Wer am Ufer des unablässig flutenden Novellenstroms steht, der sich aus den Bonner und demnächst Berliner Ministerien durchs Land ergießt, den mag eine nostalgische Sehnsucht nach den Zeiten der 10 Gebote des Volkes Israel oder der 12 Tafeln Roms anwandeln: Kurz, klar, ein für allemal! Daß die Lebenswirklichkeit komplexer wurde: schon in der Bibel selbst, dem Talmud und der jüddischen Tradition, dem Corpus iuris nebst Glossatoren, Postglossatoren und der Rezeption - man hat es gelernt.
Die Demokratie kennt nicht den heiligen Berg, auf den in Rauch und Donner das Gesetz herniederfährt, oder die unvordenkliche Tradition, deren Autorität dem Dekret Geltung verschafft. Bei uns - wer möchte es missen? - kündigt sich das Gesetz in Diskussionspapieren, Vorentwürfen, Entwürfen u.ä. zuweilen laut, zuweilen leise an, wird hin- und hergezerrt, beredet, verbessert, verwässert, "konsensfähig" gemacht und, wenn es denn überlebt, mühsam geboren, um bald erneut verändert, ergänzt oder entleert zu werden - zum Besseren, zum Schlechteren: wer wollte das entscheiden?
Kein lebender Geist - nur der gedankenlos speichernde Computer - kann diesen Strom in sich aufnehmen. Man registriert bestenfalls gewisse Entwicklungen eng umgrenzter Rechtsgebiete. Mir schwappen - zwecks Stellungnahme - mit einer gewissen Regelmäßigkeit die Vorprodukte strafrechtlicher Novellengesetzgebung über den Schreibtisch, die im Bonner BMJ ihren formellen - die eigentlichen Quellen sprudeln natürlich "im politischen Raum" - Ursprung haben. Heuer ist es der "Entwurf eines 6. Gesetzes zur Reform des Strafrechts": 62 Seiten Text, doppelt so viel an Begründung.
Seien Sie, bitte, unbesorgt: Ich werde vor meinen weihnachtlich gestimmten Lesern kein Fachgesimpel ausbreiten. ...Aber halt: Ist es wirklich überflüssig, an dieser Stelle zu bemerken, daß die Verschonung meiner Leserinnen mir nicht im geringsten weniger am Herzen liegt? Damit bin ich schon in der Nähe dessen angekommen, was ich Ihnen unterbreiten möchte - stehe an seichten Wassern, von denen eine salzige, schwere und sperrige Fracht umspült wird, die wir dort ungeöffnet liegen lassen wollen.
1. Der Vorspruch des Entwurfs kündigt die Substanz der Sache an - mit dem Zusatz ..."... dabei werden die betreffenden Vorschriften vereinfacht ... und geschlechtsneutral gefaßt." Das rief mir eine abgestandene, längst vergessene Lästerglosse der FAZ - "§ 211 StGB: die Mörderin wird mit Lebenslang bestraft" - ins Gedächtnis, so daß ich, die systematische "Knochenarbeit" einstweilen beiseiteschiebend, nun mit einer gewissen Neugier just diesem Gesichtspunkt im kursorischen Durchblättern des Konvoluts nachzugeben Lust bekam:
Gesetze pflegen trocken und kompliziert zu sein, aber einige sind uns doch - auch dem strafrechtlichhen Laien - fast so vertraut wie Sinnsprüche und Volksweisheiten: "Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein", "wer einmal lügt, dem glaubt man nicht", "wer schreibt, der bleibt" und dergleichen. Nicht ganz so anheimelnd, doch einem volkstümlichen Sprachstil nicht gar zu ferne, lauten ein paar alte Basisnormen unseres Strafrechts:
"Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen, ..." (§ 242 StGB), "wer einen anderen körperlich mißhandelt, ..." (§ 223 StGB). Der "wer" ist der Täter, der "andere" das Opfer, "der Verletzte", "der Genötigte" (§ 253 StGB), im Extremfalle "der Getötete", wie es in § 213 StGB u.a. heißt. So steht es in hundert Paragraphen - wie sonst sollte man sich ausdrücken?
Nun soll das geändert werden und die Definition z.B. des Diebstahls lauten:
"Wer eine fremde bewegliche Sache einer anderen Person
in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einer dritten Person
rechtswidrig zuzueignen, wird ... bestraft."
