Nun, da die Hamburger Justiztage ihre Pforten geschlossen haben, hat unsere Göttin das Kunstemblem "Hamburger Fahne" gewiß wieder vertauscht gegen ihr gewohntes Schwert: mit einem Seufzer der Erleichterung, wie man vermuten darf (vgl. Karin Wiedemann in MHR 2/1992 S. 11 ff. und vorstehend S. 16). Aber das "grundlegende Gespräch", das in der Lenkungsgruppe kurz aufgeflackert zu sein scheint, ist damit nicht zum Ende gebracht.
Um begrifflicher Verwirrung vorzubeugen: Justitia als rechtsprechende Gewalt - die Jurisdiktion allein und nur für sich - bedarf des Schwertes allerdings nicht. Sie spräche nur aus, was rechtens ist. Ob die Welt sich danach richtet, oder überhaupt jemand auf sie hört: dieser Frage begegnete sie mit erhabener Gleichgültigkeit. Einem so blassen Wesen aber flicht das Volk keine Kränze, schafft ihm keine Symbole. "Justitia" versinnbildlicht eine tiefere Lebenswirklichkeit, oder die Sehnsucht nach ihr. Sie speist sich aus der uralten Erkenntnis, daß Recht ohne Macht kraft- und wesenlos ist und denen nichts hilft, "die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit"; daß aber Macht ohne Recht die Erde mit Willkür verwüstet. Deshalb verweist erst und allein die Synthese von Waage u n d Schwert auf ein wirkliches Ideal: die rechtlich gebundene und verfaßte Staatsgewalt.
Als ich Karin Wiedemanns Bericht über die (angedeutete) Kontroverse in der Lenkungsgruppe las, fielen mir die vielen Debatten über das staatliche "Gewaltmonopol" ein, an denen ich bis in den Anfang der 80'iger Jahre in der Bergedorfer SPD mitbeteiligt gewesen bin. Nicht wenigen Genossen schien schon der bloße Begriff eine Verdammung der Sache zu fordern. Es ging lebhaft und interessant her. In unserer Distriktspostille vom Januar 1983 hatte ich mich dazu wie folgt eingelassen:
..."Staat / Gewalt / Monopol" - diesen martialischen Wortehaufen findet wohl keiner sehr erbaulich. Blicken wir trotzdem genauer zu: Einige tausend Jahre Weltgeschichte haben gezeigt, daß Menschen sich zur Konfliktaustragung und Aggressionsabfuhr immer der Gewalt bedient haben - regellos, gruppen- und sippenhaft, jeder gegen jeden. Immer erneute "Landfrieden", letztlich die Monopolisierung der Gewalt beim Staate, waren eine lebensdienliche, ja notwendige Einschränkung allgemeiner Gewaltausübung: Nicht jeder darf mehr, eigenem Interesse und Impuls folgend, Schwert und Waffe führen, dazu ist - nach Maßgabe allgemeiner Gesetze - nur noch einer berechtigt und notfalls verpflichtet: der Staat. Wer dieses "Monopol" brechen will, dem müssen wir entgegnen, daß er nicht der Zügelung, sondern einer unüber- sehbaren Ausuferung von Gewalttätigkeit das Wort redet. Denn die Alternative zum "Staatsmonopol" kann, wie der Mensch ist und die Geschichte es beweist, nicht die Abschaffung der Gewalt, sondern nur ihre gruppenhaft-private Verwaltung sein - regelmäßig auf Kosten und zu Lasten der Schwachen und Armen.
Übertragen wird das Modell (des gebrochenen Monopols!) einmal auf Bergedorf:
Die Citypartner hielten sich dann ihre Privatpolizeien; die Villenbesitzer sorgten in entsprechender Weise für ihre eigene Sicherheit; der HVV ließe seinen Wagenpark von 'Gunmen' umkreisen; wir selbst legten Wechsel- schichten zum Schutz unseres Parteibüros ein, die CDU desgleichen usw. Die Masse der Bewohner indessen, die Mieter in der Holtenklinkerstraße und anderswo müßten ganz auf eigenes Risiko, eigene Rechnung und Gefahr existieren; der Notruf zur Polizei ließe nur die Sprech- platte ertönen:
"Nach Abschaffung des staatlichen Gewaltmonopols haben wir unseren Betrieb eingestellt."
...Da wir von Berufs wegen das Recht verwalten, ist unser natürliches Augenmerk - sozusagen unser Argusauge - darauf gerichtet zu prüfen, ob die Macht sich nicht der Fesseln und Schranken des Rechts entledigt. Die andere Seite der Medaille liegt für u n s in einem ebenso natürlichen Schatten, ist aber genauso wichtig: Ob eine Macht vorhanden und tätig ist, die für eine rechtliche Gestaltung und Ordnung der Gesellschaft sorgt. Zuweilen stoßen auch wir auf diese lichtabgewandte Seite des juristischen Globus'. Wenn von "rechtsfreien Räumen" gesprochen wird (wozu es bekanntlich auch in Hamburg zuweilen Anlaß gibt), dann steht just sie zur Debatte. Darüber wurde und wird viel geschrieben - Übertriebenes, aber auch Begreifbares; vieles trifft ganz offenbar zu; und das Volk ärgert sich zu Recht. So kommt es, daß die Verfassungsdebatte unlängst durch den Vorschlag bereichert worden ist, den Schutz der Bürger vor Straftaten als Staatsziel ins Grundgesetz zu schreiben. Das ist natürlich absurd; aber absurd nicht deshalb, weil es für ein solches Verlangen keine psychologisch begreiflichen Gründe gäbe. Sie sind vorhanden! Es geht vielmehr deshalb nicht an, weil man die Elemente, durch die sich der Staat schlechthin definiert, nicht als seine Ziele in der Verfassung verbriefen kann. Es wäre so sinnlos wie die Rede vom runden Kreis oder dreieckigen Dreieck. Der moderne Verfassungsstaat mag alles Mögliche sorgen, garantieren oder erstreben, meinetwegen auch die Reinheit des deutschen Bieres; aber wenn er seine grundlegenden Schutz- und Ordnungsfunktionen nicht mehr erfüllt, dann vernichtet er sich selbst als Träger aller weiteren Ziele, Vorhaben, Aufgaben oder Wohltaten. So betrachtet, liest sich der etwas kuriose Vorschlag wie eine Schrift an der Wand. ...
Nein, die Justitia, um zum Anfang zurückzukehren, ist eine Himmelsmacht nur deshalb, weil ihre Hände b e i d e s umspannen: Recht und Macht, Waage u n d S c h w e r t !
Günter Bertram