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Im Jahre 10
nach Makowka

 

Am 20. Dezember 1995 wurde in der Grundbuchhalle der Sketch "Im Jahre 10 nach Makowka" von Axel Bartels zusammen mit Ralf Oelert unter Zuhilfenahme einer Damenperücke für das Zwiegespräch zweier Richterinnen uraufgeführt:

Meine Damen und Herren,

bitte machen Sie mit mir eine Reise in die nahe Zukunft: Wir befinden uns im Jahre 10 nach Makowka. Die D-Mark ist abgeschafft, die Alimentation der Justizangehörigen in Euros ist längst passé, da Hamburg seit Jahren zahlungsunfähig ist. Stattdessen ist auf Betreiben unseres Senators im Rahmen der Einführung der Selbstbudgetierung der Gerichte der alte Tauschhandel wieder belebt und die Ausgabe von Waren- und Reisegutscheinen genehmigt worden. Die Gutscheine können im neuen EZ Sievekingplatz eingelöst werden. Für jedes Urteil gibt es übrigens zur Förderung des Leistungsprinzips einen Sondergutschein für Luxusgüter, wie Nachthemden, Boxershorts, Leggings, Eintrittskarten für das Hamburger Richtertheater etc.

Das Landgericht ist aber auch technisch im letzten Dezennium spitzenmäßig ausgerüstet worden: Die "St. Roland Hall" - vormals "Grundbuchhalle" - erstreckt sich inzwischen über das gesamte Ziviljustizgebäude. Die früheren Richterzimmer, Verhandlungssäle, Geschäftsstellenräume, ja sogar die früheren sog. Gerichtsakten - alles das ist Schnee von gestern. In unserer psychologisch und biologisch optimal gestalteten "St. Roland Hall" sitzen unzählige Richterinnen, jede versehen mit Kopfhörer, verhandeln kompatibel per Handy und Fernsehschirm mit Rechtsuchenden, Zeugen, Angeklagten, Verteidigern, Sachverständigen, Staatsanwälten und stoßen in Bruchteilen von Sekunden ihre Entscheidungen per Computer raus. Die Verhandlungssprache ist zur Zeit wahlweise Russisch, Englisch oder Deutsch. Die Bürger sind begeistert.

Die "St. Roland Hall" ist erfüllt vom internationalen Flair computergesteuerter Hanseatischer Rechtsfindung.

In dieser gediegenen Atmosphäre kommt es im Jahre 10 nach Makowka in einer kurzen Rechtsfindungspause zu folgendem Gespräch zweier Richterinnen:

A: Ach, was bin ich traurig. Es ist so langweilig bei diesem Gericht! Kaum noch ein Mann ist hier, ausgenommen der eine große, breitschultrige Wachtmeister, aber der ist immer so müde - na ja, kein Wunder bei über 200 Richterinnen. Und der ist jetzt auch noch in die Präsidialabteilung versetzt worden.

B: Du hast recht, es ist entsetzlich boaring. Wie schön war es noch vor 10/15 Jahren! Da gab es noch maskuline Richter und - erinnerst Du Dich noch an ihn? Einen Präsidenten mit allem dran? Wie hieß er noch? Makasofski? Kalakowski? Katastrowski?

A: Ich erinnere mich noch an seinen Vornamen. Ich glaube, Roland hieß er. Hat er mir jedenfalls gesagt, als ich mich als Assessorin bei ihm vorstellte und mit ihm auf seinem Sofa saß. Toller Typ! Im Vorzimmer nannten ihn alle Mecki!

B: Ich meine, der Nachname war irgendwie russisch oder polnisch, und - da bin ich sicher - ohne Bindestrich, und länger und melodischer als Schlapp oder Papp! Egal, wir meinen denselben! Mensch, das war ein Kerl. Ich hab' ihn ja mehrere Jahrzehnte noch erlebt.

A: Oh, Du Glückliche, erzähl mir von ihm, schnell, schnell, ich kann es nicht erwarten!

B: Ja, da gibt es soviel zu berichten. Wo soll ich anfangen? Wir beide sind glücklicherweise Frauen; welcher Partei wir angehören, geht keinen etwas an! Aber kannst du Dir vorstellen, er war weder - noch !

A: Was, auch nicht einmal noch? und das in Hamburg?

B: Ja, ja! Das waren noch Zeiten! Er war eine skurrile Ausnahme im Justizmanagement; er war da allein für sein Gericht. Er hat deswegen viel Ärger mit dieser Behörde an der Drehbahn gekriegt.

A: Ich frag mich wirklich, wozu wir diese Behörde eigentlich gebrauchen können. Aber zurück zu Roland!

