Die vom Justizsenator aus Anlaß des Polizeiskandals eingesetzte Arbeitsgruppe zur Überprüfung staatsanwaltlicher Ermittlungsverfahren hat in ihrem am 7. November 1994 vorgelegten Bericht einige grundsätzliche Ausführungen zur Rolle des Staatsanwalts in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gemacht und darüber hinaus Empfehlungen für die künftige Arbeitsweise der Staatsanwaltschaft in Polizeisachen ausgesprochen. Diese seien nachstehend auszugsweise wiedergegeben. Zum Grundsätzlichen heißt es u.a.:
"2. Ergebnis der Untersuchung
Die Arbeitsgruppe hat bei der Bewertung der vorgelegten Akten als Kriterium zugrunde gelegt, ob und inwieweit das polizeiliche und staatsanwaltliche Vorgehen das von der Strafprozeßordnung vorgegebene Ziel des Ermittlungsverfahrens erreichte oder verfehlte und hat dabei nicht unbeträchtliche Defizite festgestellt.
a) Aufgabe des Ermittlungsverfahrens ist die zuverlässige und vollständige Beschaffung des im Strafverfahren benötigten Beweismaterials in rechtsstaatlicher Weise. Dabei werden weitestgehend im Ermittlungsverfahren die Weichen für richtige oder falsche Sachentscheidungen im Strafverfahren gestellt.
Verantwortlich für die Ordnungsmäßigkeit, Gründlichkeit und Zuverlässigkeit des Ermittlungsverfahrens ist die Staatsanwaltschaft, die zur justizgemäßen Sachleitung auch der polizeilichen Ermittlungstätigkeit verpflichtet ist.
Bei dieser Aufgabe gibt es grundsätzlich keinen staatsanwaltsfreien Raum. Die Staatsanwaltschaft ist berechtigt und gegebenenfalls verpflichtet, vom Beginn der Ermittlungen an auch auf die Gestaltung der einzelnen polizeilichen Ermittlungshandlungen Einfluß zu nehmen. Sie muß dabei aufgrund ihrer forensischen Erfahrung entscheiden, was für das Ermittlungsverfahren notwendig ist.
Es gibt kein rechtlich selbständiges polizeiliches Ermittlungsverfahren, das dem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren vorgelagert wäre. Ungeachtet der organisatorischen Selbständigkeit bilden die polizeilichen Ermittlungen stets eine Einheit mit den staatsanwaltlichen Ermittlungen, auch soweit ihnen kein spezieller Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt.
In wichtigeren Verfahren ist anzustreben, daß der Staatsanwalt insbesondere die Beschuldigten und wichtigen Zeugen selbst vernimmt und die Polizei mit substantiierten Ermittlungsaufträgen betraut. Nur im Bereich einfacher Kriminalität kann sich die staatsanwaltliche Sachleitung auf die Anordnung von Nachermittlungen und alsdann die Abschlußverfügung beschränken.
Sogenannte Polizeisachen, Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte, insbesondere wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung im Amt, stellen mit Ausnahme von vornherein offensichtlich unbegründeter Vorwürfe grundsätzlich keine einfach gelagerten Fälle leichterer Vergehen dar. Bei von der Kriminalpolizei geführten Ermittlungen in Polizeisachen ist die Staatsanwaltschaft in besonderem Maße Garantin für die Ordnungsgmäßigkeit und Vollständigkeit der Ermittlungen. Der Berücksichtigung der besonderen Anforderungen in Polizeisachen wurde bei der Hamburger Polizei durch die Einrichtung der dem Präsidialstab zugeordneten Dienststelle "Ps 3" Rechnung getragen."
Die Empfehlungen lauten unter dem Titel "Schlußfolgerungen" wie folgt:
"a. Die von der Arbeitsgruppe festgestellten Beanstandungen der Arbeitsweise der Staatsanwaltschaft könnten nach Auffassung der Arbeitsgruppe weitgehend vermieden werden durch folgende Maßnahmen:
(1.) Über jede bei Ps 3 eingehende Anzeige ist unverzüglich, und zwar vor Vernehmung oder Anhörung polizeilicher Zeugen und vor Bekanntgabe des Vorwurfs an den oder die beschuldigten Polizeibeamten, zunächst die Staatsanwaltschaft zu informieren.
