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Hamburger Justiztage
Kunst und Recht - Zwei neue Ausstellungen

Anläßlich der Hamburger Justiztage im Mai 1992 zeigt der hamburgische Richterverein zwei neue Dauer-Ausstellungen: Zum einen "Warum trägt Justitia ein Schwert? - Justitia und ihre Symbole in Kunst und Gebrauchsgrafik" auf dem Flur vor Zimmer 704-712 und "Justiz im alten Hamburg" auf dem Flur vor Zimmer 275-303. Zu beiden Themen soll hier begleitend und vielleicht illustrierend berichtet werden.

 
"Warum trägt Justitia ein Schwert?

Einige Justitia-Darstellungen wurden bereits zu den ersten Hamburger Justiztagen 1983 gezeigt. Die damalige Geschäftsführerin der Notarkammer, Frau Dr. Heinrich, hatte sie gesammelt. Die Idee, diesen Bestand zu ergänzen und einige Erläuterungen hinzuzufügen, entstand anläßlich einer Debatte in der Lenkungsgruppe für die Ausgestaltung der diesjährigen Justiztage über die Darstellung der Justitia. Wunschgemäß hatte der Grafiker Frank Steffenhagen für das Plakat und das Schriftwerk eine moderne Justitia gezeichnet. Mit poppiger Frisur, Schmollmund und runder Kinderschulter trug sie dennoch seriös Waage und Schwert, um mit diesen traditionellen Symbolen trotz flotter Bürgernähe den nötigen Ernst zu bewahren. Der Entwurf des Grafikers fand keine einhellige Zustimmung. Abgesehen von den üblichen Verschiedenheiten des Geschmacks war es vor allem das Schwert, das manche abstieß: Ein Schwert sollte die Hamburger Justiz 1992 nicht tragen. Auf gar keinen Fall. Warum nicht?

Wie es so oft geschieht: Die Idee "Justiztage" kam als vage Vorstellung auf die Welt. Darüber, wie eigentlich das Bild der Justiz aussieht, das jeder der Mitwirkenden der Öffentlichkeit vermitteln wollte, ist nie diskutiert worden.

Die Diskussion über das Schwert trat unausgesprochen stellvertretend an die Stelle eines solchen grundlegenden Gesprächs. Was bedeutet das Schwert? Es ist, kurz gesagt, die Macht des Gerichtsherrn, heute die des Staates. Ein Richter - welchen Geschlechts auch immer - mag die vom Volk verliehene Macht freudig ausüben oder dabei von Skrupeln zerfressen werden, ausgeübt werden muß. Hieran gemahnt Justitias Schwert nachhaltig.

Wie die Waage seit alters her, als Attribut der Göttin, die materielle Gerechtigkeit, die Findung des Richterspruches nach dem Abwägen der Standpunkte streitender Parteien oder der Schuld eines Angeklagten ausdrückt, so symbolisiert das Schwert in erster Linie den Vollzug des gefundenen materiellen Recht. Es steht dementsprechend für das Thema und die Veranstalter der Justiztage: Für die staatliche Ordnung, die dem Handeln der Anwälte, Richter und Staatsanwälte den institutionellen Rahmen gibt, für die Vollstreckung des Zivilurteils und den Vollzug des Strafurteils. Wer hier allein an ein Richtschwert denkt, verkürzt die überlieferte Symbolik. Sie stammt aus Zeiten, in denen die selbständigen Rechtssubjekte ein Schwert als Teil ihrer Alltagskleidung trugen. Das Schwert der Justitia weist darauf hin, daß im gehegten Thingplatz, unter der Gerichtslinde oder in der Gerichtslaube sie allein die Waffe tragen darf. Alle anderen haben das gewohnte Schwert abzulegen, um die Rechtsfindung in befriedetem Raum zu ermöglichen. So steht das Schwert auch für den Anspruch der Gemeinschaft, die Durchsetzung des Rechts allein durch die Justiz zu dulden und eine Selbsthilfe nicht zuzulassen.