B: Ich muß Dir eine typische Geschichte erzählen: Damals war ich mit ihm und anderen Kollegen auf einer Richterreise in Schweden. Wir waren eingeladen zu einem Vortrag des Polizeipräsidenten einer schwedischen Stadt. Dieser war ganz nervös, weil der Präsident des Landgerichts Hamburg angekündigt war, und er fragte mich am Vorabend, bitte sag mir, wie erkenne ich Euren Präsidentin, um ihn gebührend zu begrüßen?

A: Wie hast Du ihm das klar gemacht? Bei diesem Präsidenten stelle ich mir das unmöglich vor.

B: Ganz einfach: Ich sagte ihm: Wenn da einer rein kommt, der überhaupt nicht wie ein Präsident aussieht, vielmehr nur wie ein Mensch, möglicherweise etwas unrasiert, dann ist das unser Präsident. So war es!

A: Ich weiß noch, daß er immer der jünsten Assessorin auf dem Bierabend zart etwas auf die Brust drückte. Ich hatte das Glück, auch von ihm gedrückt zu werden.

B: Überhaupt der Bierabend und seine Reden. Das war supergeile Spitze! Wie er sich über das Behindertenheim OLG und die Hühnerfarm an der Drehbahn sachverständig äußerte, ich habe selten Besseres gehört.

A: Ich wundere mich, angesichts der Finanznot der Stadt, daß aus diesen Reden keine Konsequenzen gezogen worden sind. Justizbehörde und Oberlandesgericht könnten ersatzlos gestrichen werden. Mit den eingesparten Mitteln könnten dann die Richterinnen und übrigen Mitarbeiter dieses Gerichts angemessen bezahlt werden. Oh Gott, im Taumel der Erinnerung an Roland habe ich jetzt was gesagt, das meiner Karriere schaden könnte.

B: Sei doch bloß nicht so stromlinienförmig! Zeig doch mal - wie er - Persönlichkeit oder Profil! Übrigens, weißt Du eigentlich, daß diese Halle, alles hier, wo seit Jahren Leben in diesem Hause stattfindet - leider immer weniger mit Männern - Ausstellungen, Vorträge, Diskussionen, Justiztage usw. usw. alles von ihm - z.T. gegen den Widerstand dieser Behörde in der Drehbahn geschaffen worden ist?

A: Ja, und er hat sogar sein Konto überzogen für die Stühle und Tische hier, weil die Behörde für diese wunderschöne Halle nur das übliche Bruchmöblement bewilligt hatte. Sag mal, warum haben wir diesen Topmann eigentlich ziehen lassen?

B: 1. weil die Dienstalterverlängerung bis 80 noch nicht durch war, 2. weil die Bürokratie in der Drehbahn so einen unabhängig denkenden, unbequemen Mann, der bemüht war, die Dritte Gewalt für den Bürger menschlicher zu gestalten, so schnell wie möglich los werden wollte. Stell Dir vor, das war noch einer, der unangenehme Wahrheiten tatsächlich ausgesprochen hat, auch wenn es der Behörde nicht paßte.

A: Unglaublich! Ach, könnten wir doch die Zeit zurückdrehen! Er war ja nicht nur bei den Richtern, bei allen anderen Mitarbeitern auch beliebt, und das nicht nur beim LANDGERICHT, auch beim AMTSGERICHT und beim sog. OBERLANDESGERICHT, sogar bei der STAATSANWALTSCHAFT.

B: Und er war bekannt und geachtet als entscheidender Hamburger Repräsentant der Justiz bei Japanern, Chinesen, Russen, Polen, Schweden Franzosen, überall in der Welt.

A: Ja, wenn einer am Sievekingplatz etwas von Bedeutung zu sagen hatte, war er es, unser aller Roland. Hast du von irgendeinem anderen Bemerkenswertes vernommen? Aber wir sollten nicht in Depression verfallen. Den Richterverein leitet er ja immer noch. Und als Ombudsmann ist er im Hamburgischen Gesundheitswesen nicht wegzudenken.

B: Ja, gerade neulich hab ich ihn - umringt von süßen, jungen Schwestern - im UKE gesehen. Er sah glücklich aus.

A: Weißt Du, er hatte bei allem justizpolitischen Weltblick vor allem für den einzelnen, der in Not war und Probleme hatte, immer Zeit. Ich könnte Dir viele Fälle seines sozialen Engagements erzählen, aber das würde zu weit führen.

B: Eines hast Du vergessen: Ohne ihn gäbe es in diesem Gebäude keinen Tandem-Akt-Verkehr. Damit hat er sich schon beim Amtsgericht beliebt gemacht.

A: Ich habe ihn so geliebt!

B: Was, Du auch? Das hat er mir nie erzählt!

A + B: Laß uns zusammen weinen!