(2.) Eingänge von Ermittlungsakten bei der Staatsanwaltschaft sind in der Akte durch einen Eingangsstempel zu dokumentieren.
(3.) Mit der ersten Ermittlungsverfügung hat der Staatsanwalt sich zu entscheiden, welche Ermittlungen er selbst duchführen will und welche der Ermittlungen die Polizei durchzuführen hat. Er hat der Polizei genaue Weisungen zu erteilen.
(4.) Angesichts der zu begegnenden Gefahr eines abgesprochenen Verhaltens von polizeilichen Zeugen und einer Solidarisierung zwischen polizeilichen Ermittlern und beschuldigten Beamten sollten im Grundsatz die Vernehmung des Beschuldigten und der wichtigsten Tatzeugen durch den Staatsanwalt erfolgen. Gleiches sollte - im Grundsatz - auch für polizeiliche Entlastungszeugen gelten.
(5.) Zur Kontrolle und Überprüfung der eigenen Sachbearbeitung sollte jede Einstellungsverfügung schriftlich begründet werden, und zwar auch dann, wenn ein formeller Einstellungsbescheid nicht ergeht.
(6.) Im Hinblick auf die Bedeutung der Ermittlungsverfahren in Polizeisachen und das Ergebnis dieser Aktenprüfung sollte jede Abschlußverfügung der Gegenzeichnung unterliegen (vergleichbar der Regelung in Staatsschutz- und Pressesachen).
Die hier vorgeschlagene Verfahrensweise ist letztlich nichts anderes als eine faktische Wiederherstellung der uneingeschränkten Sachleitungsbefugnis und -verpflichtung der Staatsanwaltschaft durch eine sachgerechte, der Bedeutung der Polizeisachen angemessene, notwendige eigene Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft (grundsätzliche Vernehmung der Zeugen und Beschuldigten durch die StA).
Daß die vorgeschlagene staatsanwaltliche Arbeitsweise sehr arbeitsintensiv ist, liegt auf der Hand und bedarf daher keiner Begründung. Mit der bisherigen personellen Ausstattung der mit Polizeisachen befaßten Dezernate war und ist eine solche Arbeitsweise nicht möglich, insbesondere dann nicht, wenn in vertretbarer Zeit Verfahrensabschlüsse erwartet werden.
b. Soweit die Polizei, insbesondere Ps 3, zukünftig mit Ermittlungshandlungen befaßt ist, muß der Gefahr abgestimmten Verhaltens dadurch begegnet werden, daß die Gelegenheit zu einem solchen Verhalten nicht noch dadurch gefördert wird, daß mehrere Zeugen oder Beschuldigte zur gleichen Vernehmungszeit geladen werden, ihnen die Anzeige oder der bis dahin erwachsene Ermittlungsvorgang übersandt wird oder ihnen auch der Sachstand per Telefon eröffnet wird. Es ist daher u.a. streng darauf zu achten und gegebenenfalls durch die StA sicherzustellen, daß Zeugen und Beschuldigte einzeln und getrennt zu Vernehmungsterminen geladen und auch vernommen werden. Dies gilt insbesondere für polizeiliche Zeugen."
Der Arbeitsbericht ist inzwischen vom Generalstaatsanwalt
zum Inhalt einer Weisung an die mit Polizeisachen befaßten Dezernenten
gemacht worden, so daß künftig nach diesen Empfehlungen zu arbeiten
ist. Darüber hinaus ist eine Weisung ergangen, nach welcher jede Polizeisache,
in der vom Dezernenten eine Einstellung vorgeschlagen wird, dem Generalstaatsanwalt
über den Abteilungsleiter und den Hauptabteilungsleiter zur Billigung
vorzulegen ist (Berichtspflicht).
