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Kurz vor dem Zusammenbruch
Unerträgliche Arbeitssituation junger Staatsanwälte

Zusammenbruch im doppelten Sinn: Zum einen der Zusammenbruch des einzelnen Kollegen unter der permanenten Arbeitsüberlastung und zum anderen - als Folge - der unmittelbar bevorstehende Zusammenbruch von wesentlichen Bereichen der Strafverfolgung.

Der Alltag der jungen Staatsanwälte, insbesondere in den allgemeinen Abteilungen, sieht düster aus. Durchschnittliche Wochenarbeitszeit von deutlich mehr als 50 Stunden, regelmäßige Wochenendarbeit, Abarbeiten von Rückständen im "Erholungsurlaub" und damit verbunden unerträgliche Spannungen in persönlichen Beziehungen bis zum Bruch, Verlust jeglicher Freizeit, mithin Beschränkung des "Menschen Staatsanwalt" auf Arbeit, Essen und Schlafen.

Die Grenze der Belastbarkeit und Zumutbarkeit ist schon lange weit überschritten. Das Wort "Ausbeutung", das unsere Justizsenatorin unlängst als Beschreibung der Situation wählte, kommt dem schon recht nahe. Dem einen oder anderen Betroffenen würden dazu allerdings noch eine Reihe - nicht gerade positiver -Adjektive einfallen.

Dies hat auch Auswirkungen auf die Qualität der Arbeit. Denn trotz ihres enormen Arbeitseinsatzes ist, jedenfalls in den allgemeinen Abteilungen, eine ordnungsgemäße Bearbeitung aller Verfahren durch die Kollegen nicht mehr möglich; der Gesetzesauftrag kann faktisch nicht vollen Umfanges erfüllt werden.

Es reicht eben nicht aus, bestimmte im Brennpunkt der Öffentlichkeit stehende Bereiche der Strafverfolgung personell zu verstärken. Auch wenn die Allgemeinen Abteilungen normalerweise nicht im Blickpunkt der Medien stehen, sind sie es, in denen die weitaus größte Zahl der Straftaten bearbeitet werden, die den einzelnen Bürger unmittelbar in seinem Sicherheitsgefühl betreffen. Die Verfolgung von Mord, Raub, Einbruch und Betrug muß ebenfalls gewährleistet sein.

Um hier die drohende Nichtverfolgung von Straftätern zu verhindern, ist es unerläßlich, die Zahl der Dezernenten in den Allgemeinen Abteilungen endlich entsprechend dem gestiegenen Ausmaß der Kriminalität zu erhöhen.

Gleiches muß auch für den Personalbestand der Geschäftsstellen, des Schreibdienstes und der Wachtmeister gelten, da die dortige ständige Unterbesetzung zu weiteren Erschwerungen im täglichen Arbeitsablauf führt. Hinzukommen muß ferner die längst überfällige Verbesserung und Modernisierung der sachlichen Mittel.

Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß sich den jungen Kollegen derzeit kurz- und mittelfristig keine Perspektive bietet. Hierdurch wird ihnen, die mit großem Eifer angetreten sind, ihr Engagement genommen. Wie lange werden sie bei der ständig zunehmenden Aktenflut noch durchhalten?

Allein mit Durchhalteparolen und vollmundigen Reden werden sie sich jedenfalls nicht mehr hinhalten lassen. Die Stimmen der Unzufriedenheit sind nicht mehr zu überhören.

Die Zahl derjenigen Kollegen, die ernsthaft über einen Wechsel ans Gericht, in andere Bundesländer oder andere Berufe nachdenken, steigt.

Aber es werden auch andere Wege diskutiert...

Man stelle sich nur einmal vor, die Kollegen wären nicht mehr zu dieser regelmäßigen Mehrarbeit bereit, sondern würden sich auf das gesetzliche Muß beschränken.

Staatsanwälte - insoweit vergleichbar den Richtern - haben zwar im Unterschied zu anderen Beamten aufgrund ihrer Befreiung von der Einhaltung fester Dienststunden keine festgelegte Arbeitszeit. Sie können daher, soweit ihre Anwesenheit in der Dienststelle nicht durch bestimmte Tätigkeiten (wie z.B. Sitzungsdienst) geboten ist, ihre Arbeitszeit innerhalb gewisser zeitlicher Grenzen frei gestalten. Das bedeutet jedoch nicht, daß ein Staatsanwalt zeitlich unbegrenzt zur Arbeitsleistung verpflichtet ist. Abgesehen von vorübergehenden Umständen, die einen erhöhten Arbeitseinsatz erfordern, ist Anhaltspunkt für den von einem Staatsanwalt zu erwartenden Arbeitsaufwand die in den Arbeitszeitvorschriften für Beamte enthaltene Regelung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit: z.Zt. mithin 38,5 Wochenstunden. Dabei ist die individuelle Arbeitszeit an dem Arbeitserfolg vergleichbarer Staatsanwälte in einer 38,5-Stundenwoche (Durchschnittspensum) zu messen. Dies kann - je nach Arbeitsweise - eine längere oder auch kürzere Arbeitszeit ergeben (vgl. BVerwG in NJW 1983, S. 62 f. zur "Arbeitszeit der Richter").

Zu den Möglichkeiten des einzelnen bei ständiger Überbelastung hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf folgendes ausgeführt:

"Bei anhaltend hohem Arbeitsanfall, der in der als Vergleichsmaßstab heranzuziehenden Zeit auf Dauer nicht zu bewältigen ist und deshalb einen Ausgleich der Mehrleistung durch flexible Handhabung der eigenen Dienststunden unmöglich macht, ist der Staatsanwalt regelmäßig befugt, sein Dezernat anwachsen zu lassen. ... Unzumutbare Folgen ergeben sich dadurch für ihn nicht, denn er kann auf den Gebieten des Zivilrechts, des Strafrechts und des Disziplinarrechts nicht zur Verantwortung gezogen werden, weil - abgesehen von der Frage eines objektiven Pflichtenverstoßes - jedenfalls kein Verschulden vorliegt. Die Konsequenzen sind vielmehr vom Dienstherrn zu tragen, der mit den Mitteln seiner Organisationsbefugnis Abhilfe schaffen muß, wenn die Verletzung von Rechten Außenstehender in Rede steht. ... Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn verbietet ... eine Belastung des Beamten über seine physischen und psychischen Kräfte hinaus." (VG Düsseldorf in NJW 1987, S. 1218 f.)

Bisher haben die Dezernenten auf das Mittel der Überlastungsanzeige verbunden mit der beschriebenen Verfahrensweise in der Hoffnung auf baldige Verbesserungen verzichtet. Da allerdings eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Allgemeinen Abteilungen offenbar nicht in Sicht ist, dürfte ihre Geduld bald zu Ende sein.

Die Folgen kann man sich leicht ausmalen:

Die anhaltende durchschnittliche Arbeitszeit von ca. 55 Wochenstunden bedeutet eine Mehrarbeit von über 40 %. Dementsprechend schnell würden sich in den Dienstzimmern und Geschäftsstellen die Berge der nicht bearbeiteten Akten häufen, wenn sich die Dezernenten entschließen, nicht permanent ihre Freizeit für die Arbeit zu opfern und mithin "ihre Dezernate anwachsen zu lassen."

Arbeitsgruppe
"Belange der Staatsanwaltschaften"
im Hamburgischen Richterverein.