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Achtzig Jahre OLG-Gebäude

Am 28. März 1992 erlebte das Oberlandesgerichtsgebäude am Sievekingplatz seinen achtzigsten Geburtstag. 1912 fand an diesem Tage die Einweihung des Gebäudes statt, in dem man am 1. April die Geschäfte aufnahm. Damit erhielt das Gericht 33 Jahre nach seiner Gründung ein eigenes Dienstgebäude. Bis dahin hatte man sich beholfen.

Das Obergericht Hamburgs und das Oberappellationsgericht der Freien Reichsstädte Hamburg, Lübeck und Bremen wurden 1879 durch die Reichsjustizgesetze aufgelöst. An ihre Stelle trat das Hanseatische Oberlandesgericht für die drei Hansestädte, das seine Arbeit am 1. Oktober 1879 aufnahm, an dem Tag des Inkrafttretens der Reichsjustizgesetze. Sie gaben der Gerichtsverfassung (Gerichtsverfassungsgesetz vom 27.1. 1877), dem Zivilverfahren (Zivilprozeßordnung vom 30.1.1877), dem Strafverfahren (Strafprozeßordnung vom 1.2.1877) und dem Konkursverfahren (Konkursordnung vom 10.2.1877) für das ganze Gebiet des Deutschen Reiches ein einheitliches Gesicht.

Das neugeschaffene Hanseatische Oberlandesgericht zog in die Dammtorstraße Nr. 10, in ein Gebäude, das zwischen Welckerstraße und Drehbahn lag. Für jeden Senat gab es im zweiten Stock einen "Audienzsaal", ein "Relationszimmer" und ein Zimmer für den Präsidenten. Die übrigen Räume lagen im dritten Stockwerk.

1891 zog das Gericht um. Der Senat hatte aus dem Nachlaß des früheren Justizsenators (1864-1869) und späteren Bürgermeisters Dr. Nicolaus Ferdinand Haller das Haus Welckerstraße 9 gekauft und es umbauen lassen. Hier erhellte erstmals elektrisches Licht die Tätigkeit des Hanseatischen Oberlandesgerichtes. Von dieser Einrichtung hatte man bisher abgesehen, um nicht "die Begehrlichkeit anderer Behörden zu wecken". Da das elektrische Licht nur tagsüber gebraucht wurde, fand man es zweckmäßig, das Gericht an die Leitung des gegenüber liegenden Staatstheaters anzuschließen - hier wurde der Strom abends gebraucht.

Es wurde bald wieder zu eng. Für den im Jahre 1905 eingerichteten sechsten Senat mußte mittels eines Wanddurchbruches das Nachbarhaus hinzugenommen und die Gerichtskasse in einem weiteren Nachbarhaus untergebracht werden. Dies alles geschah allerdings schon im Bewußtsein des Provisoriums, nachdem im Jahre 1897 die Bürgerschaft den Senat um die Ausschreibung eines Wettbewerbes für den Bau eines neuen Oberlandesgerichtsgebäudes ersucht hatte. Nach Überwindung zahlreicher Hindernisse wählte das Preisgericht den Entwurf der Architekten Lundt & Kallmorgen aus. Ihr Wohlgefallen an dieser Arbeit hinderte die Preisrichter nicht, schon gleich in ihrem Preis-Gutachten Änderungswünsche anzumelden. Dies sollte so bleiben. Die Bauherren trieben die Architekten zur Verzweiflung. Der erste Streit entbrannte um das Architektenhonorar; andere heftige Auseinandersetzungen folgen.

Der Zeitenplan sah eine fünfjährige Bauzeit vor. Die Arbeiten begannen im Sommer 1907 wie geplant. 1908 ging es nicht so zügig voran. Im Winter konnte wegen eingetretenen Frostes nicht gearbeitet werden, und als das Wetter offen blieb, lähmte ein Streik der Steinmetzen den Fortgang.

Auch das Jahr 1909 begann frostig, nicht nur des Wetters wegen. Es gab wieder einmal Streit zwischen Bauherren und Architekten, die sich durch die Baudeputation in ihrer künstlerischen Freiheit eingeschränkt sahen. Man stritt über alles, z.B. um die Gestaltung der Eckpylonen, die Wölbung der Kuppel und das Kranzgesims der Kuppel. Diese Architekturteile - nicht gerade unerheblich für die Gesamtansicht - entsprachen schon lange nicht mehr den ursprünglichen Zeichnungen und wurden weiter zerredet. Auch der Mittelrisalit geriet in die Diskussion. Die Stimmung sank auf den Nullpunkt, als sich der Architekt Lundt weigerte, weitere Änderungsvorschläge schriftlich einzureichen, solange er nicht auch schriftlich dazu aufgefordert worden sei....