Für einen Außenstehenden ist es nicht ganz einfach, den geschilderten Sachverhalt zu würdigen und vielleicht hier und da ein Wort der Kritik anzumelden, setzt er sich damit doch leicht dem Verdacht aus, Mängel bei der Ermittlung in Polizeisachen decken zu wollen. Gleichwohl soll dieser Versuch unternommen werden, denn es geht in dieser Affäre auch um die Rolle und das Ansehen der Staatsanwälte in Hamburg.
· Es soll und kann nicht bestritten werden, daß Polizeisachen einer sorgfältigen und gründlichen Ermittlung bedürfen. Diese Regel gilt für alle "wichtigeren Verfahren" überhaupt, worauf die Arbeitsgruppe im grundsätzlichen Teil ihres Berichts hinweist. In Zeiten rigoroser Sparmaßnahmen sind bei einer durch Personalmangel und Organisationsdefizite seit je geplagten Behörde ideale Bedingungen für einen Teilbereich strafrechtlicher Ermittlungstätigkeit kaum erreichbar, und wenn das doch der Fall sein sollte, dann nur zu Lasten anderer Sektoren, zumal ca. 1000 andere abgeschlossene Ermittlungsverfahren in Polizeisachen noch der Überprüfung (und Wiederaufnahme?) harren.
Wir wissen, daß es gerade in den allgemeinen Abteilungen der Staatsanwaltschaft seit Jahren nicht zum Besten bestellt ist. Über 40 Verfahren aus dem OK Bereich liegen nicht oder nur unzureichend bearbeitet herum. Der Wirtschaftsstrafsektor, der einst hohe justizpolitische Priorität genoß, findet heute kaum noch Beachtung. Es bleibt nur zu hoffen, daß sich alsbald alles wieder auf ein reales Mittelmaß zurückbewegt und die Staatsanwaltschaft ihre Kräfte mehr auf die eigentlichen Schwerpunktbereiche drückender Kriminalität konzentrieren kann.
· Ein fein abgestimmtes Berichtswesen bis hin zum Justizministerium, dies verbunden mit der Pflicht zur turnusmäßigen Vorlage von Restelisten, gehört zu den traditionellen Einrichtungen einer jeden Staatsanwaltschaft. Hierarchisch geprägte Behörden neigen dazu, auf vermeintliche Mängel durch Verdichtung der Kontrollen zu reagieren ("Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser"). Diese Organisationsmethode hat den Nachteil, daß wertvolle Personalkapazitäten in Kontrollinstanzen verbraucht werden und davon weniger für die eigentliche "Arbeit" übrigbleibt. Niemand kann wollen, daß sich die Staatsanwaltschaft zu einer Behörde entwickelt, die sich mehr und mehr in der Verwaltung eigener Probleme erschöpft. Und wer kontrolliert die Kontrolleure?
· In Hamburg gilt auch heute noch das Prinzip "Führung durch Delegation der Verantwortung." Das setzt Vertrauen in die Leistungsbereitschaft des Mitarbeiters voraus, gleichzeitig auch die Bereitschaft der Führenden, den Mitarbeiter zu guten Arbeitsleistungen zu motivieren. Mir scheint, daß bedingt auch durch eine überschäumende Verdachtsberichterstattung - hier von den Medien - viel Porzellan zerschlagen worden ist. Das gilt zunächst für die Staatsanwälte, die in ihrem Verhältnis zur Polizei versteckt oder offen der Verfilzung bezichtigt werden, das gilt auch für die Arbeit der Polizei selbst.
