Günter Bertram plädiert in dem vorstehenden Artikel mit Vorsicht dafür, die verkommene Hinweistafel auf das geplante Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Justiz auf dem Sievekingplatz zu entfernen. Er spricht die Befürchtung aus, eine solche Maßnahme könne politisch falsch gedeutet werden. Ich möchte sein Petitum trotzdem unterstützen.
In falschen politischen Verdacht zu geraten, befürchte ich nicht. Ich habe mich über Jahre für die Errichtung dieses Mahnmals eingesetzt und die Projektgruppe geleitet, der die Gerichtspräsidenten am Sievekingplatz, die Staatsanwaltschaft, Richterverbände, und Behördenvertreter der Justiz-, Kultur-, Umwelt-behörde und des Bezirksamtes Mitte sowie Personalräte der Gerichte und Gewerkschaften angehörten. Immer wieder mußten sie zusammengebracht werden, bedurfte es eines neuen Anstoßes. Ich habe in vielen Aufsätzen dieses Blattes darüber berichtet, wie die Dinge vorangingen oder stagnierten. Schließlich: Den Text auf der Hinweistafel habe ich entworfen und nach Billigung durch die Projektgruppe der Justizbehörde zur Herstellung eines Schildes überlassen. Dieser Hintergrund dürfte mich vor dem Verdacht einer politischen Haltung gegen ein Mahnmal schützen, wenn ich dafür plädiere, die Tafel zu entfernen.
Die Tafel - aufgestellt als kurzeitiger Hinweis zu einem Zeitpunkt, in dem sogar Haushaltsmittel für ein Mahnmal schon eingeworben waren - sollte immer ein Provisorium sein. Die Ungelenkheit der Beine und die simple Machart hatten ihre Charme für eine Übergangszeit. Diese währt nun sieben Jahre und sollte beendet werden.
Das Mahnmal ist abgeschrieben. Die Berechtigung der Hinweistafel entfällt. Senatoren und Präsidenten, die ihre Verbundenheit mit der Idee des Gedenkens für die Opfer nationalsozialistischer Justiz bekundeten, kamen und gingen, ohne daß außer Sonntagsreden irgendeine Initiative für ein Mahnmal ergriffen worden wäre, die über das Bekenntnishafte hinaus reicht:
Ein Wettbewerb der Kulturbehörde wurde geplant und abgesagt. Ein Wettbewerb der "Hamburger Juristen für den Frieden" an der Hochschule für Bildende Kunst wurde am 27.4.1995 unter dem Thema "Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Justiz auf dem Sievekingplatz" ausgeschrieben, Modelle wurden präsentiert. Geschehen ist nichts. Die symbolhafte Pflanzung eines Baumdenkmales wurde als unzureichend abgelehnt.
Hat man die letzten zehn Jahre der Diskussion um Gedenktafeln und Mahnmale zwischen den Gerichtsgebäuden miterlebt, drängt sich die Frage auf, ob das Mahnmal von den Entscheidungsträgern wirklich jemals gewollt war. Zurückweisen konnte man die am Sievekingplatz geborene Idee nicht; dies wäre politisch undenkbar gewesen. Der beste Weg ist immer noch, überschüssige Energien in Arbeitsgruppen abfließen zu lassen.
Unter diesem Eindruck habe ich im November 1994 den Vorsitz der Projektgruppe niedergelegt. Nach der Enthüllung einer Bronzetafel am Oberlandesgerichtsgebäude im Mai 1995 wird es kaum möglich sein, die ursprüngliche Idee wiederzubeleben. Das nötige, wenngleich immer schon etwas verspätete Mahnmal wird es nicht geben.
Leisten wir also die Arbeit des steten Sicherinnerns, die Bertram anmahnt. Planen wir Ausstellungen, schreiben wir über Aspekte jener Zeit, untersuchen wir die Strukturen jener Macht, die exzellente Juristen verführte, willige Handlanger rechter Proleten zu werden. Gute Ansätze dazu sind die Publikation der Justizbehörde "Hamburger Justiz im Nationalsozialismus" und die ergreifende Ausstellung von Bildern, die der Jurist Arthur Goldschmidt in Theresienstadt zeichnete. Solche Veranstaltungen sind nötige Schritte. Sie werden aber wohl rar werden.
Nur damit es nicht ganz in Vergessenheit gerät: Es galt, den Opfern der Unrechtsjustiz nationalsozialistischer Zeit auf einem würdigen Platz ein Gedenkzeichen zu setzen und damit zugleich ein Mahn-Mal für uns Heutige zu errichten. Nicht allein um die in ihrem Grunde unmögliche Bewältigung des Vergangenen geht es dabei. Gegen die tägliche Trägheit der Herzen müssen wir aus der Vergangenheit lernen, und gegen sie brauchen wir ein Denkzeichen. Im Alltag widerstehen - den Bequemlichkeiten der Anpassung und des Schweigens, wo das offene Wort angebracht ist - dies müssen Bürger, Juristen, Richter und Staatsanwälte auch heute und jeden Tag wieder.
Nur "Menschen, die in stillem Zwiegespräch mit sich selbst fragen, ob sie mit einem Mörder, einem Spitzel, einem Rassisten, einem Unterdrücker - nämlich sich selbst - leben wollen, besitzen die Kraft zu einem eigenen Urteil und sind unter der Diktatur gewappnet gegen das Mitmachen". Das eigene Urteil soll uns stärken gegen Anpasserei und Duckmäusertum. Innensenator Hartmuth Wrocklage verlangte jungen Beamtenanwärtern ab, "Zivilcourage, Mut zur eigenen Meinung, Fähigkeit zur Sachargumentation statt Anpasserei, Karriere- und Sicherheitsdenken".
Das Fazit: In dieser Stadt Hamburg ist es unmöglich, einen Zaun zu versetzen, einen Platz zu schaffen, eine künstlerisch gestaltete Fläche anzulegen, einen großen Baum zu pflanzen, ein Kunstwerk einzubinden, das unser Gedenken tragen kann. "Glaube ist der Vogel, der singt, wenn die Nacht noch dunkel ist", sagte Rabindranath Tagore - die Nacht ist ziemlich finster und auf den Vogel zu warten, hat keinen Sinn mehr.
Karin Wiedemann.