Der Jahreswechsel hat uns ein paar markige Appelle ins Haus getragen: Der neue Vorsitzende des DRiB, Rainer Voss, meint (DRiZ 1/93), wir alle - "Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte" - hätten jetzt zu beweisen, daß wir "gewappnet" seien, die "Feinde von Menschlichkeit und Demokratie" mit harten (generalpräventiven) Strafen zu bekämpfen; und auch aus der Hamburger Justizbehörde ergeht an die "lieben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen" die Mahnung, "in dieser vielleicht härtesten Bewährungsprobe seit seiner Gründung" den Rechtsstaat "entschlossen zu verteidigen" ... Klingt das nicht wie der letzte Tagesbefehl an die Truppe, ehe sie ins blutige Gefecht zieht?
Muß man pure Selbstverständlichkeiten wirklich mit weitschallender Feierlichkeit verkünden? Daß unseren Staat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit trifft, Brandstiftungen, Anschlägen, Volksverhetzung und randalierender Gewalt entgegenzutreten, sie zu unterbinden, oder - wenn er das nicht schafft - Straftaten zu verfolgen und sie durch seine Gerichte zu bestrafen - lohnt es sich wirklich, darüber viele Worte zu machen? Am 10. Februar d.J., im Plenarsaal des HansOLG, konnte auf der Podiumsdiskussion "Ausländerfeindlichkeit - wie soll der Rechtsstaat reagieren?" zum angekündigten Thema kaum mehr gesagt werden, als in der vorstehend dürren Skizze bemerkt. Darüber bestand rasch Einigkeit, und das ist eigentlich kaum mitteilenswert.
Die Überraschung des Abends war der SPIEGEL-Journalist Gerhard Mauz, der alle feierlichen und bekenntnishaften Wortkaskaden, ohne die das Thema kaum noch behandelt werden kann, mit leiser, fester Stimme beiseite räumte und bei forschen Empfehlungen von der eingangs zitierten Art fragte, ob und warum die bewährten Grundsätze konsequenten aber maßvollen Strafens und der Wiedereingliederung des Täters denn über Nacht außer Geltung geraten seien; und wie es sich erkläre, daß es oft die gleichen Leute seien, die gestern nach Milde und Zurückhaltung gerufen hätten, die heute auf drakonische Härte pochten. Von der Beschwörung der Nazizeit, des Faschismus, deutschen Rassismus, der Perhorreszierung "der Glatzen" als einer neuen SA und ähnlichen Apokalypsen hielt Mauz nichts. Diesem Gemälde, wie es auch Voss entwirft, stellte er einige Beobachtungen und Erfahrungen der Wirklichkeit entgegen, vornehmlich aus den sozialen Problemfeldern im Osten Deutschlands; und er kam zu ein paar skeptischen Betrachtungen über die allgemeine Natur der Menschen - der "bösen", die meist nicht nur böse, und der "guten", die selten ganz so gut seien, wie sie es selbst der Welt verkündeten...
Überraschend war das für mich weniger des Inhalts der Rede wegen. Ich hatte im Laufe der Zeit z.B. in der FAZ eine Reihe guter Analysen gefunden, die das auch von Mauz skizzierte Beobachtungsmaterial schon entfaltet und gründlich reflektiert hatten. Auch im SPIEGEL (z.B. 35/91: "Eine Art positiver Rassismus"; 42/91: "Hier steigt eine Giftsuppe auf"; 1/92: "Jeder streichelt seinen Bimbo"; 50/92: "Bestie aus deutschem Blut" u.a.) war vieles zu finden gewesen. Nein, was mir bei Mauz imponierte, war seine umschweiflose, leise aber feste Rede: Er vertat keine Zeit damit, sie zu entschuldigen; er verbeugte sich nicht vor beflissenen Zeitgenossen, nicht vor dem Zeitgeist, der natürlich auch in den hehren Hallen des OLG sein Quartier aufgeschlagen hatte; er sagte, was er zu sagen hatte; und er sagte es meisterlich.
Das Thema "Zuwanderer/Ausländer" ist ernst, brisant und schwierig - vielleicht ein wirkliches Schicksalsthema unserer Zukunft. Gerade deshalb müssen wir uns entschließen, offen, unverkrampft und umfassend darüber zu reden, auch angstfrei in dem Sinne, daß keiner der Gesprächspartner fürchtet, wegen eines Wortes, eines Begriffs, einer Tatsachenfeststellung oder Meinung alsbald moralisch stranguliert zu werden.
Ein kleines - ein winziges Beispiel:
Beim Studieren einer Rauschgiftprozeß-Akte stieß ich auf einen Polizeivermerk über die Durchsuchung in einem - den Beamten als Rauschgift-Eldorado wohlbekannten - Hamburger Asylbewerberheim und las: "... im Raum Nr. 5 trafen wir drei kurdische Mitbürger an ... usw.". Jetzt wäre es billig - gar zu billig! -, die Nase zu rümpfen und etwas von "Stilbruch" zu murmeln, weil der Polizeisprache solche und andere Betulichkeiten ("junge Menschen", "ältere MitbürgerIn[en]") sonst fremd sind; ich jedenfalls habe dergleichen noch nicht gefunden. Der Ausdruck "Mitbürger" war hier überdies sachlich falsch; man kann Asylbewerber "Gäste" nennen; Mitmenschen sind sie ohnehin; deutsche Bürger aber nicht, selbst im Sinne eines politisch angestrebten kommunalen Ausländerwahlrechts nicht, das jedenfalls mehr voraussetzen soll als schlichtes Hier-Sein. Doch um all' das geht es mir jetzt nicht.