Niemand wird, unbeschadet gravierender Vorwürfe gegen einzelne Polizeibeamte, ernstlich behaupten wollen, die Polizei sei ein Haufen von Übeltätern, gar Kriminellen. Wir wissen auch, daß noch so strikte, von Mißtrauen geprägte Ermittlungshandlungen gegen Polizeibeamte auf Dauer keine geeigneten Mittel sind, der eigentlichen Probleme dort Herr zu werden. Die tieferen Ursachen von Übermaßhandlungen und Straftaten von Polizeibeamten liegen primär in Ausbildungs- und Führungsdefiziten. Zunächst hier etwas zu verbessern, ist sinnvoller, als die ohnehin begrenzten Mittel des Strafverfahrens zu perfektionieren. Daß Aufklärung und Strafverfahren gegebenenfalls unerläßlich sind und bleiben, ist trotzdem ganz unstreitig.
Die Polizei, die sich mit Rauschgiftsachen abplagen muß, ist auf einen der übelsten Plätze gestellt, den die Gesellschaft ihren Staatsdienern zuzuweisen hat. Jeder Kundige weiß (und wer unkundig ist, mag es der Statistik entnehmen), daß innerhalb dieser "Klientel" der Ausländeranteil extrem hoch ist. Der polizeiliche Dienst dort ist hart, frustrierend und aufreibend. Auch psychologisch stellt er ungewöhnlich hohe Anforderungen. Das erlaubt keine Entschuldigungsstrategie, gebietet aber Genauigkeit der Analyse: Nicht jedes harte Durchgreifen ist ohne weiteres eine Straftat; nicht jede Straftat beruht schon deshalb auf Ausländerfeindlichkeit oder "Rassismus", weil ihre Opfer Türken, Angolaner und sonst Ausländer sind. Der Grund ist zunächst einmal und bis zum Beweise des Gegenteils im Milieu zu suchen, in das die Gesellschaft ihre Polizei hier verbannt hat. Immerhin stellt der Bericht in diesem Zusammenhang fest:
Versteht man die in diesem Heft auf S. 7 ff. wiedergegebene Presseerklärung der Justizbehörde in ihrem Schlußabsatz richtig, dann haben in der Behandlung von Polizeisachen alle, die Verantwortung tragen, früher nicht das Erforderliche getan. Keiner kann die Schuld dem anderen zuschieben und obrigkeitlich etwas "beanstanden" - wenngleich die Arbeitsgruppe diese Formulierung wählt. Das gilt auch im Verhältnis zu den Mitarbeitern der Ermittlungsgruppe Ps 3 (Präsidialstab 3), die 1982 eigens zu wirksameren Ermittlung von Beamtendelikten aus der Polizeihierarchie herausgelöst und dem Staatsrat unterstellt worden ist.
Soweit in den laufenden Ermittlungsverfahren Polizeibeamten Corpsgeist und falsch verstandene Kameraderie vorgeworfen wird, handelt es sich um Phänomene, die nicht auf Polizeitrupps begrenzt sind. Überzogener Corpsgeist wächst jeder Gruppe insbesondere dann zu, wenn sie sich - zu Recht oder Unrecht - in die Defensive gedrängt fühlt. Ich habe Zweifel, ob die Staatsanwaltschaft mit diesem Gruppenproblem, auch beim besten Bemühen, allein fertig werden kann. Auch als "Herr des Verfahrens" wird sie auf die verläßliche Arbeit pflichtbewußter Polizeibeamter angewiesen bleiben. Oder soll Ps 3 aufgelöst und der Staatsanwaltschaft eingegliedert werden? Sinnvoller wäre es, wenn sich die für Polizeisachen zuständigen Staatsanwälte mit den Mitarbeitern von Ps 3 an einen Tisch setzen, um gemeinsam Strategien für die künftige Behandlung von Polizeisachen zu entwickeln.
Die leichthändige und pauschale Verdächtigung von Polizeibeamten kann dazu führen, daß in unseren Hauptverhandlungen die Aussagen von Polizeibeamten ohne Recht abqualifiziert werden zu minderwertigen, in der Regel zweifelhaften Beweismitteln. Diese Gefahr ist umso größer, als angesichts der voraussehbaren Verlangsamung von Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte zu erwarten ist, daß in machen Hauptverhandlungen die Debatten um solch' offene Verfahren gegen die Polizeizeugen einen breiteren Raum einehmen werden als die Erörterungen der Schuldvorwürfe gegen die Angeklagten.
