Am 21. Februar 1996 fand die jährliche Mitgliederversammlung des Hamburgischen Richtervereins statt. Im öffentlichen Teil sprach der Präses der Justizbehörde Prof. Dr. Hoffmann-Riem zu dem von ihm gewählten Thema:
Die klassischen Ziele Wahrheit und Gerechtigkeit seien schon immer dem geschichtlichen Wandel unterworfen gewesen. Die Frage sei, wie heute Recht gesprochen werden könne und müsse, damit Gerechtigkeit unter heutigen Bedingungen gesichert werde. Die Justiz müsse sich fragen lassen, ob sie das Recht hinreichend bürgerfreundlich verwalte. Antworten darauf würden angesichts der Finanzkrise des Staates immer schwieriger, da es nicht zu erwarten sei, daß die Justiz von den Sparzwängen ausgenommen werde. Es sei nicht damit getan, als Antwort auf die Finanzkrise den Zusammenbruch der Justiz anzukündigen. Die Gerichte müßten vielmehr alle Möglichkeiten nutzen, um aktiv an der Reform der Gerichtsbarkeit mitzuarbeiten.
Die Finanzkrise des Staates dürfe jedenfalls nicht zu einer Gerechtigkeitskrise werden. Die Unabhängigkeit sei den Gerichten durch das Grundgesetz gesichert, damit sie die Angelegenheiten der Rechtsprechung angemessen und in eigener Verantwortung wahrnehmen. Eine gute Rechtsprechung lasse sich nur in Verbindung mit einer modernen Gerichtsverwaltung leisten. Dazu reiche der vermehrte Technikeinsatz allein nicht. Bundesweit, aber auch bei den Hamburger Gerichten, bestehe ein Nachholbedarf im Hinblick auf die Modernisierung und damit auch die Professionalität des Gerichtsmangements. Gegebenenfalls müsse das Gerichtsverfassungsgesetz geändert werden, um die Binnenstrukturen der Gerichte effizienter gestalten zu können. Es sei auch wichtig, das Kostenbewußtsein der Richterinnen und Richter zu verstärken.
Der Senator kündigte an, daß das neue Steuerungsmodell, das zur Zeit in der Hamburger Verwaltung eingeführt wird, nicht als solches, wohl aber in modifizierter Form auch für die Gerichte eingesetzt werden solle. Ein erster Schritt werde die Budgetierung von Gerichtshaushalten sein. In erster Linie gehe es aber um die Sicherung der Qualität der Rechtsprechung, also um ihren Beitrag zum Rechtsfrieden und zur Gerechtigkeit. Dafür sei es wichtig, daß in den Gerichten stärker darüber gesprochen werde, welches Leitbild sie verfolgten, woran die Qualität ihrer Leistung zu messen sei und wie sie möglichst gerechte Entscheidungen mit dem geringstmöglichen Einsatz von personellen und finanziellen Mitteln erreichen.
In seiner Abschiedsrede als Vorsitzender des Hamburgischen Richtervereins hob Dr. Makowka hervor, daß der Hamburgische Richterverein einen wesentlichen Teil seines beruflichen Lebens dargestellt habe. Dem Richterverein sei es gelungen, die Rechtspflege über die Mauern des Gerichts hinaus zu formen und mehr Mitverantwortung und Mitmenschlichkeit in den Gerichten und Staatsanwaltschaften herbeizuführen. Die vielfältigen Aktivitäten des Hamburgischen Richtervereins wie z.B. die Veranstaltungsreihe "Kultur & Justiz" und der Richteraustausch über die Grenzen Deutschlands hinaus hätten dazu beigetragen. Darüber hinaus sei es ihm im Vorsitz des Hamburgischen Richtervereins immer darum gegangen, die Rechtspflege gegen Angriffe von außen zu verteidigen.
Die Mitgliederversammlung dankte ihm für seine langjährige Tätigkeit als Vorsitzender mit langanhaltendem Beifall und ernannte ihn per Akklamation zum Ehrenvorsitzenden auf Lebenszeit, wofür - oh Wunder! - sogleich eine angegilbte Ernennungsurkunde zur Hand war. ...
Im übrigen stimmte die Mitgliederversammlung bei einer Gegenstimme und fünf Enthaltungen der Verlegung der Geschäftsstelle des Deutschen Richterbundes von Bonn nach Berlin und einem dortigen Eigentumserwerb zu. Als Finanzierungsmodell beschloß die Mitgliederversammlung bei 3 Gegenstimmen und 4 Enthaltungen, daß jedes Mitglied einen Sonderbeitrag von 100,--DM bis 30.06.1996 zahlt. Mit dem Zinsgewinn und gegebenenfalls aus Kassenmitteln wird der Hamburgische Richterverein zum Fälligkeitstermin die erforderlichen 120,-- DM pro Mitglied an den Deutschen Richterbund leisten.
Die Mitgliederversammlung beschloß weiter, daß die Gesamtfinanzierungskosten, die von den Mitgliedsverbänden aufzubringen sind, 1,5 Mio DM nicht überschreiten dürfen und daß der Hamburgische Richterverein über den Sonderbeitrag hinaus nicht mit weiteren Kosten belastet werden dürfe.
Zum neuen Vorsitzenden wurde Vizepräsident des Landgerichts Dr. Raabe, zu neuen stellvertretenden Vorsitzenden: Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schmidt-Syaßen und Oberstaatsanwalt Meyer gewählt. Als weitere Vorstandsmitglieder wurden gewählt bzw. wiedergewählt: Staatsanwältin Schmidt, Vorsitzender Richter am Finanzgericht Dr. Kauffmann, Vizepräsident des Finanzgerichts Dr. Grotheer, Richter am Sozialgericht Kopp, Richterin am Verwaltungsgericht Abayan, Richter am Oberlandesgericht Öhlrich, Richter Jönsson, Richter am Amtsgericht Cassel, Richter am Amtsgericht Otto und Richter am Landgericht Harms.
Den ausscheidenden Vorstandsmitgliedern sprach Dr. Makowka seinen persönlichen und den Dank des Hamburgischen Richtervereins aus.
Jan Grotheer