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Presseerklärung der Justizbehörde
- 14. November 1994 -
Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen
in Polizeisachen
I. Ermittlungsgruppe der Staatsanwaltschaft und der Polizei

Ausgangspunkt der Ermittlungen waren zunächst Beschuldigungen gegen Mitarbeiter des Einsatzzuges PD 125-1, denen u.a. vorgeworfen wurde, im Zellentrakt der Wache 11 Farbige aus rassistischen Motiven mißhandelt zu haben. Diese zunächst wenig substantiierten Angaben wurden alsbald durch weitere Aussagen bestätigt und dahingehend erweitert, daß von den zur Durchsetzung des Drogenbekämpfungskonzeptes im Bereich St. Georg mit den Schwerpunkten Hauptbahnhof, Hansa-Platz und Steindamm eingesetzten Polizeikräften (Wachdienstgruppen des PR 11, Einsatzzüge Mitte 1 und 2 sowie Bereitschaftspolizei) nicht nur in Einzelfällen Übergriffe und Mißhandlungen erfolgt sind.

Seit dem 19.09.1994 werden von einer Ermittlungsgruppe der Staatsanwaltschaft und der Polizei unter Leitung von Oberstaatsanwalt Köhnke Vorwürfe untersucht, die von Polizeibeamten als Zeugen gegen Kollegen erhoben wurden und die zentrale Übergriffe und Mißhandlungen bei der Durchsetzung des Konzeptes der Bekämpfung der offenen Drogenszene im Bereich des Polizeireviers 11/Kirchenallee betreffen.

Zu diesen Vorwürfen sind von der Ermittlungsgruppe bislang mehr als 60 Zeugen - vorwiegend Polizeibeamte - vernommen und in Einzelfällen auch bereits vorhandene Ermittlungsakten beigezogen worden.

Erschwert wurden die Ermittlungen dadurch, daß

- aussagebereite Zeugen (Polizeibeamte) sich selbst der Strafvereitelung im Amt oder auch der Tatbeteiligung bezichtigen und zudem befürchten müssen, im Kollegenkreis als Verräter angesehen zu werden,

- aussageunwillige Zeugen (Polizeibeamte) sich weiterhin dem Corpsgeist und der falsch verstandenen Kameraderie verpflichtet fühlen, nichts gesehen und nicht gewußt zu haben,

- Opfer/Geschädigte zudem vielfach keine Strafanzeige erstattet bzw. keinen Strafantrag gestellt haben und heute nur noch schwer zu ermitteln sein werden.

Trotz dieser Schwierigkeiten und Hemmnisse erhärtet sich aufgrund der vorliegenden Ermittlungserkenntnisse der Verdacht, daß sich in den vier Jahren seit Beginn dieses Drogenbekämpfungskonzeptes im Juni 1990 bei den damit befaßten Beamten teilweise Verhaltensweisen eingebürgert haben, die nicht nur im Einzelfall die Grenzen der Strafbarkeit überschritten haben.

Bei der Würdigung derartiger Sachverhalte ist zu berücksichtigen, daß die ohnehin schwierige Aufgabe, mit einer problematischen Klientel (Dealer, Konsumenten) umzugehen, noch zusätzlich durch die räumliche Enge und die baulichen Bedingungen der Wache 11 erschwert wurde. So sind allein in der Zeit von September 1991 bis Dezember 1993 mehr als 6.000 Personen gem. § 13 SOG in Gewahrsam genommen worden. Dies geschah zusätzlich zu dem normalen Dienstbetrieb der Wache. Die Personen mußten zumindest kurzfristig auch im Zellentrakt der Wache untergebracht werden.

Neben den fortdauernden zentralen Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt hat sich in 7 Fällen ein Anfangsverdacht gegen bestimmte Polizeibeamte ergeben, insbesondere wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt, der Freiheitsberaubung und Nötigung. Insoweit sind selbständige Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.

Ungeachtet dessen wird jedoch in verschiedenen Fällen z.B. die Art der Behandlung von Schwarzafrikanern während der Dauer des Aufenthalts in der Wache, die Verabreichung von Brechmitteln zur Sicherung verschluckter Rauschgiftkügelchen sowie die Aussetzung überprüfter Personen außerhalb des Reviergebiets als strafwürdiges Unrecht anzusehen sein.

Die Ermittlungen dauern an.