Die Diskussion der Rolle der Staatsanwälte hat aber einen anderen, durchaus wesentlichen Aspekt. Womit haben die Staatsanwälte, die nicht mit Polizeisachen befaßt sind, künftig zu rechnen? Daß die Arbeitssituation insbesondere in den allgemeinen Abteilungen nach wie vor miserabel ist, dürfte allgemein bekannt sein. Ebenso, daß die von der Arbeitsgruppe angelegten Idealmaßstäbe für die anderen Sachen dieser Abteilungen ganz utopisch sind. Müssen aber die dort tätigen Staatsanwälte, die aufgrund der Arbeitsüberlastung seit langem nur mit schlechtem Gewissen ihre Pflicht zu erfüllen versuchen (siehe Presseerklärung), eines Tages damit rechnen, daß aufgrund neuer justizpolitischer Prioritäten eine neue Arbeitsgruppe auch ihre Arbeit Akte für Akte mit revionsrechtlicher Strenge überprüft und "beanstandet"?! Müssen diese Staatsanwälte nicht befürchten, daß sie dann genauso in aller Öffentlichkeit an den Pranger gestellt werden wie ihre Kollegen aus dem Polizeiderzernat? Ähnliches gilt auch für die in vielen anderen Abteilungen arbeitenden Staatsanwälte.
Eines lehrt die Staatsanwälte ihre Erfahrung:
Gestern waren es die Arztdelikte, heute sind es die Polizeidelikte, in denen ihnen angeblich unzulängliche Arbeit angekreidet wird. Morgen könnten es dann die Körperverletzungssachen allgemeiner Art oder die Betrugsverfahren, Straftaten gegen weibliche oder kindliche Opfer sein, denen plötzlich eine vor- und höchstrangige Bedeutung beigemessen wird. Stetigkeit und Augenmaß sollten hier in den Vordergrund, Hektik und Opportunismus nach hinten rücken!
Häufig wird darüber diskutiert, daß der Austausch von Staatsanwälten und Richtern zwischen den Dienststellen gefördert werden sollte und die bisherige Einbahnstraßen-Praxis aufgegeben werden muß. Welcher Richter wäre aber in dieser unberechenbaren Situation noch bereit, auch nur vorübergehend Staatsanwalt zu werden, und wer wollte ihm seine ablehnende Haltung verübeln?
Unter vielen anderen drängenden Fragen fordert schließlich ein Weiteres zum Nachdenken auf:
Im grundsätzlichen Teil des Berichts der Arbeitsgruppe wird gefordert, daß in "wichtigeren Verfahren" anzustreben sei, daß der Staatsanwalt insbesondere die Beschuldigten und die "wichtigen" Zeugen selbst vernimmt, sowie die Polizei mit substantiierten Ermittlungsaufträgen betraut. Angesichts dieser auf den ersten Blick nicht unvernünftigen Forderung drängen sich doch viele Fragen auf: Was sind "wichtige" Verfahren oberhalb der Schwelle der sog. Bagatellkriminalität? Wer bestimmt, was "wichtig" ist? Auf wessen Sicht kommt es bei der Beurteilung dessen, was "wichtig" ist, an - auf die Sicht des von einer Straftat Betroffenen, auf die Sicht des Beschuldigten oder auf die Sicht desjenigen, der politisch eine Straftat als "wichtig" (s.o.!) einstuft. Oder sollen die Probleme dadurch gelöst werden, daß eine neue Berichtspflicht für "wichtige" Ermittlungsverfahren eingeführt wird?
Hamburg ist nicht Sulzbach an der Bergstraße. Dort mag ein Staatsanwalt noch in der Lage sein, gemäß Ziffer I 1.3. der Richtlinien für das Strafverfahren bei einem Einbruchsdiebstahl ("bedeutsam"?) am Tatort aufgrund seiner umfangreichen kriminalistischen Erfahrung dem Polizeibeamten zu sagen, wo es längs geht. In Hamburg liegen die Verhältnisse anders.
