Im Sommer und Herbst letzten Jahres wurde unser Kollege, OStA Dr. Helmut Münzberg - wie schon Jahre zuvor; wir berichteten (MHR 1/1987) - erneut mit Angriffen überzogen, die mit angeblichen Mängeln einer ausführlichen Einstellungsverfügung vom Jahre 1967 in einem NSG-Verfahren ("Bullenhuser Damm") motiviert wurden. Am 22. Dezember 1992 hat die Hamburger Justizbehörde dazu wie folgt Stellung genommen:
"In der vergangenen Woche ist in verschiedenen Medien erneut über eine Einstellungsverfügung berichtet worden, die der nach Mecklenburg-Vorpommern abgeordnete Ltd. Oberstaatsanwalt Dr. Helmut Münzberg 1967 im Strafermittlungsverfahren gegen den ehemaligen SS-Obersturmführer Arnold Strippel getroffen hat; gegen Strippel war wegen der Ermordung von 20 jüdischen Kindern in der Schule am Bullenhuser Damm ermittelt worden. Kern der in den Medien wiederholt erhobenen Vorwürfe gegen Dr. Münzberg, mit denen auch seine Verwendbarkeit bei der Bekämpfung rechtsextremistischer Gewalttaten in Mecklenburg-Vorpommern und die Praxis der Abordnungen in das Partnerland in Frage gestellt werden sollten, ist die falsche Behauptung, das Verfahren gegen Strippel sei seinerzeit eingestellt worden, weil Dr. Münzberg das Mordmerkmal "grausam" verneint habe.
Demgegenüber ist richtigzustellen:
Dr. Münzberg hat die dem Beschuldigten Strippel vorgeworfene Tat als Mord qualifiziert, gleichwohl das Verfahren nach sehr intensiven Ermittlungen aus tatsächlichen Gründen einstellen müssen: Nach der Beweislage erschien eine Verurteilung nicht hinreichend wahrscheinlich; die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung ist jedoch strafprozessuale Voraussetzung für eine Anklageerhebung. Das Problem der Beweisführung lag wesentlich darin, daß 4 Beschuldigte bereits von einem britischen Militärgericht im Curio-Haus-Prozeß zum Tode verurteilt und hingerichtet worden waren und deshalb als Zeugen gegen Strippel nicht mehr in Betracht kamen. Es lagen lediglich Protokolle vor über Aussagen der später Verurteilten im Verfahren vor dem Militärgericht 1946 - Strippel war für dieses Gericht damals nicht greifbar. Ein Teil der Täter hatte Strippel belastet, ein anderer Teil nicht. Soweit Strippel belastet worden war, enthielten die Aussagen Widersprüche und offensichtliche Unrichtigkeiten; zudem hatten die seinerzeit Beschuldigten ein erkennbares Interesse, ihren eigenen Tatbeitrag zu kaschieren.
An der rechtlichen Bewertung der Strippel vorgeworfenen Tat als Mord bestand für Dr. Münzberg kein Zweifel. Er bejahte die Mordqualifikation "Heimtücke", "zur Verdeckung einer Straftat" und "aus niedrigen Beweggründen". Zur letztgenannten Mordqualifikation führte er u.a. aus:
"Wer unschuldige kleine Kinder nur wegen ihrer Abstammung tötet, handelt aus niedrigen Beweggründen. Er steht nämlich nach allgemeiner sittlicher Wertung auf der denkbar tiefsten Stufe. In seinen Antrieben ist er unter das Mindestmaß derjenigen Anforderungen hinabgesunken, die die Gemeinschaft allgemein stellen muß und er verleugnet die sittliche Verantwortung, vor die jedermann gestellt ist, bewußt so stark, daß der Antrieb seines Tuns keinerlei Rechtfertigung oder Selbstverständnis mehr verdient, sondern nur noch Verachtung."
Ohne daß es hierauf für die rechtliche Qualifikation der Tat als Mord noch ankommen konnte, verneinte Dr. Münzberg, der um eine vollständige Erörterung aller in Frage kommenden Alternativen des Mordtatbestandes bemüht war, aus juristischen Gründen das Mordmerkmal "grausam" als vierte theoretisch in Betracht kommende Tatvariante. Das Mordmerkmal "grausam" ist ein rechtstechnischer Begriff und durch die Rechtsprechung sehr restriktiv ausgelegt worden. Danach handelt ein Täter nur dann grausam, wenn er sein Opfer über Gebühr lange gequält oder ihm über die Herbeiführung des Todes hinaus besondere Schmerzen zugefügt hat. Der Rechtsbegriff "grausam" hat also eine andere inhaltliche Ausfüllung als im allgemeinen Sprachgebrauch. In Übereinstimmung mit der für ihn verbindlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist Dr. Münzberg zu dem Ergebnis gelangt, daß die Erhängung der Kinder, "unter so grausigen Bedingungen auch immer sie geschah, nicht das Tatbestandsmerkmal der Grausamkeit (erfüllt)." Dabei war eine Beweislage zu berücksichtigen, wonach "sämtliche Kinder gleich nach Empfang der ersten Spritze das Bewußtsein verloren und aus diesem Grunde alles Weitere, was mit ihnen geschah, nicht wahrgenommen haben."
