Hauptverhandlung vor der Schwurgerichtskammer. Nach Monaten halten Staatsanwalt und Verteidigung ihre Schlußvorträge. Haftbeschwerde der Verteidigung. Der Strafsenat - schamhaft sei verschwiegen, wo und welcher - verwirft, weist zur Frage der Verhältnismäßigkeit auf die womöglich zu erwartende Höchststrafe hin und führt aus:
"Vor diesem Hintergrund muß der Freiheitsanspruch des Angeklagten ungeachtet der Tatsache zurückstehen, daß das Landgericht trotz der insgesamt schon langen Dauer das Verfahren verzögert hat, indem es - um einem Mitglied der Kammer einen Urlaub zu ermöglichen - die Hauptverhandlung am 16. Dezember 1996 unmittelbar vor dem letzten Wort der Angeklagten gemäß § 229 StPO unterbrochen und Termin zur Fortsetzung auf den 13. Januar 1997 anberaumt hat ...".
Eine mögliche Verletzung der Konzentrationsmaxime führe nicht zwangsläufig zu dem Ergebnis, daß die dadurch bedingte Verlängerung der Untersuchungshaft unverhältnismäßig wird.
Den Angeklagten kann das Ergebnis nicht erfreuen, die Verteidigung schon eher, scheint sie ihr doch ein Pfund in die Hand zu geben, mit dem sich künftig trefflich wuchern läßt.
Wirklich? Könnte der Erholungsurlaub des Richters, ohnehin unter das Diktat der Großverfahren gestellt, demnächst zur Dispositionsmasse der Verfahrensbeteiligten gehören? Die Richter verwiesen auf den last-minute-Schalter?
Man mag die Nase rümpfen über die Optik einer Entscheidung, die Hauptverhandlung für längere Zeit zu unterbrechen in einer Phase, in der "nur noch" das letzte Wort des Angeklagten aussteht. Ein Schelm, der Böses dabei denkt! Denn gegen einen Wiedereintritt in die Beweisaufnahme ist das Gericht damit nicht gefeit, wie sich denn im Fall auch alsbald erwiesen hat: Einem weiteren Beschluß in derselben Sache ist zu entnehmen, daß die Staatsanwaltschaft angekündigt hat, einen Beweisantrag zu stellen. Im übrigen: Wo liegt in der Auswirkung ("Verzögerung") der Unterschied zu der Konstellation, daß die Schwurgerichtskammer die Unterbrechung nach Schluß der Beweisaufnahme anordnet, oder nach der Einlassung des Angeklagten, oder vor Erörterung von Vorbelastungen? Es gibt keinen, es sei denn in der Optik.
Zu rechtfertigen ist der obergerichtliche Tadel nur, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, Richter hätten ihr Erholungsbedürfnis so einzurichten, daß sie den Freiheitsanspruch des inhaftierten Angeklagten nicht tangieren. Sicherlich kein Problem, wenn das Timing der Straftaten stimmt. Auch kein Problem, gäbe es da nicht den § 121 StPO.
Der Tatrichter unterliegt dem Irrtum. Deshalb habe ich nachgelesen. Bei aller Mühe: Ich habe Art. 1, 2, 3 und 6 GG keinen Vorbehalt entnehmen können, der etwa den Anspruch des Richters (und seiner Familie) auf Achtung der Menschenwürde und auf körperliche Unversehrtheit irgendwelchen berufsbedingten Einschränkungen unterwirft.
Fazit: Auch Oberrichter irren. Richter haben Urlaub. Das Jahr in der Regel nicht mehr als 365 Tage.
Jürgen Franke