Und im übrigen: Die Staatsanwaltschaft hat keinen eigenen Ermittlungsapparat, sie ist auf den der Polizei angewiesen. Wollte man in allen "wichtigen" Verfahren den Staatsanwalt im lehrbuchmäßigen Sinne zum "Herrn des Verfahrens" auch in der eigenen Ermittlungsarbeit machen, dann hieße das, die Zahl der Staatsanwälte mindestens zu verdoppeln. Ist das gewollt?
Bei allen diesen Überlegungen, aller Kritik, die hier und da auch als überzogen empfunden werden mag, hat der Bericht der Arbeitsgruppe vielleicht auch etwas Gutes: Er fordert dazu auf, darüber nachzudenken, an welchen rechtsstaatlichen Essentialien staatsanwaltliches Handeln zu messen ist. Vielleicht erwächst den Staatsanwälten daraus mehr Selbstbewußtsein und die Kraft, gemeinsam mit dem Justizsenator das einzufordern, was der Rechtsstaat im Interesse des Bürgers braucht. Ein Staatsanwalt mit schlechtem Gewissen ist kein guter Staatsanwalt.
Wir - soweit wir Richter sind - haben keinen Anlaß, uns bei dieser Diskussion zufrieden zurückzulehnen, als ginge uns das alles nichts an, haben wir doch die Diskussion um den "faulen Richter" gerade hinter uns; sie kann aber jederzeit - morgen schon - wieder in Gang gesetzt werden.
Ja, nun ist die passende Überleitung zu den Grüßen der Saison etwas schwierig geworden. Aber da dies hier schließlich kein deutscher Aufsatz ist, enthalte ich mich krampfhafter Bemühungen.
Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wünsche ich ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gesundes Neues Jahr.
Ihr
Roland Makowka
Jedes Ermittlungsverfahren muß sorgfältig und unter Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten betrieben werden. Das gilt nicht nur für Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte, sondern für alle strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Der Verwirklichung dieses Anspruches stehen in Hamburg unzureichende Personalausstattung und unzumutbare organisatorische Rahmenbedingungen entgegen. Der Hamburgische Richterverein hat seit Jahren hierauf warnend hingewiesen.
In einem Bericht der Staatsanwälte - veröffentlicht in den Mitteilungen des Hamburgischen Richtervereins Nr. 2/1993 vom 15. Juni 1993 - heißt es u.a.:
In dem jetzt vom Senator vorgestellten "Bericht der Arbeitsgruppe zur Überprüfung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren" vom 7.11.1994 sind Anforderungen an die staatsanwaltschaftliche Arbeitsweise formuliert worden, die auch nach Auffassung der Mitglieder der Arbeitsgruppe mit der bisherigen personellen Ausstattung der Staatsanwaltschaft nicht zu erfüllen sind. Der Hamburgische Richterverein ist der Auffassung, daß Sparzwänge und ständig wechselnde politische Prioritäten nicht dazu führen dürfen, den Streit über Anforderungen an die staatsanwaltschaftliche Ermittlungstätigkeit auf dem Rücken derjenigen auszutragen, die bisher mehr als ihre Pflicht erfüllt haben. Insoweit ist der Justizsenator aufgefordert, die betroffenen Staatsanwälte gegen unberechtigte Vorwürfe in Schutz zu nehmen.
Der Hamburgische Richterverein fordert deshalb nochmals,
· der Staatsanwaltschaft umgehend die Stellen zur Verfügung zu stellen, die zum Haushaltsplan 1994 von der Hamburger Bürgerschaft für die Einrichtung einer neuen allgemeinen Abteilung bereits bewilligt worden sind;
· unverzüglich Schritte zur Verbesserung der Organisationsstruktur bei der Staatsanwaltschaft einzuleiten.
Dr. Makowka