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Fritz Valentin

Vielen von uns steht er noch vor Augen: Valentin als "Senatspräsident" (wie es damals hieß) am Hanseatischen Oberlandesgericht; unseren pensionierten Kolleginnen und Kollegen (aber nicht ihnen allein: noch amtet ein Rest jener Generation!) auch noch als "Landgerichtsdirektor" und langjähriger Vorsitzender einer Großen Strafkammer. Selbst die Hamburger Ganovenkreise, die "ihre" wenigen Strafkammervorsitzenden - wem wäre damals eine Zahl von 30 solcher Kammern nicht als absurde Vision erschienen? - genau kannten, wußten für ihn den rechten Spruch: "Bei Valentin ist die Verhandlung lang und der Knast kurz", um den Vers dann spiegelverkehrt fortzusetzen; aber das ist nicht unser Thema. ...

Es ist das Schicksal des Pensionärs, daß es bald still wird um ihn. In seiner bescheidenen, dem Wesen der Dinge und Menschen nachsinnenden und allem Getöse abholden Art wäre das Fritz Valentin gewiß nicht einmal unlieb gewesen. Aber sich gänzlich in die Stille zurückzuziehen, das erlaubten ihm die Umstände nicht; sein Rat und sein Zuspruch wurden immer wieder erbeten und gegeben.

Ein paar Jahre nach seiner Pensionierung i.J. 1965 hielt er auf einer Fortbildungsveranstaltung des Hamburgischen Richtervereins im "Haus am Schüberg" ein eindrucksvolles Referat: "Der Richter in der Bundesrepublik - Ein Kapitel: "Bewältigung der Vergangenheit"", von dem wir Auszüge in unseren Mitteilungen 1/1983 wieder abgedruckt haben. Im Jahr darauf haben wir -Mitteilungen 2/1984 - seiner gedacht und dazu einen ergreifenden Aufsatz aus seiner Feder nachgedruckt: "Bewahrung der Heimat im Schicksal der Emigration". Jetzt fanden sich in der Pinneberger Zeitung vom 24.01.1994 ein paar Spalten über Fritz Valentin, die wir nachfolgend abdrucken:

 
"Menschliche Blöße zwischen Himmel und Erde
Betroffen vom Schicksal der Welt
 
Von Vivian Gödicke

Wedel - Mehr als zwei Jahrzehnte schlummerte hinter den Mauern des Graf-Luckner-Altenheimes in Wedel unschätzbarer Wert. In Obhut einer alten Dame, Cäcilie Valentin, befand sich eine umfangreiche Sammlung mit Werken des Künstlers Ernst Barlach. Bücher, Zeichnungen, Skulpturen und eine Schallplatte verwahrte die am 3. Januar dieses Jahres verstorbene Gattin von Dr. Fritz Valentin in ihrer "Bibliothek". Mit dem Ableben seiner Frau, so verfügte es der am 2. Januar 1984 verstorbene Richter in seinem Testament, sei der Nachlaß dem Ernst Barlach Museum zu übergeben.

Weit mehr als nur Sammelleidenschaft hatte der Künstler Barlach in dem jüdischen Bürger Valentin geweckt. Die Werke des Bildhauers, Graphikers und Dichters waren Grundlage und Bestandteil Valentins Lebensbewältigung, die Betroffenheit über das menschliche Schicksal im allgemeinen war beiden eigen. Lange bevor Fritz Valentin sein Jurastudium begann und im Beruf als Strafrichter täglich mit menschlichem Versagen, Schuld und Leid konfrontiert wurde, waren für ihn die Gestalt und das Werk Barlachs "Symbol und Verdichtung der menschlichen Situation zwischen Himmel und Erde."