Dr. Münzberg hat in seiner von allen Vorgesetzten gebilligten Einstellungsverfügung deutlich gemacht, daß er es selbst als problematisch und mißverständlich empfand, daß ein derartig grauenhaftes Geschehen nicht den rechtstechnischen Begriff der Grausamkeit erfüllt. Er hat seiner Betroffenheit in einer längeren Passage in der Einstellungsverfügung Ausdruck verliehen. U.a. führt er aus:
"Bei den Erhängten hat es sich schließlich um zum Teil sehr kleine unschuldige Kinder gehandelt, die mitten in der Nacht in einem finsteren Keller von Männern, denen jedes Gefühl der Barmherzigkeit abging, auf viehische Weise umgebracht wurden. Infolge des zu geringen Eigengewichts der Kinder zog sich die Schlinge nicht zu und die Henker mußten sich mit ihrem ganzen Gewicht an die - nackten - Körper der Kinder hängen, um ihren Tod herbeizuführen.
Diese Szene ist derart grausig, daß sie jeden normal empfindenden Menschen mit äußerstem Abscheu erfüllten muß. Die Erhängung der Kinder kann daher nach Wortsinn und Sprachgebrauch, folgt man der oben wiedergegebenen Auffassung, nur als grausam bezeichnet werden."
Dr. Münzberg hat sich in diesem Jahr mit rechtlichen Schritten gegen die wiederholte falsche Berichterstattung über seine damalige Einstellungsverfügung und gegen die mit den unbegründeten Vorwürfen geführte Diffamierungskampagne erfolgreich zur Wehr gesetzt. U.a. strahlte das NDR-Fernsehen eine Gegendarstellung und Richtigstellung aus und verpflichtete sich im Vergleichswege zur Zahlung eines immateriellen Schadensersatzes; den Zahlungsbetrag stellte Dr. Münzberg der Behindertenhilfe zur Verfügung.
Obwohl die Reihe der Gegendarstellungen und Berichtigungen, wie zuletzt erwähnt, inzwischen noch länger geworden ist, auch vorher schon - z.B. im Schweriner Landtag seitens des Justizministers - der wahre Sachverhalt unermüdlich herausgearbeitet worden war, haben die Angriffe nicht aufgehört und einen z.T. ausgesprochen gehässigen, nur noch auf Diffamierung und menschliche Vernichtung abgestimmten Ton angenommen. Leider sind auch "seriöse" Publikationen in den Chor eingefallen. DIE ZEIT z.B. hat einen ungeprüften Beitrag solcher Art übernommen; allerdings hat sie sich durch ausdrückliche Richtigstellung später davon distanziert.
Der Vorstand des Hamburgischen Richtervereins hat in seiner Sitzung vom 19.01.1993 beschlossen, und der Vorsitzende hat in der Mitgliederversammlung vom 23.02.1993 dementsprechend erklärt:
Die Angriffe auf Dr. Münzberg entbehren jeder Substanz und aller Berechtigung; durch die Erklärung der Justizbehörde vom 22. Dezember 1992 werden sie mit Recht zurückgewiesen.
Die erwähnte - in der langen Verfügung von 1967 genau begründete - "Beweisnot" betraf den gesamten Komplex, der seinerzeit Strippel zur Last gelegt worden war, wovon früher fast ausschließlich die ermordeten Kinder erwähnt worden sind, während man jetzt zuweilen auch andere Opfer nennt. Nachdem bestimmte, durch Scheinzitate flankierte Behauptungen nur noch schwer weiterverbreitet werden können, versuchen einige Gegner Münzbergs es mit anderen Collagen. Sie sind genau so haltlos, nicht zur "Aufklärung", sondern nur zur Diffamierung bestimmt wie die alten.
Der grauenhafte, besonders schreckliche Kindermord vom April 1945 am Bullenhuser Damm bildet einen bedrückenden, heftige Gefühle entbindenden Hintergrund. Schon 1987 hatten wir Wert darauf gelegt, daß keine Kollegin und kein Kollege auch nur den Eindruck oder Verdacht soll schöpfen müssen, der Vorstand wolle sie oder ihn im Urteil bevormunden. Wir hatten deshalb im Vorzimmer des Landgerichtspräsidenten die 62-seitige Verfügung von 1967 (übrigens auch eine Tonbandkassette vom sog. "TRIBUNAL") zur allgemeinen Prüfung und Kenntnisnahme hinterlegt. Die Verfügung wird dort nun wiederum deponiert.
Im übrigen hat der Vorstand beschlossen, Herrn Dr. Münzberg Rechtsschutz für den Fall anzubieten, daß er künftig weitere Gegenwehr gegen Angriffe der o.a. Art für nötig hält.
Günter Bertram