"Der andere" wird jetzt zur "anderen Person" umgewandelt, je nach Bedarf
im Genitiv, Dativ oder Akkusativ. Die Zahl dieser "anderen Personen" wird
so sprunghaft anwachsen, daß sie sich gelegentlich in einem einzigen
Absatz drei- oder vierfach drängeln:
§ 253 (1) StGB:
"Wer eine andere Person ... nötigt und dadurch dem Vermögen der genötigten oder einer anderen Person Nachteil zufügt, um sich oder eine dritte Person zu Unrecht zu bereichern, ..."
Gelegentlich wird "der andere" auch durch den "Menschen" ersetzt:
So heißt die neue Anweisung zum "Erpresserischen Menschenraub", § 239 a StGB:
"In Abs. 1 werden das Wort "anderen" jeweils durch das Wort "Menschen" und die Wörter "eines Dritten" durch die Wörter "einer dritten Person" ersetzt. Mal dies, mal das ...
So werden insbesondere der 13. (§§ 174 ff.),17. (§§ 223 ff.), 18. (§§ 234 ff.), 19. (§§ 242 ff.), 20. (§§ 249 ff.) und der 27. (§§ 306 ff.) Abschnitt des StGB solch’ eine Reform des sprachlichen Ausdrucks unterworfen:
Keine "anderen" mehr, keine Verletzten, Genötigten, Getöteten, sondern eine schier inflationäre Menge ebensolcher "Personen" oder "Menschen"! Es muß, ganz nebenher bemerkt, einer unverzeihlichen Computerfehlprogrammierung zu verdanken sein, daß die Neufassung des § 316 a StGB es beim "räuberischen Angriff auf Kraftfahrer" (nebst dessen Mitfahrer!) belassen will, statt korrekt eine Person, die mit einer Person, die ein Kraftfahrzeug führt, als (alternatives) Schutzgut zu definieren. Aber nobody ist perfect. ...
Schließlich kam mir, nach staunender Lektüre und hundert Textmarkierungen, die alte, alberne Lästerglosse der FAZ wieder in den Kopf. Wie hatte sie mir entfallen können? Offenbar deshalb, weil ihre - ironisierend aufgeworfene - Frage hier, im Vorhof des Gesetzgebers, überhaupt kein Thema gewesen war: Herr "Wer", mit dem fast alle Paragraphen anheben, bleibt der "Wer": nämlich "der Täter" - in Haupt- und Nebensätzen.
2. Also griff ich zur Entwurfsbegründung. Dort liest man dann:
"Die hier vorgeschlagenen Änderungen dienen dem Anliegen, die Vorschriften des StGB - insbesondere die Bezeichnung der Opfer von Straftaten - soweit wie möglich geschlechtsneutral zu formulieren".
Dort steht auch, daß schon das 26. Strafrechtsänderungsgesetz vom 14.07.1992 den sprachschöpferischen Anfang gemacht und z.B. den "anderen" im alten § 223 StGB (Körperverletzung, s.o.!) durch "eine andere Person" korrigiert hatte (was mir entgangen war: solche Paragraphen hat man im Kopf und liest sie auch in Ergänzungslieferungen nicht erneut).
Der Elan, darin jetzt fortzuschreiten, mag durch den Anlaß der Novelle beflügelt worden sein: Sexualverbrechen gegen Mädchen und Frauen, sadistische und pornographische Gewalttätigkeiten haben das Land aufgewühlt, und die Wogen haben natürlich auch den Gesetzgeber erreicht. Um diese Konsequenzen geht es vor allem. Liegt es dann nicht nahe, den weiblichen Opfern zunächst im einschlägigen 13. Abschnitt des StGB - und dann bei passender Gelegenheit auch anderswo und schließlich überall - die sprachliche Reverenz zu erweisen?
Der Kriminalstatistiker könnte ein übriges beisteuern: Etwa 3/4. (nach der letzten Hamburger Kriminalstatistik ca. 4/5) aller Täter sind männlichen Geschlechts. Allerdings - so müßte er fairerweise hinzufügen - auch der überwiegende Teil der Opfer. Immerhin dürfte der (insgesamt schwer bestimmbare) Anteil der Frauen hier bei 1/3 liegen, was den Befund ergibt, daß Frauen relativ selten Täterinnen, daran gemessen aber häufig Opfer krimineller Taten sind.
Was aber - in aller Welt! - heißt das für die Sprache, die Formulierungg des Gesetzes? Peter Noll - "Gesetzgebungslehre" (Hamburg 1973) - hält 1000 gute Ratschläge für den Gesetzgeber bereit, verliert aber kein Wort über die Kriminalstatistik und schreibt keine Silbe zu unserem Problem. Ist es denn wirklich eines?
