Horst-Diether Hensen im Ruhestand
OLG-Präsident Wilhelm Rapp zur Verabsschiedung
am 27. Juni 1996
Lieber Herr Hensen,
meine sehr geehrten Damen und Herren!
Jetzt ist es also soweit: Ich soll - und mag das eigentlich noch nicht
so recht glauben - eine Rede zur Verabschiedung meines Vizepräsidenten
in den Ruhestand halten.
Wenn man Sie, lieber Herr Hensen, so ansieht und wenn man tagtäglich
mit Ihnen zusammenarbeitet, dann wird man Verständnis dafür haben,
daß ich noch zweifle, ob es wirklich wahr ist, daß Sie in Pension
gehen. Denn Sie sind gleichsam die verkörperte Begründung für
eine baldige Heraufsetzung des Pensionsalters für Richter.
65 Jahre jung, schon ein bißchen weise, aber immer noch neugierig
auf neue Entwicklungen, immer noch mit jungenhaftem Charme, immer noch
juristisch und körperlich topfit und: Unverändert, immer noch
der Horst-Diether Hensen, über den es mal in ganz frühen Beurteilungen
- ich denke, ich darf das zitieren - hieß:
"Er gehört zu den besonders tüchtigen Richtern ...", "Er
verhandelt frisch und unbefangen, sagt Parteien und Anwälten seine
Meinung verständlich und offen ...", (das macht er übrigens auch
mit Professoren, Präsidenten und Senatoren). Dann wurde ihm bescheinigt,
daß er "...zu den besonders beweglichen Kollegen" gehört, allerdings
mit dem aparten aber auch notwendigen Klammerzusatz "im guten Sinn".
Und so einen läßt man in den Ruhestand ziehen. Eigentlich
ist das eine unglaubliche Vergeudung richterlicher Ressourcen, die sich
Hamburg in einer Zeit der Sparzwänge und unter dem Gebot des effektiven
Einsatzes der knappen Finanzen nicht leisten dürfte.
Aber: Die Akten- und Gesetzeslage ist bedauerlicherweise absolut eindeutig.
Sie sind - was ich Ihnen nicht weiter vorhalten will - am 3. Juni 1931
geboren worden und haben mithin in diesem Monat das fünfundsechzigste
Lebensjahr vollendet. Da ist der Ruhestand fällig und - leider - nicht
länger hinauszuschieben. Und er sei Ihnen von uns allen auch von Herzen
gegönnt. Und zwar nicht nur deswegen, weil die gegenwärtige Lage
in Hamburgs Justiz einem sicherlich den Weg in den Ruhestand leicht macht.
Nein, wir gönnen Ihnen den Ruhestand deswegen, weil Sie ihn sich wirklich
verdient haben. Denn Sie haben in den insgesamt fünfunddreißigeinhalb
Jahren Ihrer Zugehörigkeit zur Justiz in Hamburg nicht nur Ihre dienstlichen
Pflichten als Staatsanwalt, als Richter und in der Gerichtsverwaltung hervorragend
und vorbildlich erfüllt, sondern Sie gehören zu den wenigen Persönlichkeiten,
die die hamburgische Justiz der letzten Jahrzehnte geprägt haben.
Keine Sorge, ich werde jetzt nicht anfangen, Ihnen Ihren gesamten beruflichen
Lebensweg im einzelnen zu referieren. Damit würde ich zum einen meine
Zeit gewaltig überziehen und zum anderen kennen Sie die Einzelheiten
dieses Weges ohnehin besser als ich. Aber einiges muß schon gesagt
werden.
