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Schlechte Zeiten für die
Justiz
I.
Entlastung der Rechtspflege ...
... durch Abbau überflüssigen Personals. Das scheint das Motto zu sein für den nachstehenden Auszug aus den "Stel- lenstreichungen 1996", Bürgerschaftsdrucksache 15/4125 (gebilligt vom Haushaltsausschuß, Bürgerschaftsdrucksache 15/ 4400 Ziff. 16), soweit sie die Justizbehörde betreffen. Dem ist zu entnehmen, daß auch etliche Richterstellen gestrichen wurden und daß für 1996 weitere umfangreiche Stellenstreichungen "zugesagt" sind (siehe Spalte 13 der Übersicht).

Die beim Landgericht gestrichenen 8 Stellen sind nicht etwa diejenigen 8 Stellen, die im Rahmen der Streitwertgrenzenerhöhung an das Amtsgericht abgegeben werden mußten, sondern sind zusätzlich gestrichen, sodaß das Landgericht jetzt 16 Stellen weniger als vor der Streitwertgrenzenerhöhung hat.

Zwar war ein Teil der weggefallenen Stellen nicht besetzt (vakant), jedoch hätten auch sie nach einer gewissen Wartezeit wiederbesetzt werden können. Soweit die wegfallenden Stellen noch besetzt sind, werden sie mit kW-Vermerk belegt (keine Wiederbesetzung), was sich dann bei Ausscheiden von Kollegen bemerkbar machen wird.

Hinsichtlich des Anteils der Justizbehörde an den Stellenstreichungen von 6,2 % (siehe Spalte 2 der Übersicht) ist zu bemerken, daß die Justiz am Landeshaushalt 1996 nur einen Anteil von 3,3 % hat.

Für 1997 liegt bereits ein weitergehender Stellenstreichungsplan vor (allerdings noch nicht mir).

Erinnert sei an die bei der Verabschiedung von Dr. Makowka am 5.2.1996 gegebene Information des OLG-Präsidenten, daß am Landgericht für die Wiederbesetzung der im Jahre 1996 freiwerdenden 6 Vorsitzendenstellen (näm-lich 2 halbe ZK, 3 KfH, 1 KS und 1 GS) und freiwerdender Stellen im nicht-richterlichen Dienst insgesamt 200.000 DM zur Verfügung stehen. Mittlerweile soll dieser Betrag auf 300.000 DM aufgestockt sein. Vorab geht von diesem großzügigen Betrag das Jahresgehalt der Landgerichtspräsidentin ab.

Dem Vernehmen nach sollen die beiden halben Vorsitzendenstellen und eine Kleine Strafkammer wiederbesetzt werden. Vermutlich wird dies allerdings bedeuten, daß dann stattdessen eben R 1-Stellen solange nicht wiederbesetzt werden können (Vakanzen), bis neue Haushaltsmittel zur Verfügung stehen.

Diese Vakanzen fehlen den Gerichten zusätzlich zu den gestrichenen Stellen an Arbeitskraft. Im Jahre 1994 gab es beim Landgericht 4,7 Vakanzen (Soll 246, Ist 241,3), die allerdings nicht ausschließlich haushaltsbedingt sind. Durch die Deckelung der Wiederbesetzungen auf 300.000 DM wird sich die Vakanzenzahl aber wohl deutlich erhöhen.

Hingewiesen sei auf das umfangreiche Statistikmaterial, das der Senat seiner Antwort vom 19.4.1995 auf die Große Anfrage der SPD zum Thema "Entlastung der Hamburger Justiz" beigefügt hat (Bürgerschaftsdrucksache 15/3122).

Besprochen wurde diese Antwort am 17. Mai 1995 in der Bürgerschaft (Plenarprotokoll S. 2219 - 2223). Dort bemerkte ein Abgeordneter (ein ehemaliger Justizsenator), die zahlenmäßige Belastung pro Richter sei im Zehn-Jahres-Vergleich gesunken (S. 2220 B). Ich erinnere deshalb an die ständigen Hinweise des Deutschen Richterbundes, daß im Zivilverfahren die Verlagerung von Landgerichtskompetenzen an die Amtsge richte dazu führte, daß bei beiden Gerichten die durchschnittliche Schwierigkeit der einzelnen Sache zugenommen hat (DRiZ 1993, 121 ff.). Deshalb kann von einer geringfügigen Abnahme der Anzahl von Sachen pro Richter nicht auf eine gesunkene Belastung pro Richter geschlossen werden. Das Gegenteil ist der Fall, und das würde auch an den Tag kommen, wenn die Justizbehörde endlich den Personalbedarf ermitteln und dafür geeignete Bemessungskriterien auf stellen würde. Dazu ist die Behörde ohnehin verpflichtet aus haushaltstechnischen und ausstattungsrechtlichen Gründen.

