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Referendarausbildung
Eine Reform der Referendarausbildung steht zur Diskussion. Insbesondere geht es um die Frage, ob an dem Bild des Einheitsjuristen festgehalten werden soll oder ob es sachgerecht erscheint, unterschiedliche Referendariate einzurichten (z.B. Anwaltsreferendariat, Justizreferendariat etc.). Die Anwaltschaft hat Vorschläge unterbreitet. Der Justizsenator, Professor Dr. Hoffmann-Riem, beteiligt sich aktiv und mit eigenen Vorschlägen an der Reformdiskussion. Es soll demnächst in der Justizbehörde eine Anhörung stattfinden. Der Hamburgische Richterverein hat Anfang dieses Jahres wie folgt an den Justizsenator geschrieben:
Sehr geehrter Herr Senator,
der Hamburgische Richterverein begrüßt Ihr Anliegen und Ihren Wunsch, die derzeitigen Reformbestrebungen zur Referendarausbildung nicht auf Sparinteressen zu beschränken, vielmehr diese Bestrebungen zum Anlaß zu nehmen, eine inhaltliche Diskussion zu führen. Wenn Sie zu Reformprozessen wiederholt die Ansicht vertreten haben, daß nur solche Reformen durchgeführt werden dürfen, die allemal, also unabhängig von Sparzwängen geboten wären, so kann der Hamburgische Richterverein dieser Ansicht nur zustimmen. Bedacht werden sollte allerdings:
- Die Referendarausbildung ist vor nicht langer Zeit bereits einer Reform unterzogen worden. Es erscheint zweifelhaft, ob eine dichte Reformabfolge der Sache dient, bevor im übrigen die durch die bestehende Gesetzes- und Verordnungslage geschaffenen Ausbildungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind.
- Reformbedürftig - und darüber besteht unter vielen Fachleuten Einigkeit - ist in erster Linie die universitäre Ausbildung. Mag auch ein politischer Ansatz für eine Reform in diesem Bereich zur Zeit nicht bestehen bzw. schwierig zu finden sein, sollte diese Notwendigkeit dennoch nicht außer acht gelassen werden. Die Referendarausbildung ist kein Reparaturbetrieb für Defizite in der Universitätsausbildung.
- Was "drückt", ist das "Problem der großen Zahl". Dieses Problem ist jedoch über die Referendarausbildung nicht zu lösen. Daß Juristen weit über den Bedarf des Marktes ausgebildet werden, ist vielmehr ein Problem des freien Zugangs zum Jurastudium bzw. des Fehlens wirksamer studienbegleitender Leistungskontrollen.
- Die Anwaltschaft hat deutlich signalisiert, daß sie nicht bereit ist, Kosten der Referendarausbildung auch nur teilweise zu übernehmen. Von dieser Seite ist also eine Entspannung des Kostendrucks nicht zu erwarten. Auch bei einer rein fiskalisch und damit verkürzt geführten Reformdiskussion wird sich herausstellen, daß das derzeitige Ausbildungsmodell noch das billigste ist.
- Die insgesamt zu lange Dauer der Juristenausbildung hat nur zum Teil ihre Ursache in der Ausbildung selbst. Die Netto-Ausbildungszeit liegt für Volljuristen, die das Studium nach acht Semestern mit dem Freiversuch abschließen, bei sechs Jahren. Das ist auch im internationalen Vergleich vertretbar. Wartezeiten und die Prüfungsverfahren selbst tragen wesentlich dazu bei, daß der Jurist zu spät "ins Berufsleben tritt". Hier gilt es, durchaus mögliche Abhilfe zu schaffen.
Es soll an dieser Stelle nicht eine vollständige und abschließende Stellungnahme zu allen aufgeworfenen Fragen abgegeben werden. Der Hamburgische Richterverein möchte vielmehr zunächst lediglich auf folgende ihm wesentlich erscheinende Aspekte hinweisen. Er ist im übrigen gerne bereit, an der geplanten mündlichen Anhörung teilzunehmen und dort seine Sicht zu den Reformbestrebungen weitergehend und vertieft darzustellen.
- Ziel einer jeden Referendarausbildung muß sein, den Referendar auf das angestrebte Berufsfeld vorzubereiten. Nach Ansicht des Hamburgischen Richtervereins ist aber unverzichtbar, daß auch z.B. ein Rechtsanwalt Gericht bzw. Verwaltung in der Praxis kennengelernt hat. Entsprechendes gilt für Richter und Verwaltungsjuristen. Vor diesem Hintergrund und um diesen Anspruch einzulösen, erscheint die derzeitige Referendarausbildung angesichts der Defizite in der Universitätsausbildung eher zu kurz als zu lang.
