirkung ausgehe. Entscheidender Faktor einer Abschreckung sei nicht die Strafhöhe, sondern allenfalls die Strafverfolgungsintensität und die damit zusammenhängende Entdeckungswahrscheinlichkeit. Es reiche daher, wenn der Gesetzgeber bestimmte Verhaltensweisen überhaupt mit einer Strafe bedrohe. Von eher milderen Strafen gehe kein negativer Einfluß auf die Kriminalitätsziffer aus.

bb. Fehlende Publikationswirkung

In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, daß die Erreichung einer verbrechensmindernden Wirkung von (hohen) Strafen oftmals allein daran scheitere, daß die Adressaten einer solchen Verhaltensänderung die richterliche Entscheidung des Einzelfalls gar nicht wahrnehmen.

cc. Internalisierung von Normen

Schließlich dürfe nicht übersehen werden, daß kriminalrechtliche Sanktionen in einem umfassenden Geflecht von sozialen Normen, Orientierungen und Reaktionen integriert seien, deren Bedeutung für die Verhaltenskonformität größer sei, als die Strafe bzw. die Strafhöhe als solche. Es gelte durch empirische Untersuchungen als gesichert, daß die moralische Verbindlichkeit von Normen und die informellen Reaktionen von z.B. Familie und sozialem Umfeld generalpräventiv das größte Gewicht hätten.

B. Die Ansicht der höchstrichterlichen
Rechtsprechung

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs, die die Einwände der Literatur stets sehr ernst genommen hat, ist auch die negative Generalpräven-tion als Strafschärfungsgrund anerkannt.

Allerdings sind einschränkend zwei Voraussetzungen zu beachten:

a. Beachtung des Schuldrahmens

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine Strafschärfung aus generalpräventiven Erwägungen grundsätzlich nur innerhalb des vom Tatrichter bestimmten Schuldrahmens in Betracht. In diesem Spielraum soll dann dem zulässigen Präventionszweck Rechnung getragen werden, soweit er für den konkreten Fall Bedeutung hat. Die Erwägung, eine Strafe müsse aufgrund negativgeneralpräventiver Umstände verschärft werden, begegnet folglich dann rechtlichen Bedenken, wenn die Urteilsgründe nicht erkennen lassen, ob der Tatrichter beachtet hat, daß eine Strafschärfung nur im Schuldrahmen in Betracht kommen kann und daß die bereits im jeweiligen Straftatbestand zum Ausdruck gebrachten generalpräventiven Erwägungen des Gesetzgebers nicht nochmals zur Strafschärfung im Einzelfall herangezogen werden dürfen (vgl. Rechtsgedanke des § 46 Abs. 3 StGB).

Daraus leiten die Verfasser die Forderung ab, daß der Tatrichter in den Strafzumessungsgründen des Urteils nicht nur den Strafrahmen, sondern auch den Schuldrahmen benennen muß, wenn er die Strafe aus generalpräventiven Gründen schärfen möchte. Nur so ist es dem Revisionsgericht möglich zu prüfen, ob der Tatrichter das Gebot beachtet hat, den Schuldrahmen nicht zu überschreiten.

b. Erforderlichkeit und Geeignetheit der
Strafschärfung

Im übrigen rechtfertigt die negative Generalprävention eine schwerere als die eigentlich angemessene Strafe nur dann, wenn hierfür eine Notwendigkeit besteht. Die Abschreckung anderer möglicher Täter erfordert eine schwerere Strafe nämlich nur, wenn bereits eine gesellschaftsgefährdende Zunahme solcher oder ähnlicher Taten festgestellt werden konnte oder die Gefahr konkreter Nachahmung besteht.

Abgesehen von Fällen der Offenkundigkeit der Zunahme bestimmter Delikte ist der Tatrichter gehalten, die empirischen Grundlagen im Urteil ausführlich zu begründen, damit sein Urteil nicht auf die Darstellungsrüge oder die Rüge der Verletzung des § 261 StPO hin revisibel ist.

Unter dem Gesichtspunkt der Geeignetheit einer abschreckenden Wirkung dürfte sich darüber hinaus in folgenden Fallgruppen mangels einer Reflektion der potentiellen Täter über die Strafdrohung eine Einzelstrafschärfung verbieten:

3. Schlußbetrachtung

Es muß differenziert werden zwischen der unstreitigen generalpräventiven Wirkung des Strafrechtssystems (Straftheorie) und derjenigen, die durch die Strafzumessung erreicht werden soll (Strafzumessungstheorie). Schon der Begründer des Strafzwecks der Generalprävention, von Feuerbach, hat diese Unterscheidung getroffen und dabei nur die Straftheorie anerkannt. Der Praxis ist zu empfehlen, auf den Strafzumessungsgesichtspunkt der negativen Generalprävention angesichts der beschriebenen kriminologischen Bedenken weitgehend zu verzichten. Sachverhalte, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine generalpräventive Einzelstrafschärfung überhaupt zulassen, kommen ohnehin eher selten vor. Entwickeln sich durch gesellschaftliche Veränderungen oder durch neue Formen abweichenden Verhaltens generalpräventive Bedürfnisse, sollten nicht die Tatrichter, sondern der Gesetzgeber berufen sein. Erfüllt der Gesetzgeber seine ureigene Aufgabe nicht, kann dieses nicht durch harte Strafurteile kompensiert werden.

Zu harte - insbesondere schuldrahmenüberschreitende - Urteile sind zwar besonders medienwirksam, dürften von der überwiegenden Bevölkerung aber als ungerecht empfunden werden und könnten folglich hinsichtlich ihrer erhofften präventiven Wirkung kontraproduktiv sein. Überdies führen sie wegen der Rechtsmittelverfahren auch zur Verschwendung der knappen Ressourcen der Justiz.

Um die Ausgangsfrage zu beantworten: Eine abschreckende Wirkung potentieller Rechtsbrecher scheint harten Strafurteilen abgesprochen werden zu müssen. Sie geht von der Strafverfolgungsintensität und der damit zusammenhängenden Entdeckungswahrscheinlichkeit aus.

Andree Peters - Staatsanwalt

Tim Paschkowski - Rechtsreferendar