Lassen Sie mich damit beginnen zu berichten, wie ich Sie kennengelernt
habe. Es war Anfang 1979. Ich war damals gerade an das noch hier im Hause
befindliche Oberverwaltungsgericht zum Zwecke des juristischen Schauturnens
(man nennt das auch "Drittes Staatsexamen") abgeordnet worden. Mittags
traf sich das gesamte OVG zu einem vergleichsweise steif-zeremoniellen
Essensritual an einer langen Tafel in der Kantine - Sitzordnung in der
Regel völlig zwanglos nach Dienstrang und -alter. Dazu gesellte sich
bisweilen wie ein gegnerischer Stürmer in der Mauer - Reden ohne Fußballbezug
sind in diesen Tagen unzulässig - ein zivilistischer Kollege vom Oberlandesgericht,
der dadurch auffiel, daß er im Gespräch ab und an die heiligsten
rechtlichen Kühe der Verwaltungsrichter eben schlicht als Kühe
entlarvte und der auch nicht davor zurückschreckte, die für mich
als Hilfsrichter doch schon etwas entrückt erscheinenden Spitzen der
Verwaltungsgerichtsbarkeit mit dem einen oder anderen gekonnten, flotten
Spruch zu irritieren; heute würde man wohl sagen: anzumachen. Auf
meine Frage, wer das denn sei, bekam ich von einem älteren Kollegen
die Antwort: "Das ist der Hensen" und mit bedeutungs- und ehrfurchtsvollem
Ton fügte er hinzu: "Sie wissen schon, der Hensen mit den AGB".
Aber Sie sind natürlich viel, viel mehr als "der Hensen mit den
AGB", auch wenn Ihr Name aus der Entwicklung des Rechtes der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen nicht wegzudenken ist. Als Mitglied der Arbeitsgruppe
AGB beim Bundesminister der Justiz waren Sie einer der Väter des AGB-Gesetzes
und als anerkannter Kommentator prägen Sie dieses Rechtsgebiet weiterhin.
Als Mitglied der Schuldrechtskommission haben Sie einen Beitrag zur Weiterentwicklung
eines zentralen Bereichs des Zivilrechts geleistet. Sie sind als Vizepräsident
des Hamburgischen Verfassungsgerichts Mitglied eines Verfassungsorgans
der Freien und Hansestadt Hamburg. Im Richterwahlausschuß haben Sie
die Personalpolitik für die Justiz in Hamburg mit gestaltet. Als Senatsvorsitzender
haben Sie die Rechtsprechung Ihres 10. Zivilsenates entscheidend geprägt
und sich Achtung und Vertrauen bei den Rechtsuchenden und der Anwaltschaft
erworben. Seit rund neun Jahren stehen Sie als Vizepräsident mit an
der Spitze der Verwaltung unseres Gerichts und nehmen wesentlichen Einfluß
auf die Motivation aller Mitarbeiter dieses Hauses, worunter ich - um gelegentlichen
Mißverständnissen vorzubeugen - nicht nur die Richter, sondern
alle in diesem Hause tätigen Menschen verstehe. Daneben waren Sie
Mitglied im Richterdienstgericht, im Ehrengerichtshof der Rechtsanwaltschaft,
Sie haben eine Vielzahl von Einigungsstellen nach dem Personalvertretungsgesetz
geleitet und als gesuchter und allseits anerkannter Schiedsrichter in einer
noch viel größeren Zahl von Schiedsgerichten mitgewirkt. Und:
Sie sind der Präsident des Landesjustizprüfungsamtes. Ich weiß,
daß Ihnen dieses Amt immer besonders am Herzen lag und daß
Sie sich wie kaum ein anderer für die Juristenausbildung in Hamburg
engagiert haben. Ich denke, eine ganze Generation junger Juristen in Hamburg
schuldet Ihnen dafür Dank und Anerkennung.
Wenn man die Aufzählung dessen hört, was Sie alles neben
ihrem richterlichen Hauptamt gemacht haben - das meiste davon auch noch
parallel - dann bleibt für mich immer die Frage, wie Sie dies geschafft
haben, da der Tag doch nur aus vierundzwanzig Stunden besteht und es überdies
bei Ihnen auch ein Privatleben gibt. Vielleicht verraten Sie mir mal das
Geheimnis - ich denke, ich kann es gebrauchen, zumal ich ja jetzt nicht
nur ohne Sie, sondern wohl für ein paar Monate ganz ohne einen Vizepräsidenten
werde auskommen müssen.
