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Zuschriften:

"Gesicherte Unterbringung":ungeeignet!

Amt für Jugend - Schreiben vom 23.07.1997:

Sehr geehrter Herr Raabe,

mit großem Interesse habe ich Ihren Beitrag im Mitteilungsblatt des Hamburger Richtervereins 2/97 gelesen. Sie haben damit ein Thema aufgegriffen, das gegenwärtig breiten Raum einnimmt in der öffentlichen Auseinandersetzung um die Leistungsfähigkeit der Hamburger Jugendhilfe. Ihren Appell für die Wiedereinführung gesicherter Unterbringung für einen kleinen Teil besonders schwieriger Jugendlicher kann ich nicht unterstützen. Neben der Auseinandersetzung mit der einschlägigen Fachliteratur und Forschungsergebnissen zu diesem Thema haben mir meine beruflichen Erfahrungen in der Heimerziehung sowie als Leiterin des Grundsatzreferates für Jugendstraffälligenhilfe gezeigt, daß diese Einrichtungen nicht geeignet sind, die von Ihnen angesprochenen Probleme mit dem kleinen, aber "harten" Kern zu lösen.

In Ihrem Beitrag haben Sie den Wunsch geäußert, die Diskussion zu diesem Thema neu zu beleben. Dazu möchte ich gern einen Beitrag leisten und erlaube mir deshalb, Ihnen den beigefügten Leserbrief mit der Bitte um Veröffentlichung zu schicken.

Wenn das Thema so aktuell bleibt wie es zur Zeit ist, gibt es ja vielleicht auch einmal eine Gelegenheit zu einem Austausch im Gespräch. Ich bin jedenfalls gern dazu bereit.

Mit freundlichen Grüßen

Gabi Spieker

Eine Antwort auf den Beitrag des Vorsitzenden des Hamburgischen Richtervereins "Für einen starken Staat?" im Mitteilungsblatt des Hamburgischen Richtervereins 2/97 von Gabi Spieker, Leiterin des Grundsatzreferats Jugendstraffälligenhilfe im Amt für Jugend , Hamburg

Für kleine, pädagogisch geführte Einrichtungen mit der Möglichkeit zur zeitweisen Sicherung?

Der Autor möchte mit seinem Artikel die Debatte um gesicherte Unterbringung neu eröffnen, damit nicht einzelne Jugendliche "der reinen Lehre wegen über die Klinge springen" (Zitat). Es geht ihm um kleine geschlossene Einrichtungen, die pädagogisch geführt werden oder auch therapeutisch mit Jugendlichen umgehen können. Und es geht um eine kleine Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die nicht näher beschrieben wird (Straßenkinder? Prostitutionsgefährdete? Crash-Kids? minderjährige dealende Flüchtlinge?), für die aber festgestellt wird, daß sie nicht erreichbar war oder ist mit den von der Hamburger Jugendhilfe eingesetzten Mitteln.

Und dagegen richtet sich mein erster Einwand: Die Probleme, die diese Jugendlichen haben und machen, sind nicht alle identisch. Wird die gesicherte Unterbringung zum Mittel der Wahl für alle nicht näher beschreibbaren Problemfälle erklärt, dann ist die Folge, daß nicht eine Diskussion eröffnet wird um geeignete Hilfekonzepte in ganz bestimmten Lebenslagen, sondern doch "nur" eine prinzipielle. Für diese wenigen und in der Tat besorgniserregenden Einzelfälle wird eine andere "reine Lehre" dagegengesetzt, nämlich die, daß gesicherte Unterbringung die angemessene Reaktion darstellt.

Wenn es nicht beim Austausch von Grundsätzen bleiben soll, dann steht die Frage an, welche Wirkungen eine gesicherte Unterbringung erzielt. Mein zweiter Einwand: geschlossenen Einrichtungen werden Effekte zugeschrieben, die sie nicht erfüllen können. Sie haben mit den gleichen Problemen zu tun wie offene. Wegen der gebotenen Kürze eines Leserbriefs kann ich an dieser Stelle nur auf entsprechende Forschungen verweisen. Die letzte repräsentative Untersuchung zu geschlossenen Einrichtungen ist die 1990 erschienene Studie des Deutschen Jugendinstituts. Deren Ergebnisse bieten keine Veranlassung, geschlossene Einrichtungen auszubauen - belegt durch empirische Befunde und praktische Erfahrungen, die schließlich auch Bestandteil der Gesetzgebung wurden.

Als wesentliches Argument für gesicherte Einrichtungen wird immer wieder - auch von Herrn Raabe - genannt, daß jemand erst präsent sein muß, bevor man ihn erreichen kann. Daß es allerdings nicht reicht, jemanden zu haben, um ihn erfolgreich erziehen zu können, zeigen gerade der Jugendstrafvollzug und die hohen Rückfallquoten im Anschluß daran. Damit wiederum wird immer wieder begründet, daß etwas anderes und besseres gebraucht wird, um den Jugendlichen den Strafvollzug zu ersparen. Nur: was soll die Jugendhilfe anders und besser machen? Von ihr wird erwartet, daß sie therapeutisch oder pädagogisch einsperrt. Das zentrale Element des Einsperrens bleibt. Und "ein bißchen einsperren" geht nicht. Die Zahl der Entweichungen ist in geschlossenen Jugendhilfeeinrichtungen nicht niedriger als in offenen (so die oben erwähnte Studie des Deutschen Jugendinstituts). Wenn die Sicherungen gelockert werden, entweichen aus geschlossenen Einrichtungen gerade diejenigen, die das in offenen auch getan haben. Wenn wirklich gesichert untergebracht werden soll, dann sind Sicherheitsvorkehrungen wie in einer Haftanstalt notwendig. Diese bestimmen dann den Alltag der Einrichtungen, die Beziehungen zwischen Bediensteten und Insassen und das, was darin gelernt werden kann.

