(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/97) < home RiV >
Guter Rat
Ein Kollege, der sich aufmachte, höhere Weihen zu erwerben, bekam von einem wohlmeinenden Freunde ein halbdutzend guter Ratschläge auf den Weg, also lautend:
"Lieber ...,
bevor Du Deinen jetzigen Arbeitsplatz verläßt, um eine erneute "Reifeprüfung" am dortigen höheren Gericht abzulegen, drängt es mich, Dir ein paar Ratschläge und Worte der Ermunterung nach den Irrungen und Wirrungen der letzten Jahre mit auf den Weg zu geben. Zunächst zu den profanen Dingen: Wahrscheinlich wirst Du Dir ein paar neue Binder zulegen müssen, um dem dortigen Komment Genüge zu tun. Ich schlage vor, hanseatisch dezente Krawatten mit einem blauen oder roten Dekor zu wählen - das beruhigt und vermittelt Seriosität. Auch der Hemdenbestand sollte überdacht werden. Auch hier wären blaue Hemden zu empfehlen - weniger geeignet scheinen mir weiße Hemden zu sein, auf denen - bei Deiner anstrengenden Tätigkeit - leicht häßliche Flecken der Transpiration sichtbar werden.
Auch hinsichtlich der sonstigen Oberbekleidung ist Zurückhaltung am Platze - am besten, so scheint mir, macht sich ein blauer Blazer (nicht zu viele goldene Knöpfe!). Was Dein Beinkleid anbelangt, so dürfte ein dezentes Dunkelgrau vonnöten sein - hierzu abgestimmt nicht zu helle Socken! Besondere Sorgfalt solltest Du auf die tägliche Bartpflege verwenden, um ein entsprechendes Gegengewicht zu dem leider etwas schütter gewordenen Haupthaar zu schaffen.
Das Schuhwerk sollte - folgt man den voranstehenden Empfehlungen - natürlich schwarz sein - auch ein dunkles braun, ins rötliche gehend, wäre noch tolerabel.
Und nun zu den mehr beruflichen Dingen.
Lasse den hohen Herren beim Eintreten in das Beratungszimmer stets den Vortritt. Auch bei der Sitzordnung solltest du Obacht geben - wähle Deinen Platz nie am Ende des Tisches, er ist dem Vorsitzenden vorbehalten; anderenfalls löst Du eine gewisse Irritation, möglicherweise bis zu einem gewissen Grad gepaart mit Unmut, aus. Du mußt Dir immer den Vergleich aus dem Tierreich vor Augen führen: dem Platzhirsch gebührt eine herausragende Stellung!
Bei der Beratung sei Dir als Richtlinie zu empfehlen: Ergreife nie unaufgefordert das Wort. Auch vermeide es tunlichst, einen Scherz zum besten zu geben - eisiges Schweigen kann Dich strafen. Denke immer an das alte, so wahre lateinische Sprichwort "Quod licet Jovi non licet bovi".
Im übrigen solltest Du Deinen Vortrag so frei wie möglich ohne ein Konzept halten. Dabei erweist es sich als von Nutzen, gelegentlich Kunstpausen einzulegen, um die Wirkung Deiner Worte bei Deinen Zuhörern einschätzen zu können. Findest Du Zustimmung, so wird ein beifälliges Nicken Dich lohnen. Anderenfalls wird eine hochgezogene Augenbraue oder auch ein heruntergezogener Mundwinkel Dich zur Vorsicht in der Argumentation mahnen.
Falls Du weitere diesbezügliche Fragen an mich hast, stehe ich stets gern zu Deinen Diensten. Auch in Stunden der Depression halte Dir das treffliche Wort "per aspera ad astra" vor Augen.
Herzlichst
Dein ..."