Damit komme ich zu Ihrer Funktion als Vizepräsident des Hanseatischen
Oberlandesgerichts. Als ich hier vor zwei Jahren mein Amt antrat, kam ich
gewissermaßen von einem anderen juristischen Stern, der zwar auch
seine Probleme und Sorgen hat, aber der kaum mit dem vergleichbar ist,
was einen hier in der ordentlichen Gerichtsbarkeit erwartete. Ich muß
heute sagen, der Gewöhnungsschock war beträchtlich. Daß
ich ihn - hoffentlich ohne Schaden zu nehmen - inzwischen überwunden
habe und mich in der ordentlichen Gerichtsbarkeit sehr wohl fühle,
das verdanke ich zu einem ganz, ganz großen Teil Ihnen, Ihren Ratschlägen,
Ihrer gelegentlichen Kritik, Ihrer Loyalität und Ihrer menschlichen
Zuwendung. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Ich
hätte mir keinen besseren, keinen kenntnisreicheren und keinen erfahreneren
Vertreter wünschen können. Auch insoweit steht in einer Ihrer
ersten Beurteilungen ein Satz, den ich vollauf bestätigt gefunden
habe: "... er arbeitet gründlich und sorgfältig, ist aber auch
klug und vorsichtig genug, riskante Angelegenheiten als solche zu erkennen
...": Man mag über die sprachliche Perfektion dieses Satzes streiten,
aber inhaltlich beschreibt er ziemlich genau ein Essential für jeden,
der im Gerichtsmanagement Erfolg haben will. Daß Sie diesen Erfolg
hatten - wer wollte das bestreiten.
Für Ihre langjährige erfolgreiche Tätigkeit als Vizepräsident
dieses Gerichts schulde nicht nur ich Ihnen Dank, sondern alle Angehörigen
des Gerichts: Die Wachtmeisterinnen und Wachtmeister ebenso wie die Richterinnen
und Richter, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kanzlei genauso
wie die in den Geschäftsstellen und in der Präsidialabteilung.
Es ist in Hamburg nicht üblich, Orden oder Ehrenpräsidentschaften
zu verleihen, und ich glaube, wir beide finden das gut so. Um so mehr ist
es ehrlich und von Herzen kommend, wenn ich nicht nur in meinem, sondern
im Namen aller, die Sie in Ihre Einladung so treffend als "OLG-Menschen"
bezeichnet haben, sage: Wir danken Ihnen für alles, was Sie für
dieses Gericht geleistet haben, wir lassen Sie nur ungern in den Ruhestand
ziehen, und wir werden Sie ganz sicher vermissen.
Eigentlich war das ein Schlußsatz. Aber Sie müssen mich
noch ein wenig ertragen. Ich darf nämlich mit dieser Rede nicht aufhören,
ohne das Kapitel "Abschiedsgeschenk" abgearbeitet zu haben. Die Präsidialabteilung
und die Referentenrunde haben sich mit der Auswahl eines Geschenkes für
Sie ganz schön schwer getan und ohne heimliche Telefonate mit Ihrer
Frau, von denen Sie aber möglicherweise doch Wind bekommen haben (...erkennt
riskante Angelegenheiten usw. ...), hätten wir vielleicht ziemlich
danebengelegen. Was es denn ist, werde ich nicht verraten, man kann es
aber gleich erraten. Das Geschenk besteht aus zwei Teilen: Einem schlichten
Gutschein, für den sich ein - wie wir hoffen - angemessenes Gerät
Ihrer Wahl erwerben läßt. Damit der bestimmungsgemäße
Gebrauch des Gerätess gewährleistet ist, überreiche ich
Ihnen dazu einen Sack voller Kohle. Kohle ist ja auch im übertragenen
Sinne stets nützlich, aber in Hamburg kaum noch zu haben. Für
den Betrieb unseres Geschenkes in Ihrem Garten wünschen wir Ihnen
gutes Wetter, guten Appetit, viel Spaß und daß Ihnen nie etwas
anbrennen möge.
Wenn Sie denken, jetzt wäre Schluß, dann ist das falsch.
Jetzt kommt der Abschnitt "Nebengeschenk": Einige von uns haben für
Sie ein kleines maritimes Bild besorgt, von dem wir annehmen, daß
es für Sie wegen der beruflichen Tätigkeit Ihres Herrn Vaters
und vielleicht auch wegen eigener Erinnerungen einen persönlichen
Bezug hat. Es ist eine Zeichnung der hamburgischen Staatsyacht "Scharhörn".
Der Hintergedanke dabei ist folgender: Ein Bild mit einem gewissen persönlichen
Bezug wird öfter betrachtet als eines ohne. Vielleicht auch Montag
morgens um zehn. Dann denkt er womöglich auch an die Referentenrunde.
Das fänden wir gut.
Und jetzt, nachdem ich mich für Ihre Geduld bedankt habe, ist
wirklich Schluß.