3. Als Drucksache 12/1041 vom 07.08.1991 liegt der "Bericht der Arbeitsggruppe Rechtssprache vom 17.01.1990: Maskuline und feminine Personenbezeichnungen in der Rechtssprache" vor: 35 Seiten mit 96 Fußnoten. Die Arbeitsgruppe: 4 Frauen (einschließlich Prof. Jutta Limbach), 4 Männer; die Lektüre: anregend, voll bedenkenswerter, oft dennoch zweifelhafter Passagen.
Als sprachwissenschaftliche Prämisse wird vorangeschickt:
"Grundlegend für die Feststellung und Bewertung der zur Personenbezeichnung verwendeten sprachlichen Ausdrücke ist die Unterscheidung zwischen Genus und Sexus. Mit Genus, dem sogenannten grammatischen Geschlecht, werden bestimmte grammatische Formeigenschaften der Substantive und einiger Personalpronomina benannt. Jedes Substantiv im Deutschen hat ein Genus, das sich im Singular auf die Form des jeweils zugehörigen Artikels, Adjektivs oder Pronomens auswirkt (ein großer Tisch, eine lange Bank, ein altes Haus). ...
Das Genus hat als grammatische Formkategorie seine Hauptfunktion in der Kennzeichnung syntaktischer Zusammenhänge; es kennzeichnet die grammatischen Beziehungen zwischen den nominalen Satzteilen (Das Kind, dessen Mutter krank ist, wird von seinem Vater versorgt).
Sexus ist eine von sprachlichen Gegebenheiten unabhängige biologische Eigenschaft von Menschen und anderen Lebewesen. Sexus umfaßt die beiden Geschlechtseigenschaften männlich und weiblich. Das Genus der allermeisten deutschen Substantive hat mit den Eigenschaften "weiblich" und "männlich" nichts zu tun, zumal die meisten Substantive keine Lebewesen bezeichnen. Im Hinblick auf die vielen nominalen Ausdrücke wie der Verstand, der Mond, der Baum, die Sonne, die Vernunft, das Brett, das Glück sollten mißverständliche Wendungen wie "männliche, weibliche und sächliche Sprachform" vermieden und stattdessen die üblichen grammatischen Bezeichnungen Maskulin, Feminin und Neutrum gebraucht werden.
Sexuseindeutig sind unter den Substantiven zur Bezeichnung von Menschen unter anderem Frau, Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Sohn, Tochter, Onkel, Tante, Amme. Bei diesen Substantiven gehören die Eiggenschaften männlich bzw. weiblich fest zur Wortbedeutung. Die Maskulina haben hierbei stets die Bedeutung männlich, die Feminina die Bedeutung weiblich. ...
Die meisten Substantive zur Bezeichnung von Menschen nach ihren Funktionen, Fähigkeiten oder anderen Eigenschaften sind in ihrer einfachen Form Maskulina: Bürger, Lehrer, Student, Arzt. Zu diesen Ausdrücken gibt es feminine Entsprechungen mit dem Suffix -in: Bürgerin, Lehrerin, Studentin, Ärztin. Diese sog. movierten, d.h. aus den Maskulina abgeleiteten Feminina haben stets die Bedeutungseigenschaft weiblich.
Anders als die sexuseindeutigen, movierten Feminina haben viele der unmarkierten Maskulina zwei Verwendungsarten: einmal zur Bezeichnung von männlichen Personen, zum anderen zur sexusindifferenten Bezeichnung von Personen, deren Geschlecht nicht bekannt ist oder für den jeweiligen Zusammenhang unwichtig ist. Zum Beispiel: Das durch Suffix markierte Substantiv Studentin bezieht sich ausschließlich auf weibliche Studierende. Das unmarkierte Maskulinum Student dagegen kann sowohl zur Bezeichnungn männlicher Studierender als auch geschlechtsindifferent verwendet werden. Mit einem Satz wie Alle Studenten schreiben morgen eine Klausur sind im allgemeinen Studierende beiderlei Geschlechts gemeint, während in dem Satz Alle Studentinnen schreiben eine Klausur eindeutig nur von den weiblichen Studierenden die Rede ist. ...
Geschlechtsindifferent werden die maskulinen Grundformen der Personenbezeichnungen durchweg auch in Wortzusammensetzungen und -ableitungen verwendet: z.B. in studentisch, Lehrerkollegium, Bürgerinitiative, Ärztekammer...
Bei der geschlechtsindifferenten Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen spricht man auch von generischen Maskulina. Die Bedeutungsunschärfe maskuliner Personenbezeichnungen wird im konkreten Sprachgebrauch meist ausgeglichen durch den Textzusammenhang oder die Gebrauchssituation sowie die Wirklichkeitserfahrung und Sachkenntnis der Lesenden und Hörenden..."