II.
Budgetierung
Überzeichnet gesprochen bedeutet "Budgetierung" (bzw. Plafondierung), daß den Gerichten nicht mehr die erforderlichen Personal- und Sachmittel bereit gestellt werden, sondern sie jeweils einen bestimmten Betrag erhalten, über dessen Verwendung sie selbst entscheiden.

Ein großer Vorteil liegt darin, daß die Dienststelle sich auf unbürokratischem, billigem Weg Sachmittel beschaffen kann, also z.B. von heute auf morgen einen PC beim Discounter im Sonderangebot kaufen kann.

Ein großer Nachteil liegt darin, daß die von den Gerichten früher gewünschte Budgetierung erst jetzt eingeführt wird, nachdem die Haushaltslage desolat ist und der Ort der deshalb anstehenden Verteilungskämpfe verlagert wird; das Klima dürfte deshalb auch innerhalb der Gerichte rauher werden.

Eine wegen ihres Umfangs hier nicht darstellbare Liste weiterer Chancen und Risiken der Budgetierung bei Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen wurde auf einer von der Justizbehörde am

(eine Seite Tabelle)

26.4.96 im Haus Rissen veranstalteten Tagung entwickelt. Die Einzelheiten der Budgetierung der Gerichte werden derzeit in der Justizbehörde (Frau Nöhre) vorbereitet. Vom gesamten Justizhaushalt soll die Justizbehörde 20 % zur "Bewirtschaftung" (einschließlich kleinerer nicht unter die Budgetierung fallender Einheiten) behalten; der Rest wird auf die größeren Gerichte verteilt.

Die JVA Glasmoor hat die Budgetierung bereits. Bei den Verwaltungsgerichten soll die Budgetierung in Kürze vorab ein geführt werden; diese Budgetierung wird unterstützt durch eine Unternehmensberatungsgesellschaft.

Die Gerichte werden zusätzlichen Personals bedürfen für die auf sie abgewälzten Aufgaben (kaufmännische Leitung, IuK, Haushaltswesen, Personalwirtschaft); daß diese Personalausstattung ausreichend sein wird, darf bezweifelt werden.

Theoretische Grundlagen für Budgetierungen im Bereich der Verwaltung im allgemeinen sind dargestellt in der Bürgerschaftsdrucksache 15/3750. Ziel ist es demnach, "die vorwiegende Input-Orientierung der Verwaltung ... durch eine ergebnisorientierte Verwaltungssteuerung abzulösen" (S. 583). Bei den Gerichten ist für mich allerdings keine Möglichkeit zur Orientierung am Input von Haushaltsmitteln erkennbar, denn die Orientierung erfolgt am Input der Anzahl von Gerichtsverfahren, die von Seiten der Justiz nicht beeinflußbar ist; für sie sind die erforderlichen Haushaltsmittel bereitzustellen.

Einer der Wege der Budgetierung lautet "Durchlässigkeit zwischen Personal- und Sachhaushalt" (S. 589). Damit werden bisher nur als Kuhhandel getroffene Tauschvereinbarungen wie "PC statt Richter" stark erleichtert.
 
"Eine wesentliche Voraussetzung ... sind die Produkt- und Leistungsbeschreibungen" (S. 591). Abgesehen von der Wort- wahl stimmt das. Allerdings ist dies eine Voraussetzung nicht nur der Budgetierung, sondern jeglicher Zuweisung von Haushaltsmitteln. Denn nur wenn man weiß, welche Aufgaben zu erfüllen sind und welcher personelle und sachliche Aufwand dafür erforderlich ist, können die bereitzustellenden Haus haltsmittel ermittelt werden.

Das Aufstellen von Kriterien dafür, was alles in welchem Umfang zu finanzieren ist, ist umso dringender erforderlich, als die Justizbehörde seit vielen Jahren den Bedarf an Richtern nicht mehr ermittelt mit der Begründung: "Das Senatsamt hält den Bundespensenschlüssel wegen der stadtstaatlichen und hamburgspezifischen Besonderheiten in den Strukturen und Verfahrensabläufen der Gerichte und Staatsanwaltschaften für nicht geeignet, Stellenmehrbedarf zahlenmäßig konkret herzuleiten."

Diese Begründung ist zweifelhaft, denn auch die anderen Bun desländer benutzen den Pensenschlüssel, und zwar auch die Ballungszentren.

