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Ehrenrettung des Gartenzwerges

Der deutsche Gartenzwerg und seine - wie es damals scheinen mußte - letztendliche Verdammung durch Richterspruch des HansOLG hatte seinerzeit in den Mauern unserer Stadt und weit über sie hinaus unwilliges Murren, ja letztlich einen Sturm entfacht. Seither hat der Mond einige Dutzend Male die Erde umkreist und die zehn-, ja hundertausende deutscher Gartenzwerge immer wieder in sein mildes Licht getaucht. ... Da gibt es unverhoffte Neuigkeiten von dieser fast vergessenen, inzwischen wieder vergrasten und vernarbten, sozusagen renaturierten Front. Rudolf Gerhardt berichtet sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Sa., 29. Januar d.J., unter der oben zitierten Schlagzeile in seinen "Geschichten aus dem Rechtsleben" wie folgt:

"Auf dieses Gerichtsurteil hat die Öffentlichkeit lange gewartet: Endlich hat die Justiz die Ehre des deutschen Gartenzwergs wiederhergestellt! Ihm war ... zuvor von Rechts wegen schweres Unrecht geschehen: Das Hamburger Oberlandesgericht war es gewesen, das sich einmal zu der kränkenden Behauptung hatte hinreißen lassen, daß diese zipfelmützigen Kerlchen "Symbole der Engstirnigkeit und Dummheit" seien. Damals mußten zwei Zwerge aus einem Garten entfernt werden, weil die Richter meinten, daß nicht wenige Menschen an ihrem Anblick Anstoß nähmen und darin den "Ausdruck von Beschränktheit und das Zeichen eines schlechten Geschmacks" sähen.

Sollte dies etwa ein Spruch sein "im Namen des Volkes"? Ebenfalls ein Hamburger Richter war es jetzt, der die Dinge in einer Frage wieder zurechtgerückt hat, die so tief in die Schichten der Seele und des Gemüts hineinreicht. Wieder einmal wurde zwischen Nachbarn um so einiges gestritten, auch um einen bunten, etwa zwanzig Zentimeter großen Gartenzwerg, der unmittelbar am Gartenzaun postiert worden war: und zwar, dies spielte im Prozeß eine wesentliche Rolle, "mit Blickrichtung" zum Nachbarn hin. Darin sah der Nachbar einen für ihn nicht schmeichelhaften Sinngehalt: Den im freundlichen Zwergenblick verschlüsselten Vorwurf, er sei, wie der Zwerg selbst, der "Inbegriff der Dummheit und Einfältigkeit". Diese stumme Beleidigung wollte er widerrufen haben.

Nun zählt es zu den Aufgaben der Justiz, ernsthafte Streitigkeiten ernsthaft zu entscheiden. Aber selbst den solchem Lebensernst verpflichteten Richtern kommt bisweilen der Gedanke, ob sie denn wirklich alles ernst nehmen müssen, was ihnen da auf die Schiene der Justiz gefahren wird. Was den Zwerg und seine Blickrichtung anbelangt, dachte auch der Hamburger Richter in seinem Urteil laut darüber nach, ob da jemand vielleicht die Absicht hatte, "den im allgemeinen ernsthaften Gerichtsbetrieb durch humoristische Anklänge aufzulockern". Allerdings fand er dann auch selbst die Antwort: Die persönliche Anhörung des Gartenzwerg-Feindes habe ergeben, daß er es mit seiner Klage "vollkommen ernst meinte".

Deshalb machte sich dieser Richter, mochte er auch sein Schmunzeln nicht ganz unterdrücken können, nun ganz ernsthaft an die Verteidigung des Gartenzwergs. Anders als das Oberlandesgericht damals kommt er dabei zu einem milderen Urteil über deren Wesen und zu einer, wie er sagt, "humorvollen Duldung dieser auffallenden kleinen Kerle". Und jedenfalls solange sie "lustig anzusehen sind und freundlich gelassen gucken", erscheint es ihm auch rechtlich unerheblich, wohin sie auf diese Weise sehen. Dann bedeutet es seiner Ansicht nach auch keine "besondere Dreistigkeit", daß der Zwerg sein "freundliches Antlitz und nicht sein Hinterteil auf das feindliche Grundstück richtet".

Der Gartenzwerg darf also bleiben, wo er ist, und liest man das Urteil zusammenhängend, wäre es mit der Rechtsordnung wohl auch vereinbar, wenn er dem Nachbarn künftig statt seines Antlitzes sein Hinterteil zukehren würde. Und dieser Nachbar? Was um des Himmels Willen mag ihn bewogen haben, diesen Fall sogar noch vor das Hamburger Oberlandesgericht zu bringen? Jedenfalls verlor er auch dort, mit der lapidaren Begründung, daß das Gesetz den "Widerruf" einer Beleidigung nicht vorsieht, vorausgesetzt, daß es sich überhaupt um eine gehandelt hätte.

Wer nun meint, dieser Fall sei angesichts der Überlastung der Justiz überflüssig gewesen wie ein Kropf, der irrt. Denn auf diese Weise hatte ein Senat des Hamburger Oberlandesgerichts die Chance, die Reputation des Gartenzwergs wiederherzustellen, die ein anderer Senat so leichtfertig verspielt hatte. ..."

Günter Bertram