Das aber werde kritisiert, "weil beim Lesen oder Hören aufgrund
einer verbreiteten Gleichsetzung von Genus mit Sexus diese Personenbezeichnungen
häufig nicht ge-
schlechtsindifferent verstanden werden, sondern mit ihnen Männer
assoziiert würden. Diese Gedankenverbindung liege besonders in Fällen
nahe, in denen von Ämtern und Funktionen die Rede sei, die bisher
überwiegend oder ausschließlich von Männern wahrgenommen
würden", so daß die Suche nach "geschlechtsindifferter Ausdrucksweise"
geboten sei. Dies werde bekanntlich bestritten, aber zu Unrecht:
"Der Einwand kommt meist von Männern. Manche Frauen, die in dem herkömmlichen Sprachgebrauch für sich keine Probleme sehen, schließen sich an.
Festzustellen ist, daß für Männer der Gebrauch des generischen Maskulinums unproblematisch ist. Stets sind sie gleichzeitig unmittelbar angesprochen. Sie wissen nicht, wie Frauen empfinden, wenn sie etwa als Inhaber eines Reisepasses unterschreiben müssen oder Antragsteller oder Erziehungsberechtiger sind. Männer unterschreiben immer als Inhaber eines Reisepasses. Sie sind Antragsteller, Erziehungsberechtigter etc. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, wenn Frauen ihre Betroffenheit äußern und diesen sprachlichen Gegebenheiten Bedeutung beimessen. Das Problem der subjektiven Betroffenheit kann auch nicht beiseite geschoben werden mit dem Hinweis, das Gemeinte sei ja klar... Ebensowenig kann die indifferente Einstellung von Frauen gegenüber dem herkömmlichen Sprachgebrauch angeführt werden, um anderen Frauen die Betroffenheit abzusprechen."
Man hüte sich, die Sache zu veralbern: "Die Kritik von Frauen entzündet sich auch nicht, wie unterstellt wird, an Wörtern wie Bürgersteig und herrenloses Fahrrad und will diese nicht in Bürgerinnensteig und in damenloses Fahrrad umwandeln. ... Dieses Abgleiten ins Lächerliche mag naheliegen, weil herkömmliche Sprachgewohnheiten und männliche Dominanz in Frage gestellt werden."
Wir übergehen, weil es nicht unser engeres Thema ist, den langen Abschnitt über "Amtssprache und normgebundene Verwaltungssprache". Wichtig ist er dennoch. Denn die Ämter, Behörden und Gerichte in ihren Bekanntmachungen, Formularen, Urteilen und dergleichen sprechen zu Frauen und Männern, zu konkreten Menschen aus Fleisch und Blut, "zum Volke". Das Gesetz hingegen, die allgemeine Rechtsvorschrift ist abstrakt und bedarf der Anwendung, Vermittlung und Verlebendigung.
Zur "Vorschriftensprache" heißt es:
"Soweit in Vorschriften auf Personen Bezug genommen wird, werden sie so gefaßt, daß auch hier nur die für die Regelung wesentlichen Eigenschaften, Merkmale, Funktionen hervorgehoben werden. Die Betonung aller sonstigen zur Abgrenzung unwesentlichen Merkmale ist entbehrlich. Ist es für den Regelungsinhalt unwesentlich, ob die Person männlich oder weiblich ist, wird das Geschlecht nicht hervorgehoben und sprachlich die geschlechtsindifferente Bezeichnung, also in der Regel das generische Maskulinum verwendet.
So ist es zum Beispiel für die Umschreibung der Leistungspflicht aus einem Kaufvertrag allein wesentlich, daß ein Entgelt für die Überlassung der verkauften Sache an den Vertragspartner zu zahlen ist. Absolut unerheblich ist es, ob diese Leistungspflicht einen Mann, eine Frau, einen gesetzlichen Vertreter für ein Kind, eine juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts, einen Verein, eine Stadt, ein Land,, den Bund, eine Personengesellschaft etc. trifft. Die personale Anknüpfung der Leistungspflicht muß also so offen formuliert werden, daß sie auf alle möglichen Vertragspartner Anwendung finden kann. Diese offene allgemeine Ausdrucksweise erfolgt in § 433 des Bürgerlichen Gesetzbuches mit dem Satz: Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen unnd die gekaufte Sache abzuehmen. Würde nun formuliert: Der Käufer bzw. die Käuferin ist verpflichtet, dem Verkäufer bzw. der Verkäuferin den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen, würde das Geschlecht der verpflichteten Personen - für die Pflichten aus dem Kaufvertrag völlig nebensächlich - betont."