Wie kommt ein wackerer Polizist, dem das Feld seiner deprimierenden Alltagsarbeit natürlich genau bekannt ist, dazu, seinen Befund mit so falschem Zungenschlag aktenkundig zu machen? Die Frage - ich gebe es zu - ist etwas rhetorisch, denn jeder kennt die Antwort: Wer Ausländer verfolgt, sie - wie es zuweilen heißt - "kriminalisiert", ist den Beweis seiner (trotzdem) guten Gesinnung schuldig; und weil nun Gesetz Gesetz ist und Amtspflicht Amtspflicht, bleiben nur noch bescheidene Möglichkeiten semantischer Art zur Verdachtsvermeidung oder -beschwichtigung übrig. Jedes gönnerhafte Wort über die fast rührende Wortwahl eines gequälten Beamten wäre also verfehlt und ungerecht, aber auch jede Kritik an der Polizeiführung, wenn sie ihren Leuten Vorsicht und dreimal Vorsicht einschärft: Denn wer gegen Ausländerkriminalität Vorsorge treffen muß, woran für manch' eine deutsche Großstadtpolizei schlechterdings kein Weg vorbeiführt, schon wegen des Rauschgifthandels nicht, der sich oft zu wesentlichen Teilen längst in ausländischen Händen befindet, darf die Beamten jedenfalls nicht ungewarnt an ihre undankbare Arbeit schicken.
Ich habe das Reiz- und Stichwort "Ausländerkriminalität" erwähnt. Auch darüber muß man sich die Freiheit bewahren oder wieder verschaffen, nach bestem Wissen zu forschen und zu reden, ohne daß sogleich der Volkspädagoge mit der dicken Keule auf den Plan tritt. Tut er das? Eigentlich wird - mit Recht!! - gesagt, man solle es nicht den "Stammtischen" überlassen, angebliche Fakten, ungeprüfte Behauptungen, unreflektierte Meinungen von sich zu geben und ins Volk zu tragen; und das generalisierende, stigmatisierende, diffamierende Gerede von der "Ausländerkriminalität" sei deren übelster Domänen eine. Trotzdem - es gibt abwehrende Stimmen und erhobene Zeigefinger, die vor dem Blick in die Statistik dringend, ja geradezu anklagend warnen:
"Der Ausländer als Verbrecher - Bund und Länder verstärken mit der polizeilichen Kriminalstatistik die Fremdenfeindlichkeit", schreibt Norbert Kostede in der ZEIT vom 19. Juni 1992. Soweit das Zahlenwerk sich über Ausländerkriminalität auslasse, sei es schief, pauschal und im wesentlichen weder brauchbar noch nötig; es verleihe "archaischen Instinkten der Fremdenfeindlichkeit (nur) den Anschein von Rationalität." Ich will es kurz machen: Die genannte Statistik steht in der Bücherei des HansOLG (im Magazin/Empore; Nr. 130). Man muß weder Kriminologe noch Strafrechtler sein, um sie lesen zu können, denn ihr sind klare, verständliche Erläuterungen vorangestellt und laufend beigefügt. Gerade bei Angaben über "nichtdeutsche Tatverdächtige" warnen die Verfasser vor unzulässigen Verallgemeinerungen und Interpretationen: man tue gut daran, gewisse Deliktsgruppen (z.B. Verstoß gegen das AsylverfahrensG) alsbald abzurechnen, weil ihre Mitberücksichtigung die Größen verzerre usw..
Der generelle Anteil Nichtdeutscher an den insgesamt 1.466,752 Tatverdächtigen beträgt 25,9 %. Die Statistik weist zu einigen typischen "Gewaltdelikten" folgende Prozentanteile nichtdeutscher Tatverdächtiger auf:
Raubüberfälle auf Spielhallen 49,1 %
Raubüberfälle auf Straßen,
Wegen, Plätzen 40,9 %
Mord und Totschlag 29,6 %
qualifiz. Körperverletzung 27,5 %
leichte Körperverletzung 18,2 %.
Die Angst vor Gewalt, die durch diese Gesellschaft geistert, hat viele Gesichter - einige mehr jedenfalls, als manche wohlmeinende Demonstranten zu wissen scheinen. Aber hier sind noch manche Forschungen zu treiben und Erhebungen anzustellen über Täter- und Opfergruppen und möglicherweise über komplizierte "Interaktionen" zwischen ihnen. Das indessen - ich möchte es wiederholen! - muß man erforschen und darf es nicht tabuisieren.
Ich breche ab, trotz 100 offener Fragen. Deutsche / Ausländer / Zuwanderer ... : Man sollte wirklich versuchen, die Fragen kühl, genau und bis zum Grund auszuleuchten. Das Licht der Lichterketten ist schön und gut; als Mittel der Erkenntnis taugt es allein aber wenig.
Günter Bertram