Am 9./10. Dezember 1993 fand in Dresden die Bundesvertreterver-sammlung des Deutschen Richterbundes statt. Der Hamburgische Richterverein war durch seinen Vorsitzenden Dr. Makowka sowie zwei Kolleginnen vom Landgericht und einen Amtsrichter vertreten.
Die Versammlung begann in der Dresdner Dreikönigskirche, in der 1990 die Eröffnungssitzung des ersten Landtages des wiedererstandenen Landes Sachsen stattgefunden hatte, mit der Verleihung des Menschenrechtspreises des Deutschen Richterbundes an den nigerianischen Rechtsanwalt und Bürgerrechtler Olisa Agbakoba. Außer der Dankesrede des Preisträgers, der selbst zu den Verfolgten in seinem Land gehört, waren zu hören der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Voß, als Festredner der Theologe und Philosoph Prof. Richard Schröder (Humboldt-Universität Berlin) sowie der sächsische Justizminister Heitmann, der kruzfristig für seinen Ministerpräsidenten Biedenkopf und Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger eingesprungen war.
Nach dieser gelungenen und dem Anlaß angemessenen Eröffnungsveranstaltung verlief die Bundesvertreterversammlung selbst durchaus unspektakulär. Aktuelle Reizthemen wie etwa der sogenannte Große Lauschangriff wurden nicht diskutiert. Die Vertreter mehrerer Länder berichteten ausführlich von den Schwierigkeiten bei der Umsetzung des "Rechtspflegeentlastungsgesetzes", das nicht nur in Hamburg eher zu zusätzlichen Belastungen geführt hat. Breiten Raum nahm die Diskussion zu Strukturveränderungen in der Arbeit der Justiz ein, die insbesondere mit dem Einsatz von PCs auf Geschäftsstellen und am Richterarbeitsplatz verbunden sind und bei denen es aus der Sicht des Richterbundes insbesondere gilt zu verhindern, daß die Arbeit des Richters mit zusätzlichen, seinem eigentlichen Tätigkeitsfeld fremden Verrichtungen wie der Ausführung des kleinen, evt. sogar großen Schreibwerks belastet wird.
Zu den - anzustrebenden - Strukturveränderungen gehört auch eine Verbesserung der Zusammenarbeit von richterlichem und nichtrichterlichem Dienst. Insbesondere in den Großstadtgerichten leidet diese Zusammenarbeit unter Auszehrung und fehlender Motivation des Geschäftsstellenpersonals und des Protokolldienstes. Die in diesem Zusammenhang von Dr. Makowka vorgetragene Anregung, der Richterbund solle sich für eine Änderung der Besoldungs- und Tarifstruktur sowie Großstadtzulagen im nichtrichterlichen Dienst einsetzen, lehnte das Präsidium mit dem Argument ab, dies könne nicht Sache des Richterbundes sein.
"Zuständig" seien Beamtenbund und Gewerkschaften. Mir scheint demgegenüber alles im eigenen Interesse der Richterschaft zu liegen, was geeignet ist, Zahl (Stellenbesetzung resp. -erhöhung) und Motivation der Mitarbeiter zu steigern, da dies wiederum die richterliche Arbeit erleichtert und Reibungsverluste reduziert.
Ostdeutsche Kollegen, die bereits zu DDR-Zeiten Richter waren und mittlerweise nach Abschluß der Überprüfungsverfahren in den Justizdienst der neuen Länder im Richterverhältnis auf Probe übernommen wurden, traten auf der Bundesvertreterversammlung nicht in Erscheinung. Der Mitgliedsanteil von ostdeutschen Kollegen im Richterbund ist nach wie vor gering, was sicher mit einer vor dem Hintergrund der DDR-Erfahrungen begreiflichen Scheu zusammenhängt, sich zu "organisieren", aber wohl auch mit dem Geld. Die ostdeutschen Kollegen erhalten bislang achtzig Prozent der Westgehälter mit noch geringerem Anteil an Weihnachts- und Urlaubsgeld. Eine in die sachsen-anhaltinische Justiz entsandte Kollegin aus Frankfurt am Main beantragte, der Richterbund möge die Verfassungsmäßigkeit dieser Situation prüfen lassen und für den Fall der Verfassungswidrigkeit einem ostdeutschen Kollegen Rechtsschutz für einen Musterprozeß gewähren. Mit eher weniger als mehr sanftem Druck veranlaßte das Präsidium die Kollegin, ihren Antrag zurückzuziehen: man müsse erst einen Einzelfall kennen, ehe man eine Rechtsschutzzusage geben könne. Ergibt sich die "Geeignetheit" eines Einzelfalls als Voraussetzung nicht unmittelbar aus dem Antrag? Der Richterbund vermittelt nicht den Eindruck, als sei er sonderlich darum bemüht, seine "Basis" in den neuen Ländern zu (ver)stärken.
Es gibt auch Positives zu berichten, wie z.B. die Annahme eines Vorschlags aus Nordrhein-Westfalen, zur Beschleunigung des teilweise quälend langsamen Rechtshilfeverkehrs zumindest mit dem europäischen Ausland eine Art "Europäische Rechtshilfegeschäftsstelle", etwa in Anlehnung an Europol, einzurichten. Insgesamt aber blieb ein eher ernüchternder Eindruck: der Deutsche Richterbund ist zwar keine Gewerkschaft und kann auch keine sein; etwas mehr offensive Außenwirkung und etwas weniger innerverbandliche Selbstgenügsamkeit stünde ihm jedoch nicht schlecht an. Aus Hamburger Sicht kann gesagt werden, daß wir im Vergleich einem sehr regen und aktiven Landesverband angehören, demjenigen mit der relativ höchsten Mitgliederzahl übrigens. Die nächste Bundesvertreterversammlung wird in Hamburg stattfinden.
Dr. Henning Dahm