- Der Einheitsjurist ist lediglich ein formaler Begriff. Er eröffnet den gewünschten Berufsweg. Tatsächlich ist bereits nach der bestehenden Gesetzeslage eine höchst individuelle und spezialisierte Referendarausbildung möglich (z.B. ca. 1 Jahr Ausbildung bei dem Anwalt, 11 Monate Zivilgericht, 10 Monate Verwaltung etc.). Offensichtlich wird diese Wahl- und Gestaltungsmöglichkeit in Richtung auf bestimmte Berufsfelder nicht in wünschenswertem Umfang genutzt, oder es bestehen Defizite in der praktischen Ausbildung. Das ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß die Prüfungsinhalte, die Ausbildungsinhalte und Lernverhalten steuern, deutlich zu justizorientiert sind. Die Prüfung sollte der Spezialisierung innerhalb der Referendarausbildung und den Anforderungen des künftigen Berufs mehr Rechnung tragen. Das Ergebnis wären für die einzelnen Berufsfelder besser ausgebildete Juristen.
- Ein Anwaltsreferendariat würde voraussetzen, daß die Anwaltschaft größere Ausbildungskapazitäten als bisher zur Verfügung stellt und inhaltlich sinnvoll gestaltet. Ob die Anwaltschaft dazu in der Lage ist, könnte zweifelhaft sein, da bereits die Ausbildungsmöglichkeiten nach geltendem Recht - wie von vielen Anwälten bestätigt wird - nicht hinreichend umgesetzt bzw. ausgefüllt werden. Dieses Dilemma wird auch durch Einrichtung von Akademien nicht gelöst (übrigens: Wer soll eigentlich die Kosten für diese Akademien tragen?).
- Im übrigen ist auch bei optimal verlaufender Referendarausbildung eine postassessorale Ausbildung immer erforderlich. Daß die ersten Berufsjahre eine Fortsetzung der Ausbildung bedeuten, ist selbstverständlich, überdies wünschenswert und im übrigen unabhänig von der Frage nach dem "Einheitsjuristen".
Der Hamburgische Richterverein plädiert in der Referendarausbildung für die Beibehaltung des "Einheitsjuristen" im Sinne einer gemeinsamen Sockelqualifikation verbunden mit einem hohen Grad an Spezialisierung. Nach Ansicht des Hamburgischen Richtervereins ist dieses Ziel ohne gravierende Änderung der bestehenden Gesetze zu erreichen. Defizite müssen allerdings in der Umsetzung der Gesetze festgestellt werden. Insoweit besteht Handlungs- und Reformbedarf. Der Hamburgische Richterverein würde es begrüßen, wenn zusammen mit der Anwaltschaft ein schlüssiges, inhaltlich überzeugendes Konzept für die Ausbildung in der Anwaltstation erarbeitet würde. Zu einer differenzierten praktischen Ausbildung mit unterschiedlichen Ausbildungsgängen gibt der Hamburgische Richterverein folgendes zu bedenken:
- Probleme bestehen bei einem Berufswechsel bzw. bei einer Berufswahl, die der Referendarausbildung nicht entspricht. Soll ein "Justizreferendar", der als Richter nicht übernommen wird oder seinen Berufswunsch geändert hat, zusätzlich ausgebildet und geprüft werden, wenn er z.B. Rechtsanwalt werden will? Was soll in diesen Fällen für einen Anwaltsreferendar gelten?
Nach Auffassung des Hamburgischen Richtervereins kann es hier nur eine einheitliche Regelung geben, will man nicht Ausbildungsgänge "erster und zweiter Klasse" schaffen. Jede Zusatzausbildung und -prüfung würde im übrigen die Ausbildungsdauer weiter erhöhen und zusätzliche Kosten verursachen.
Der Hamburgische Richterverein ist der Ansicht, daß dem Wunsch, im Justiz-referendariat ausgebildet zu werden, nicht mit Bedarfsargumenten begegnet werden darf. Jeder Absolvent des 1. Staatsexamens muß grundsätzlich in seiner Berufswahl frei sein. Ihm muß - im Rahmen der Ausbildungskapazitäten - die Gelegenheit eröffnet werden, die Voraussetzungen für den von ihm angestrebten Beruf zu erwerben.
- Im Falle differenzierter praktischer Ausbildungsgänge hält es der Hamburgische Richterverein für wahrscheinlich, daß ganz überwiegend das Justizreferendariat "nachgefragt wird". Stehen nicht ausreichend Ausbildungskapazitäten zur Verfügung, wird dies eine "Bestenauslese" zur Folge haben. Auch insofern bestünde die Gefahr einer Ausbildung unterschiedlicher Klassen, ein Ergebnis, das vermieden werden muß.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Raabe