Die Konsequenzen ihrer Ansicht zieht die Justizbehörde nicht, denn sie arbeitet weiterhin in der Pensenkommission mit und entwickelt auch keine anderen Methoden zur Bedarfsermittlung.

Das Motiv liegt auf der Hand, denn die letzten Bedarfsermittlungen kamen zu hohen Bedarfszahlen, die zu befriedigen die Justizbehörde ohnehin nicht bereit ist: Die letzte mir vorliegende Ermittlung der Justizbehörde kam 1979 zu einem den Stellenbestand um 32 übersteigenden Bedarf an Richtern allein am Landgericht.

Die Nichtermittlung des Bedarfs hat für die Behörde noch viele weitere Vorteile, z.B.:

Aus diesen Gründen fruchtlos bleiben dürfte auch der in die richtige Richtung zielende Antrag der SPD-Bürgerschaftsfraktion vom 5.12.1995, den Senat zu ersuchen, "zum Haushaltsplan-Entwurf 1997 Produktbeschreibungen zu erarbeiten, die aussagefähige Kennziffern enthalten, mit denen eine bürgerfreundliche Justiz definiert und gemessen werden kann, wie z.B. durchschnittliche Dauer ..." (Bürgerschaftsdrucksache 15/4582).

Das Landgericht ist nunmehr von der Justizbehörde aufgefordert worden, Produktbeschreibungen zu erstellen. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein. Eine Umsetzung des Ergebnisses ist aber eher unwahrscheinlich, denn eine bürger- freundliche Justiz in diesem Sinne erfordert mehr Haushaltsmittel (siehe die vielen hunderttausend DM, die für ein Schilder- und Wegweisersystem im Ziviljustizgebäude zunächst in den Haushalt eingestellt und dann aus Spargründen wieder gestrichen wurden). Bewilligt werden ja noch nicht einmal alle diejenigen Mittel, die für die schlichte Aufgabenbewältigung erforderlich sind.

Im übrigen würde die Behörde sich durch Schaffung von nachvollziehbaren Bemessungskriterien möglicherweise bei der Mittelzuweisung binden. Daß sie dazu nicht geneigt ist, zeigen auch die Leistungsvereinbarungen bei der Budgetierung der JVA Glasmoor: Entgelte oder Bemessungsgrundlagen sind darin angeblich nicht vereinbart; so können Sparziele der Behörde leichter durchgesetzt werden.

Probleme bereitet auch die richterliche Unabhängigkeit (z.B. keine haushaltsmäßige Bestrafung für lange Beweisaufnahmen). Bei den Verwaltungsgerichten sollen bei der Kalkulation deshalb diejenigen Verfahrenskosten gesondert behandelt werden, die nicht durch kostenbewußtes Handeln der Verwaltung beein flußbar sind. Vom Landgericht erwartet die Justizbehörde jedoch auch die Entwicklung "qualitativer Kennziffern", also von Kriterien, mit denen die Güte der Produkte gemessen wird.

Mittlerweile liegt ein Erfahrungsbericht für die Bremer Justiz vor (DRiZ 1996, 47). Dem sind weitere Gefahren zu entnehmen:

Durch das Modell erzielte Einsparungen sollen zu 50 % dem allgemeinen Haushalt zufließen (dies wird auch bei der JVA Glasmoor so praktiziert).

Investitionen dürfen nur einseitig zu Lasten der Personalausgaben verstärkt werden (also keine Umkehr beispielsweise in "Richter statt PC").

Das Instrument der "dienststellen- und kapitelübergreifenden Mittelumsetzung" erlaubt es, kraft bloßer Anzeige durch die Behörde von einem Gericht Mittel zugunsten eines anderen Gerichts abzuziehen. Als Beispiel wird genannt, daß "nicht benötigte" Vergütungen für Angestellte des Amtsgerichts verwendet werden für die Beschaffung von PCs für die Asylkam mern des Verwaltungsgerichts. In Hamburg scheint eine derartige Möglichkeit zur Mittelumsetzung allerdings nicht geplant zu sein.

Voll anschließen kann man sich dem zitierten Bericht eines Bremer Senatsrats, soweit er abschließt: "So kann das Modell eines nicht: Es kann nicht unrealistisch niedrige Haushaltsansätze durch größere Flexibilität im Vollzug ausgleichen. ... Es bleibt ungeachtet aller Modellversuche notwendig, die Finanzminister daran zu erinnern, daß der Rechtsstaat Verfassungsauftrag ist und daß er Geld kostet."

Wolfgang Hirth