 
II. Arbeitsgruppe der Justizbehörde
legt Bericht vor.

Die von Justizsenator Klaus Hardraht aus Anlaß von Vorwürfen gegen Polizeibeamte bei der Justizbehörde eingesetzte Arbeitsgruppe hat die Untersuchung von 118 eingestellten Ermittlungsverfahren abgeschlossen, in denen vor allem Angehörige der Polizeireviere 11 und 16 sowie des Einsatzzuges Mitte Übergriffe und fremdenfeindlich motivierte Vergehen zur Last gelegt worden waren. Das dreiköpfige, von Weisungen unabhängige Gremium, das den Auftrag hatte, die Verfahren zu untersuchen, ist in seinem Bericht in einer Reihe von Fällen zu Beanstandungen gekommen, die teilweise die polizeilichen Ermittlungen bei der Dienststelle "Ps 3", teilweise aber auch die Bearbeitungsweise bei der Staatsanwaltschaft selbst betreffen:

- Die polizeiliche Ermittlungsarbeit vermittle in 53 der untersuchten Fälle den Eindruck, daß bei Vorwürfen gegen Polizeibeamte belastende Momente nicht mit der vollen erforderlichen Intensität ermittelt würden.

- Die Staatsanwaltschaft habe die ihr gegenüber der Polizei obliegende Sachleitungsbefugnis nicht aktiv genug wahrgenommen und Mängel bei der polizeilichen Ermittlungsarbeit nicht beanstandet. Sie habe kaum eine eigene Ermittlungstätigkeit durch direkte Zeugenvernehmungen entfaltet, obwohl dies teilweise angesichts der erkennbaren Problematik der polizeilichen Ermittlungen in Polizeisachen nötig gewesen wäre. Insgesamt habe das Verfahren der Staatsanwaltschaft in 55 Fällen nicht dem Idealvorgehen entsprochen.

Die Arbeitsgruppe betont, daß den mit Polizeisachen befaßten Dezernaten der Staatsanwaltschaft mit der bisherigen personellen Ausstattung die sehr intensive Arbeitsweise nicht möglich gewesen sei, die erforderlich wäre, wenn Verfahren gegen Polizeibeamte mit der erforderlichen besonderen Sorgfalt bearbeitet werden sollten.

Der Prüfbericht ist dem Generalstaatsanwalt zugeleitet worden, der bereits mit der Klärung der Frage begonnen hat, in welchen Fällen aufgrund der Beanstandungen der Prüfgruppe eine Wiederaufnahme der Ermittlungen zu erfolgen hat. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die Prüfgruppe ihren Untersuchungen einen sehr strengen Maßstab zugrunde gelegt hat und daß die Beanstandung von Verfahrensfehlern nichts darüber besagt, ob es anderenfalls zu einem anderen Ausgang des Verfahrens gekommen wäre.

Darüber hinaus wird die landgerichtliche Staatsanwaltschaft sämtliche weiteren Polizeisachen der letzten vier Jahre, die die Polizeireviere 11, 15 und 16 betreffen und den Vorwurf einer Körperverletzung, einer Nötigung oder einer Freiheitsberaubung zum Gegenstand hatten, einer gesonderten Überprüfung unterziehen, um nach denselben Maßstäben zu entscheiden, ob die Ermittlungen wiederaufgenommen werden.

Schließlich wird der Generalstaatsanwalt die Hamburger Polizei unterrichten und mit dieser Erörterungen mit dem Ziel einer grundsätzlichen Verbesserung der Ermittlungstätigkeit in Polizeisachen aufnehmen.
 
 

Senator Hardraht:

... Die seit langem zu verzeichnende hohe Belastung der Staatsanwaltschaft konnte - worauf auch die Justizbehörde immer gedrängt hat - nur dadurch einigermaßen kompensiert werden, daß im allgemeinen die Ermittlungen zielgerichtet unter Zurückstellung von Nebenaspekten und weitestgehend unter Verzicht auf eigene Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft geführt wurden. Die Leitung der Staasanwaltschaft bei dem Landgericht Hamburg, der Generalstaatsanwalt und die Justizbehörde haben es in der Vergangenheit bei der in Einzelfällen erfolgten Vorlage von Ermittlungsvorgängen nicht beanstandet, daß auch in Polizeisachen so verfahren wurde. Die Erkenntnisse aus dem Bericht der Arbeitsgruppe haben uns alle lernen lassen, daß dies bei Polizei-und anderen Amtsdelikten nicht vertretbar ist. Ich habe daher veranlaßt, daß die zuständigen Dezernate der Staatsanwaltschaft verstärkt werden. Dies kann nur zu Lasten anderer Aufgaben der Staatsanwaltschaft gehen, sofern nicht die bei der Staatsanwaltschaft derzeit vakanten Stellen zur Wiederbesetzung freigegeben werden.