Die Frage des äußeren Bauschmucks war zu klären. Vor allem mußten sich die Bauherren über die Ausgestaltung des Giebelfeldes klar werden. Der Senat wählte die Inschrift:

JUS EST ARS BONI ET AEQUI

Diesen Spruch des römischen Juristen Celsus aus dem zweiten Buch der Digesten hatte Bürgermeister Weber anläßlich der Eröffnung der durch die Reichsjustizgesetze geschaffenen neuen Gerichte zitiert und ihn über seine wörtliche Bedeutung hinaus frei übersetzt mit der Formulierung "Recht ist, im harmonischen Gleichmaß das Wahre zu finden und das Gute zu wirken".

Der weitere Außenschmuck ist eher bescheiden. Die massive Justitia des Bildhauers Arthur Bock entsprach dem Wunsch der Bauherren, die Kuppel nicht durch eine "schmale spitze Figur, die wie ein Spargel aus der Kuppel hervorschieße", zu verunzieren. Justitia verzichtet hier auf die Waage und stützt ihre Arme schwer auf ein Rutenbündel (Fasces) und das gesenkte Schwert, eine Verdopplung der Symbole der Macht. Ausdruck spätwilhelminischen Zeitgeistes?

Zu beiden Seiten des Daches hocken Sphinxe. Ferdinand Bertram hat in seinem Buch "Mein Hamburg" (1921) eine Deutung versucht, worauf Albers in seinem Aufsatz "Bildwerke am Sievekingplatz (Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter, Band 10, Heft 6-7, Oktober 1979) hinweist: "Nach der griechischen Sage lauerten sie an schwer passierbaren Wegen den Wanderern auf und legten ihnen schwierige Rätselfragen vor. Rieten diese sie, so durften sie ihres Weges ziehen; verfehlten sie die Lösung, so zerriß die Sphinx ihr Opfer oder stürzte es in den Abgrund. Was mögen die Sphinxe auf dem Gerichtsgebäude bedeuten sollen? Sie stellen den Menschen die Frage: Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. Den Unschuldigen lassen sie des Weges ziehen, den Schuldigen aber strafen sie schwer."

Der Innenausbau des Gebäudes verzögerte sich im Frühjahr 1911 durch einen Streik der Maler. Auch die Tischler traten in den Ausstand, und die Holzarbeiten im Plenarsaal und in der Bibliothek stockten. Ab August wurden die Tischler ausgesperrt, um eine Einigung über die Löhne im Holzgewerbe zu erzwingen. Erst Ende November war es möglich, die Tischlerarbeiten wieder aufzunehmen. Im Januar und Februar 1912 wurde im Plenarsaal das Parkett verlegt. Heute der Schrecken aller Examenskandidaten, rief dieser Raum damals das Entzücken der Öffentlichkeit hervor:

"Dieses Gemach verdient eine besondere Beachtung", schrieb der Hamburgische Korrespondent, "weil sein Innenausbau gerade das würdige Gepräge des Tempels deutlich veranschaulicht, der der Justitia geweiht ist...... und der Blick des Eintretenden fällt unwillkürlich auf das MottoFehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden., das an der Längswand angebracht ist".

Senat und Bürgerschaft konnten das Gebäude am 22. März 1912 besichtigen. Am 28. März, 11 Uhr, fand in der Halle die Einweihungsfeier statt - unter den Blicken der vier allegorischen Figuren in den Ecken der Halle: Gerechtigkeit, Klugheit, Weisheit und Milde. Auch Friedrich Sievekings Büste aus weißem Marmor - von der Anwaltschaft anläßlich seines fünfundzwanzigjährigen Präsidentenjubiläums gestiftet - stand schon in ihrer Nische. Die deutsche und die hamburgische Flagge wehten am Sievekingplatz, und auch das Rathaus flaggte. Die Halle des Oberlandesgerichtsgebäudes hatte man selbstverständlich mit Palmen und Lorbeer geschmückt. Bürgermeister Dr. Burchardt, Senatoren und Bürgerschaftsmitglieder waren erschienen, Vertreter der Städte Lübeck und Bremen, des Deutschen Reiches und natürlich Anwälte, Richter und Staatsanwälte.

