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Der Weg in eine
Freundschaft

Sommer 1973. Das zweite juristische Examen stand bevor. Große Orientierungslosigkeit bedrückte mich. Ich hatte keine spezifischen beruflichen Interessen. Da aber nun einmal die Abbuchungen von meinem Konto weitergingen, mußte für Nachschub gesorgt werden. Als Überbrückungsmaßnahme konnte ich mir eine vorübergehende Tätigkeit bei der Justiz vorstellen. Als Ansprechpartner wurde mir ein Herr Dr. Makowka genannt. Den Namen hatte ich zuvor schon gehört: Mein Mit-Referendar Jürgen Mantell erwähnte ihn einmal und bezeichnete Dr. Makowka als liberal und reformfreudig. Im übrigen bildeten - so Jürgen Mantell - Dr. Makowka und ein Mann namens Ross die "pressure-group" der Justiz.

Im Oberlandesgericht traf ich in einem überraschend kleinen Raum auf einen Mann im mittleren Alter. Der Raum, den ich wesentlich später als Hilfsrichter viel ausführlicher kennenlernen durfte, war durch Auslage verschiedener Akten und Papiere durchaus unübersichtlich gestaltet. Dr. Makowka konfrontierte mich - zu meiner Überraschung - zunächst mit zwei Aussagen.

  1. Er habe überhaupt keine Zeit, seine Rechtsprechungsakten zu bearbeiten. Dabei ruhte sein etwas unwilliger und angestrengter Blick auf einem besonders voluminösen Aktenexemplar.
  2. Er habe Reparaturprobleme in seinem Privathaus.
Ich konnte seinerzeit nicht ahnen, welche Qualität an Affinität ich noch zu diesem Privathaus und dessen Reparaturerfordernissen würde entwickeln müssen. Auch war mir natürlich nicht das Gerücht bekannt, das besagt, das Privathaus sei in den 60er Jahren jedenfalls zum großen Teil von der Verwaltung des Landgerichts in Eigenarbeit während Frei- und Ferienzeiten errichtet worden und in diesem Umstand sei die eigentliche Ursache für dessen Reparaturanfälligkeit zu finden. Aber vielleicht ist dies auch nur ein Gerücht, dann allerdings ein sehr schönes.

In der Sache wurden die Einstellungsmodalitäten besprochen. Mir waren die Ergebnisse der schriftlichen Arbeiten unbekannt, die damals erst nach Abschluß der mündlichen Prüfung verkündet wurden. Es bestanden also Zweifel und Unsicherheiten. Um diese offene Situation zu beenden, stand Dr. Makowka auf, verließ mit den Worten "das haben wir gleich" den Raum, begab sich offensichtlich in die Geschäftsstelle des GPA, die noch im Gebäude des Oberlandesgerichts untergebracht war, und kehrte nach kurzer Zeit mit der Bemerkung "alles in Ordnung" zurück. Dieses Verhalten wurde von den Richtlinien wohl nicht gerade nahegelegt, es nahm mich jedoch von vornherein für Dr. Makowka ein, der mit dieser Form abweichenden Verhaltens immer wieder - auch an starren Behördenvorschriften vorbei - Menschen half, wenn er helfen konnte, und es ihm wichtig erschien. Nachträglich erzählte er mir einmal, er habe mich als durchaus widerspruchsfreudig empfunden und sei deswegen zu dem Ergebnis gekommen, dieses Produkt der Juristenausbildung könne von der Justiz am besten als Einzelrichter am Amtsgericht verkraftet werden. So kam es dann auch.Ich habe Dr. Makowka 10 Tage nach Dienstantritt wiedergesehen. Mit sonorer und feierlicher Stimme,

