(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/97) < home RiV >
Richterliche Unabhängigkeit
im Spannungsfeld
Erstaunlich ist, wie häufig auf Anfragen aus der Bürgerschaft der Senat selbst auf die richterliche Unabhängigkeit hinweisen muß. So sollte der Senat versuchen, die Richter zu Terminen außerhalb des Gerichtsgebäudes (Drucksache 15/7770), zu zügigerer Terminierungspraxis und zur Begrenzung der Urteilslänge zu bewegen (Drucksache 15/8064). Bei Letzterem handelte es sich immerhin um ein Ersuchen der Bürgerschaft.
Bei der Umsetzung der "Justiz 2000" (insbesondere Budgetierung) ist sich die Justizbehörde in ihrem diesbezüglichen Bericht (Anlage zur Bürgerschaftsdrucksache 15/7871) der Spannung zwischen Wirtschaftlichkeitsaspekten und richterlicher Unabhängigkeit immerhin grundsätzlich bewußt; am deutlichsten auf Seite 30:
"Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich garantierte Stellung der Rechtspflege darf keineswegs eine Situation eintreten, in der z.B. die personelle bzw. sachliche Ausstattung eines Gerichts oder gar richterliches Entscheidungsverhalten durch die Aussicht auf (notwendige) Einnahmen für das Gericht bestimmt wird (z.B. bei der Festsetzung einer Geldstrafe statt einer anderen Sanktion)."
Als primäre Konsequenz aus der richterlichen Unabhängigkeit ist also zu Recht die Versagung bestimmter Geldzuflüsse an die Richter zu ziehen; von einem "Herumreiten" der Richter auf ihrer Unabhängigkeit kann also nicht die Rede sein (so auch nicht im Bericht).
Zuzustimmen ist auch der generellen Einschätzung, daß dieses Spannungsfeld "in den Rand- und Verzahnungszonen zu spruchrichterlicher Tätigkeit ... in den konkreten Problemfeldern zu klären sein" wird (Seite 7).
Wenn denn aber ausnahmsweise tatsächlich ein Anwendungsfall behandelt wird (S. 44), so wird das Spannungsfeld ignoriert, nicht aber aufgelöst:
"So ist es z.B. denkbar, daß sich bei dem erheblichen Kostenfaktor ‘Dolmetscherkosten’ durch eine stärker abgestimmte Terminierungspraxis oder sonstige Maßnahmen ohne jede Qualitätseinbuße Einsparungen erzielen lassen. Notwendig ist aber auch in diesem Zusammenhang, daß die durch die Verbesserung derartiger Arbeitsabläufe entstehenden Vorteile dem Gericht ... verbleiben und die Kostenersparnis für andere notwendige Bedürfnisse (neue Kommentare u.ä.) verwendet werden kann."
Genau an solchen Fällen zeigt sich, daß die auch ohne Vorteilsanreiz pflichtgemäß vorzunehmende Einschätzung des Richters, ob eine Maßnahme "ohne jede Qualitätseinbuße" vorgenommen werden sollte oder nicht, durch zusätzliche Inaussichtstellung von Vorteilen getrübt werden kann. Zutreffend wird darauf hingewiesen (S. 7), es nehme
"die Einsicht zu, daß die richterliche Tätigkeit auch auf die verfügbaren Ressourcen Rücksicht nehmen und um eine möglichst sparsame Ressourcenverwendung bemüht sein muß."
Gerade weil der Richter die wirtschaftliche Vernünftigkeit von Maßnahmen ohnehin als einen Umstand von vielen in seine allein ihm obliegende Prüfung in jedem Einzelfall einbeziehen muß (auch mit dem möglichen Ergebnis, daß es auf die Wirtschaftlichkeit nicht ankommt), darf "der" Richter bzw. das ihn ausstattende Gericht für eine bestimmte Entscheidung nicht belohnt werden.
Die Ausstattung der Richter ist vom Staat zu gewährleisten und nicht vom Richter selbst zu erwirtschaften. Der Grund, warum in den Gerichten teilweise dennoch die Bereitschaft zur Beteiligung an einem solchen Erwirtschaftungsmodell zunimmt, ist, daß der Staat seiner Ausstattungspflicht nicht immer hinreichend nachkommt.
Wolfgang Hirth