Kurz nach 11 Uhr begab sich der Chef der Justizverwaltung, Senator Dr. Schäfer, zu dem inmitten grüner Blattpflanzen aufgestellten Rednerpult und hielt die Festansprache. Der Senator holte weit aus und berichtete über die lange Geschichte der Planung und der Entstehung des Baues. Er wandte sich auch der Frage der Belastung der Richter zu: "Lassen Sie uns, meine Herren, wenn wir die Frage beantworten sollen, ob unsere Richter zuviel oder zuwenig zu tun haben, nicht allzu ängstlich nach außen blicken. Daß derartige Vergleiche mit den Verhältnissen in anderen Staaten und Großstädten zu unseren Ungunsten, oder wie ich lieber sagen möchte, zu unseren Gunsten ausfallen müssen, wissen wir alle. Wir wissen, daß in Hamburg nicht nur im Richterberuf, sondern in allen Berufsarten, mit deren Berufspflichten eine Beschränkung auf eine bestimmte Arbeitszeit nicht vereinbar ist, viel gearbeitet wird. Dieses Bewußtsein soll uns nicht mit Bedauern und Neid, sondern mit Stolz und Freude erfüllen. Erfahrungsgemäß arbeiten diejenigen Gerichte am besten, die am meisten zu tun haben."

Erwähnenswert sind auch seine Gedanken zur Einstellungspolitik. Nur die Tüchtigkeit solle entscheiden sagte er. Die Presse meinte dazu:

"Bravo! Aber doch auch die Tüchtigkeit des aufrechten Charakters? Wird diese Hauptsache durch Personalakten und Examina festgestellt? Senator Schäfers neue Maximen begegnen vielfachem Mißtrauen. Er irrt sich, wenn er dieses Mißtrauen lediglich auf das Mitleid mit durchgefallenen Kandidaten zurückführt oder auf die Enttäuschung derer, die vergebens auf Protektion gerechnet hatten. Man fürchtet, kurz gesagt, die in Hamburg verhaßte Bevorzugung streberhafter Musterknaben, man fürchtet die Karrieremacher, die Zeugnisfexe, die Erfolgskreaturen, die mehr von Paragraphen verstehen als von der edlen und unabhängigen ars boni et aequi." Soweit die Presse 1912.

Nach dem Senator sprachen der gleichzeitig in sein Amt eingeführte Oberlandesgerichtspräsident Dr. Brandis und der Präsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer, Dr. R. Stade.

Den Reden folgte ein Rundgang durch alle Räume des neuen Hauses, die, wie die Zeitungen schrieben, "ihrer praktischen Anordnung und schönen Ausstattung wegen rückhaltlose Anerkennung fanden. Zur Stärkung nahm ein vermutlich engerer Kreis ein Frühstück im Hotel Atlantik. Abends um 7 ½ Uhr fand im Kaisersaal des Rathauses ein Festmahl mit Tafelmusik statt. Das Ratssilber mit den feinsten Tafelaufsätzen wurde aufgeboten wie in alten hansischen Zeiten, und üppiger Blumenschmuck zierte die Tafel. Auch eine Rede wurde gehalten, vom Hausherrn, Bürgermeister Dr. Burchard. Es soll hier nur deren Ende mitgeteilt werden:

"Das Hanseatische Oberlandesgericht, das seinem vornehmen Namen und seiner großen Tradition allezeit Ehre machen möge; im neuen Haus soll es blühen, wachsen und gedeihen! Das Hanseatische Oberlandesgericht es lebe hoch!" Der Hamburgische Correspondent vom 29. März 1912 teilte abschließend mit: "Nach Aufhebung der Tafel weilten die Herren noch längere Zeit in zwanglosem Gespräch bei Kaffee und Zigarren in den Festräumen des Senats." Man sieht, das Oberlandesgerichtsgebäude wurde damals ausgiebig gefeiert.

(Für diese Darstellung habe ich Teile der Aufsatzreihe "Über Gerichtsgebäude in Hamburg", veröffentlicht in MHR 4/87, 1/88 und 2/88 verwendet.)

Karin Wiedemann