angetan mit schwarzer Robe und blütendweißer Fliege nahm er mir den Richtereid ab. Er sprach von der Bedeutung, Wichtigkeit und Schönheit des Richterberufs. Eine gewisse Diskrepanz zu der ersten Begegnung blieb mir nicht verschlossen. Es gingen Jahre ins Land, ohne daß ich weitere Kontakte zu Dr. Makowka hatte, ich ertrank in der Aktenflut meiner amtsgerichtlichen Abteilung. Die Kontakte wurden wieder enger, ja "dicht", als Dr. Makowka als Vizepräsident zum Amtsgericht wechselte und sich dort zum Leiter des Projekts "Gruppengeschäftsstelle" berief. Dieses Projekt ist Historie, ein Stück Justizgeschichte und Beispiel für alle Höhen und Tiefen, die ein Projekt durchlaufen kann. Dr. Makowka war Mentor, phantasievoller Chefdenker, glänzender Organisator, Inspirator, Kumpel und Seelentröster in einer Person. Es wurden bisweilen die Grenzen dessen erreicht und auch überschritten, was für ihn physisch und psychisch zumutbar war. Letztendlich hat er gesiegt und uns alle mitgerissen. Berühmt waren die Gruppenveranstaltungen in dem besagten Privathaus. Es war Ausgangspunkt von Rallyes, Austragungsort von Tischtennisturnieren und Rollenspielen. Theaterstücke wurden inszeniert und aufgeführt, u.a. ein Krippenspiel. Die Schauspieler mißbrauchten die Vorhänge des Hauses Makowka als Kostüme. Die Vorhänge waren anschließend nur noch in sehr eingeschränktem Umfange für ihren eigentlichen Verwendungszweck einsetzbar. Ein erschöpftes Gruppenmitglied schlief auf dem WC ein, die Tür mußte aufgebrochen werden. Restschäden haben die Zeiten überdauert und können besichtigt werden. Der Bericht ließe sich beliebig verlängern. Die Stoffülle ist nicht überschaubar.

Es war die Zeit, als Dr. Makowka zum Hoffnungsträger vieler gerade jüngerer Kolleginnen und Kollegen wurde, die - in einer Art Aufbruchstimmung - eine neue, liberale und offenere Justiz wollten, das Bild einer veränderten Justiz in ihrem Kopf und in ihren Herzen trugen. Dr. Makowka stand für Liberalität, Toleranz, Menschlichkeit und Pluralität. Viele fühlten sich von ihm verstanden, mit ihren Problemen bei ihm gut aufgehoben. Dabei gab es keine Gerichtsgrenzen: Wem der Schuh drückte, der ging eben zu Mako. Er würde Rat wissen, er würde es schon richten.

Ich verließ das Amtsgericht in Richtung Landgericht. Anfang der 80er Jahre wurde Dr. Makowka Präsident dieses Gerichts. Alsbald entstand zwischen uns eine rege Korrespondenz. In langen Ausarbeitungen warf ich der Gerichtsverwaltung intransparentes Verwaltungshandeln vor. Dr. Makowka versuchte, diesen Aktivitätsschub seines jungen Kollegen aufzufangen, zu kanalisieren, wohl auch ins Leere laufen zu lassen - mit den üblichen Verfahrensweisen: immer neue Gesprächstermine, Arbeitsaufträge, Einrichtung von Arbeitsgruppen, unklare und vage Zusagen. Meine zum Teil überdrehten Aktivitäten erlahmten nicht, ich wollte konkrete Ergebnisse in der Sache. Ermattet vom Widerstand und in der Erkenntnis, daß man diesen Unruhegeist nur durch Einbindung in Verantwortung würde ruhig stellen können, machte Dr. Makowka mich zu seinem Präsidialrichter. Ich selbst war darüber am meisten überrascht, hatte ich doch mit dieser Technik des Chefs nicht gerechnet. Wie schlau er in Personalsachen zu agieren wußte und weiß und zu welcher Meisterschaft er es auf diesem Feld bringen konnte, ist mir erst sehr viel später deutlich geworden.

Es war dies der Beginn einer engen beruflichen Zusammenarbeit und Verbundenheit, der Beginn einer tiefempfundenen Freundschaft.

Heiko Raab