Die Arbeitsgruppe kennt indessen das verminte Terrain und zitiert die Kritik und deren Alternativ-Ideen ausgiebig und respektvoll, ohne sie indessen für berechtigt zu halten:
"Die für die Arbeitsggruppe maßgebenden Gründe sind überwiegend rechtssystematischer, zum Teil auch praktischer und ästhetischer Art."
Die grassierenden "Paarformeln" werden gewogen und als zu leicht befunden:
"Soll es heißen "der Käufer und die Käuferin sind verpflichtet, dem Verkäufer und der Verkäuferin den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen"? Das scheidet aus, weil dadurch der unrichtige Eindruck entstehen würde, als ob immer zwei und dazu noch zwei geschlechtsverschiedene Personen zur Leistung verpflichtet sind."
Das Rundfunkgesetz des Saarlandes vom 11.08.1987 wird in der Rubrik "sprachliche Schwierigkeiten" zitiert:
"Der Intendant/die Intendantin wird nach Maßgabe der Satzung vom stellvertretenden Intendanten/von der stellvertretenden Intendantin vertreten. Dieser/Diese wird vom Intendanten/ der Intendantin mit Zustimmung des Rundfunkrates bestellt bzw. abberufen. ...
Der Direktor/die Direktorin vertritt die Landesanstalt gerichtlich und außergerichtlich. Er/Sie führt die laufenden Geschäfte und bereitet die Entscheidungen des Vorstandes vor. Der Direktor/die Direktorin ernennt die Beamten und Beamtinnen der Landesanstalt. Er/Sie ist Vorgesetzte/Vorgesetzter..."
Auch die berühmte Schreibweise mit "großem I" (die auch hier im MHR in gelegentlichen Beiträgen zu finden ist) wird einer leisen Kritik unterzogen:
"Bei Wörtern wie JuristIn, KandidatIn, ReferentIn, wird der gewollte "Einschnitt" auch beim Lesen nicht sofort klar. Sprechen und Lesen lassen sich diese Ausdrücke nicht so, daß der Bezug auf Männer und Frauen gleichermaßen deutlich wird. Vorschriften müssen präzise mündlich zitierbar sein. Die Vorschriftensprache muß dem Rechnung tragen."
Es würde leider zu weit führen, die vielen herrlichen Zitate, mit denen der Bericht nicht geizt, hier wieder zu zitieren: Vor allem aus dem Prüfungs-, Hochschul- und Rundfunkbereich. Vieles sollten wir aus den amtlichen "Umläufen" kennen - aber wer liest sie schon?
Das kühle Fazit:
"Anders als bei der Amtssprache ist das Geschlecht bei den Personenbezeichnungen in den abstrakten und generellen Vorschriften mit Ausnahme der wenigen geschlechtsspezifischen Regelungen nicht bedeutsam und daher nicht hervorzuheben."
Es sind also - vor dem Hintergrund dessen, was die Arbeitsgruppe offenbar "abgewimmelt" hatte! - moderate Anregungen an den Gesetzgeber zur "Ersetzung einzelner generischer Maskulina durch geschlechtsindifferent verwendete Substantive", auf die man sich letztlich geeinigt oder zusammengerauft hatte:
"Fachliche, frauenpolitische und sprachliche Gesichtspunkte müssen hier bei der Formulierung von Vorschriften in Einklang gebracht werden."
Deren "Umsetzung" - ein ach so beliebter Ausdruck der verwalteten Welt - ist dennoch still, aber unaufhaltsam im Gang.
Ich persönlich registriere es mit Skepsis: Die schlichte, karge aber klare Zeit der 12 Tafeln oder 10 Gebote ist unwiederbringlich vorbei: das ist wahr. Aber die moderne Lebenskomplexität wird von uns fahrlässig, ohne wirkliche Not weiter gesteigert:
Das Parlament ergeht sich ohnehin seit eh und je in dem, was man "symbolische Gesetzgebung" nennt, und schafft leerlaufende Normen, treibt Volkspädagogik, wedelt mit rhetorischen Strafverschärfungen in der Luft herum und dgl.
Nun tritt also seit geraumer Zeit eine weitere Form gesellschaftspolitischer Pädagogik auf den Plan, das rein sprachliche "Zeichen-Setzen" ...!
Mancher Kollege, manche Kollegin wird mir jedenfalls in letzterem gewiß widersprechen. Ich wäre glücklich, wenn es laut und deutlich geschähe: Am besten hier, in unserem Mitteilungsblatt. Denn Streit und Diskussion (denken wir doch an die "Friedensdiskussion" des Jahres 1983) sind ihm - also zugleich uns selbst - immer gut bekommen!
Günter Bertram