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Eine schwere Entscheidung

Der Hamburgische Richterverein hat Standesinteressen zu vertreten, die Justiz- und Rechtspolitik kritisch und konstruktiv zu begleiten, Impulse zu geben, Alarm zu schlagen, wenn er denn Gefahr in Anzug sieht, den kritischen Diskurs innerhalb der Kollegenschaft zu fördern und ein Forum für diesen Diskurs zu schaffen, insbesondere aber: den einzelnen Richter und Staatsanwalt zu schützen. Zu schützen gegen Angriffe, die ihn in seiner persönlichen oder beruflichen Integrität beschädigen, ihm sein Recht auf freie Meinungsäußerung streitig machen oder beschneiden wollen.

Der Hamburgische Richterverein stand immer für Liberalität und Pluralität. Es gab und gibt ein breites Spektrum an Meinungen und Einstellungen - sie alle sollen Gehör finden, müssen diskutiert, kritisiert oder akzeptiert werden können. Ich denke an die zum Teil leidenschaftlich geführte Diskussion über politische Meinungsäußerungen von Kolleginnen und Kollegen, ein Vorgang, der einige Austritte aus dem Richterverein allein deswegen nach sich zog, weil der Richterverein diese Diskussion unter "seiner Flagge" zugelassen hatte.

Dem Hamburgischen Richterverein waren Querdenker, "bunte Hunde", stets wichtig, ja unverzichtbar, als Salz in der Suppe, als treibende Hefe im Teig.

Und nun dieses: Erstmals in seiner Geschichte hat der Hamburgische Richterverein deutlich und mit scharfen Worten gegen einen Kollegen, den Kollegen Schill, Position bezogen. Es überspannte bis dahin meine Vorstellungskraft, daß es einmal unabweisbar werden könnte, Richter und Staatsanwälte vor einem Kollegen in Schutz zu nehmen. Aber Schill trieb es wirklich zu toll: Mehrfach beleidigte und diskreditierte er Kollegen, ganz ungebremst und in aller Öffentlichkeit. Manch einer fragte sich, was könnte sein Impetus sein, was quält ihn, daß er seine Sachbotschaften in dieser Manier verkündet. Eine schlüssige Antwort konnte keiner so recht geben.

Mir ist diese Entscheidung nicht leicht gefallen, wie im übrigen keinem der Vorstandsmitglieder. Auch sah jeder deutlich die Gefahr, hier könne eine Quelle für Legendenbildung und Märtyrertum geschaffen werden: ein Unbequemer soll mundtot gemacht werden. Die Öffentlichkeit differenziert eben nicht. An dieser Legendenbildung hat - wohl eher unbewußt, jedenfalls aber ohne rechte Hintergrundkenntnisse - ebenfalls der Bundesjustizminister Prof. Schmidt-Jortzig anläßlich seines Besuchs beim Hamburgischen Richterverein gestrickt. Er bedauerte, daß "der Richter" nicht anwesend sei, im übrigen müsse doch ein kritisches Hinterfragen der Strafzumessungspraxis auch innerhalb der Richterschaft möglich sein: als wenn dies das Problem gewesen wäre. Die Zeitungsschlagzeilen am nächsten Tag waren entsprechend aufgemacht.

Für die von Schill gewählte Art des Umgangs miteinander kann der Hamburgische Richterverein seine Hand nicht reichen, für eine Auseinandersetzung in der Sache indessen jederzeit. Wir brauchen dringend den Diskurs in der Sache, nicht zuletzt, um dem Eindruck und dem Vorwurf glaubhaft entgegentreten zu können, die Justiz sei statisch, ohne Wahrnehmung gesellschaftlicher und sozialer Entwicklungen und Veränderungen. Aber auch um der Sache willen. Also streiten wir um den richtigen Weg, um überzeugende Ziele: ohne Vorbehalte, unaufgeregt und frei von Vorurteilen und Ideologien, insbesondere aber mit der nötigen Toleranz.

Heiko Raabe