1926 zum Staatsanwalt ernannt, 1927 zum Strafrichter berufen, galt Valentins Augenmerk der Solidarität im Rechtswesen, das er anfangs nur seines Vaters zuliebe studiert hatte. 1934, bevor die "Nürnberger Gesetze" Juden das Ausüben des Richteramtes verboten, nahm seine Karriere ein jähes Ende: Weil er sich offiziell weigerte, dem "Winterhilfswerk" einen Obolus zukommen zu lassen, solange die Nationalsozialisten alle Nichtarier zum "minderwertigen Gesindel" deklassierten, wurde er entlassen. Das Geld wollte er seiner Kirchengemeinde zukommen lassen. 1939 wanderte Valentin mit seiner Frau und seinen drei Töchtern nach England aus.

Zu dem Zeitpunkt war der am 2. Januar 1870 in Wedel geborene Ernst Barlach bereits ein Jahr tot. "Ein bißchen Zeichnen oder Malen oder Schreiben mehr oder weniger fiel in der Familie nicht auf", hatte das Multitalent in seiner Prosa "Ein selbsterzähltes Leben" (1928) geschrieben. Dennoch blieb sein künstlerisches Schaffen an anderer Stelle nicht unbemerkt: Von den Nationalsozialisten als Vertreter der "entarteten Kunst" verfemt, wurden die eigenwilligen Werke Barlachs verboten.

In England gelang es der Familie Valentin derweil durch Vermittlung deutscher und englischer Quäker eine Bleibe zu finden. Das Familienoberhaupt war nun staaten- und berufslos, der gesamte Hausstand lagerte im Hamburger Hafen, nur 50 Mark hatten die Valentins mitnehmen dürfen. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden große Teile der umfangreichen Barlach-Bibliothek und der unersetzliche Briefwechsel zwangsversteigert. Mittellos und auf die Hilfe Fremder angewiesen, gelang es der Familie dennoch, die Jahre der Emigration zu einem erfüllten Abschnitt ihres Lebens werden zu lassen.

Kurz vor Ende des Krieges - in England waren die meisten Deutschen aus Angst vor Spionage interniert worden - berief man Valentin als Rechtsberater in die "Kontrollmission für Deutschland"; darauf folgte er der Bitte, in seiner Heimatstadt Hamburg wieder als Richter tätig zu werden. Stärker als zuvor richtete sich nun sein Augenmerk auf menschliche Not und auf die seiner Rolle in der Gesellschaft. "Auf daß Verfolgte nicht Verfolger werden", zitierte er häufiger denn je die jüdische Emigrantin und Friedensnobelpreisträgerin Nelly Sachs.

Die Frage nach dem Zusammenhang der christlichen Ethik mit dem spezifischen Berufsethos spielte außerdem eine große Rolle in Valentins Leben. In Anlehnung an die Theologie beschäftigte ihn dieselbe Frage auch bei Ernst Barlach. Sein Interesse an der religiösen Bindung des Künstlers schlug sich unter anderem in einer Vortragsreihe nieder, die Valentin nach dem Einzug mit seiner Frau ins Graf-Luckner-Haus 1972 gehalten hatte.

Derlei Dokumente und zahlreiche Originalaufzeichnungen von Barlach und seiner Kunst haben sich so die Jahre über angesammelt. Etwa 100 Bücher, neun Kohlezeichnungen im Wert von je 20 000 bis 50 000 Mark, sowie drei Bronzen ("Frau im Wind" und "Singender Klosterschüler", beide von 1931; "Die russische Bettlerin", 1907) und eine Schallplatte gehören nun dem Ernst-Barlach-Museum. Für die Museumsleiter Jürgen Doppelstein und Heike Stockhaus hat die Sammlung einen "unschätzbaren Wert". Unter den Exponaten befinden sich beispielsweise Originalausgaben des Buchverlages Paul Cassierer in Berlin, bei dem Barlach um 1922 unter Vertrag stand. Auch ein dreiteiliges Werkverzeichnis gehört zu dem Erbe. Heike Stockhaus: "Allein das hätten wir uns nie leisten können." Die Sammlung wird künftig im eigens dafür eingerichteten Fritz-Valentin-Raum zu sehen sein können.

Das Museum ist dienstags bis sonntags von 10 bis 12 und von 15 bis 18 Uhr geöffnet."

Günter Bertram