Die Entwicklungen der letzten Jahre im Jugendhilfe- und Jugendstrafrecht sind gekennzeichnet durch das Bemühen um die Zurückdrängung freiheitsentziehender Maßnahmen. Deren schädliche Folgen für die Persönlichektsentwicklung gerade jüngerer Jugendlicher waren der Anlaß, 1990 im 1. JGG Änderungsgesetz die Voraussetzungen der Untersuchungshaft bei 14- bis 15jährigen ausdrücklich enger zu fassen. Daß damit nicht gemeint war, Freiheitsbeschränkungen in das System der Jugendhilfe vorzuziehen und sie zu einer strafenden Nebeninstanz der Justiz werden zu lassen, wird im Entwurf eines 1. JGG Änderungsgesetzes der Bundesregierung am Beispiel der Kommentierung zu den §§ 71 und 72 JGG hinreichend deutlich (vgl. Bundestagsdrucksache 11/5829, S. 14 ff). In der Neuformulierung des § 71 JGG gibt es keinen Hinweis darauf, daß geeignete Heime für die Ausführung einer einstweiligen Anordnung über die Erziehung geschlossene Heime sein müssen. Denn "die Ausführung der einstweiligen Unterbringung richtet sich nach den für das Heim der Jugendhilfe geltenden Regelungen."

Gemäß § 34 KJHG soll jede - auch eine richterlich angeordnete - Heimerziehung "durch eine Verbindung von Alltagsleben und pädagogisch und therapeutischen Angeboten (die Betroffenen) in ihrer Entwicklung fördern." Des weiteren "sollen (die Jugendlichen) auf ein selbständiges Leben vorbereitet und in Fragen der... Ausbildung und Beschäftigung...unterstützt werden ." Diesen Gesetzesaufträgen können die Jugendhilfeträger nur durch die pädagogisch gebotene Öffnung der Einrichtungen nachkommen.

Heute kommt es darauf an, diese eingeleitete Zurückdrängung von Freiheitsbeschränkung endlich unumkehrbar zu machen und nicht erneut zur Disposition zu stellen. Nicht um an Glaubenssätzen festzuhalten, sondern weil es die den geschlossenen Einrichtungen zugeschriebenen Wirkungen nicht gibt. Auch die Hamburger Justizbehörde hat Konsequenzen gezogen aus der langjährigen Erfahrung, daß aus einer geschlossenen Anstalt heraus keine Verbesserung der Lebenssituation "draußen" möglich ist. Heute wird der Jugendarrest als offener Vollzug, die Hamburger Jugendarrestanstalt als offene Anstalt geführt.

Ganz sicher kann auch nicht zugelassen werden, "mit hoher Permissivität ein rasantes Abgleiten von Minderjährigen hinzunehmen." Doch warum messen Sie die Jugendhilfe daran, ob sie bereit ist, 2 oder 5 oder 10 geschlossene Heimplätze in Hamburg wieder einzuführen? Messen Sie die Ernsthaftigkeit ihrer Konzepte daran, wie ausdauernd, qualifiziert und nachprüfbar sie Alternativen bereitstellen, ohne jede Form des Wegsperrens, ob über kurze oder lange Zeiträume und ohne Ausweichen auf geschlossene Einrichtungen anderer Bundesländer. Auch die bisher nicht erreichten Jugendlichen brauchen Lebensorte, an denen sie lernen, schwierige Lebenssituationen zu bewältigen und soziale Fähigkeiten aufzubauen. Sie brauchen klare Orientierungen, verläßliche Strukturen und Menschen, die bereit sind, Konflikte einzugehen und durchzustehen. Ihre Probleme sind schwerwiegender und entsprechend schwieriger zu lösen. Sie haben eine lange Entstehungsgeschichte und sind nicht kurzfristig zu beheben.

Weder eine Jugendhilfe ohne noch eine Jugendhilfe mit geschlossener Unterbringung und auch nicht die Justiz mit ihrem Instrumentarium kann 100 %ige Erfolgsquoten garantieren. Auch in den Bundesländern, die über geschlossene Einrichtungen verfügen, gibt es die im Artikel von Herrn Raabe erwähnten Einzelfälle, in denen niemand mehr weiter weiß und gibt es einen Anstieg der Jugenddelinquenz. Auch hier bietet geschlossene Unterbringung nicht die Lösung der Probleme. An die Stelle neuer Erkenntnisse um ihre positiven Wirkungen tritt lediglich das Prinzip Hoffnung, daß Sicherung bewirken möge, was mit den bisher eingesetzten Mitteln nicht gelungen ist.

Gabi Spieker