Selbst wenn diese hergebrachte Symbolik der Bevölkerung, die unsere Werbung für die Justiztage ansprechen soll, nicht vertraut sein mag, so versteht sie doch die überlieferte Figur mit Schwert und Waage ohne weiteres als Zeichen der Justiz. Deshalb wird dieses Bild heute in der Werbung, z.B. für Rechtsschutzversicherungen, ohne Sorge vor Mißdeutungen eingesetzt. Der unbefangene Zeitgenosse übernimmt - ohne weitere Gedanken darauf zu verwenden - das alte Symbol und überträgt es auf die Justiz seiner Zeit. Sofern sich ihm die Hamburger Justiz als "moderner Dienstleistungsbetrieb" darstellt oder, weniger funktional ausgedrückt, als Ort, an dem ein Bürger Offenheit und Aufmerksamkeit für seine rechtlichen Verwicklungen erwarten darf, an dem man ihn anhört und ihm zuhört, verbindet er mit dem Schwert der Justitia schwerlich den Gedanken an die Todesstrafe und an das Richtschwert. Das Schwert steht für richterliche Macht. Wie sie gehandhabt wird und wie die Bürger, an die sich die Justiztage wenden, sie erleben, hängt davon ab, wie die gestellte Aufgabe Tag für Tag erfüllt wird. So liegt es bei uns, welche Vorstellungen das alte Symbol heute weckt. Und: muß die Hamburger Justiz wirklich befürchten, Gedanken an ein Richtschwert zu hervorzurufen?

Der Harmonie zuliebe wurde das Schwert für die Zeit der Justiztage doch begraben. Justitia umgibt sich auf dem Plakat nun mit der materiellen Gerechtigkeit in Form der Waage und mit einer Hamburg-Fahne. Ob dieser "staatstragende" und von der Lenkungsgruppe gebilligte Einfall des Grafikers allen besonders lieb ist, sei dahingestellt. Stellen wir uns also vor, Justitia habe für vier Tage das Schwert zur Seite gelegt, weil sie in dieser Zeit ohnehin kaum zum Arbeiten kommen wird, und sich zum Veranstaltungsbesuch entschlossen.

In der Ausstellung können Sie mehr oder weniger attraktive Göttinnen betrachten und auch die Entstehung unseres Plakates nacherleben. Im übrigen ist die Sammlung der Justitia-Bilder keineswegs als abgeschlossen anzusehen. Falls Sie selbst auf weitere in- und ausländische Darstellungen stoßen und Gelegenheit haben, ein Foto davon mitzubringen, bitte ich Sie um Ergänzung unserer Sammlung - auch wenn Ihre Justitia etwas anderes als Waage und Schwert tragen sollte, was in der Kunstgeschichte bisweilen vorgekommen ist, wie man auch auf dem Dach des Hanseatischen Oberlandesgerichtes sehen kann.
 

"Recht im alten Hamburg"

Lange schon geplant, immer wieder aus Zeitmangel verschoben, mußte es jetzt endlich sein: eine kurze Darstellung von Bildern und Dokumenten aus der Geschichte des städtischen Hamburger Rechts, das 1879 mit den Reichsjustizgesetzen endete. Die Darstellung der nationalsozialistischen Justiz hat in Hamburg bisher mit Recht in den Ausstellungen einen breiten Rahmen eingenommen. Aber die Zeiten davor, in denen manches Eigentümliche, speziell Hamburgische zu finden, ist gehören gleichfalls zu unseren Wurzeln.

Bei der Sammlung der Dokumente ist schon vor Jahren Dr. Martin Ewald behilflich gewesen, der während seiner aktiven Zeit die juristischen Bestände des Staatsarchivs engagiert betreute. Er bescherte uns manchen unterhaltsamen Artikel zur hamburgischen Rechtsgeschichte. Hier und in den folgenden Heften der MHR soll der Versuch unternommen werden, Sie so unterhaltsam es geht, an Hand der ausgestellten Dokumente, aber auch ein wenig darüberhinaus mit dem hamburgischen Partikularrecht bekannt zu machen, oder es Ihnen ins Gedächtnis zurückzurufen.

Die Entwicklung spezifisch hamburgischen Rechts endete formal am 30. September 1879. Am folgenden Tage, dem 1. Oktober 1879, traten die Reichsjustizgesetze in Kraft, die einheitliche Regelungen für das ganze Gebiet des Deutschen Reiches einführten. Diese Gesetze bestimmen bis heute - mit einigen Anpassungen und mehreren politischen Brüchen - die Struktur der Gerichte und ihr Verfahren mit den Grundsätzen der Öffentlichkeit, der Mündlichkeit, der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der freien Beweiswürdigung. Die neuen Gesetze brachten eine große Veränderung des überkommenen Gerichtsaufbaus, der Verfahrensabläufe und der Prozeßgrundsätze mit sich. Viele bedauerten dies, einige verweigerten sich, so Otto Beneke, Jurist und Archivar. Daß er am 29.9.1879 im Senat der Beeidigung des neuen Richterpersonals beiwohnen mußte, war ihm "recht widerwärtig". Nicht genug damit: Am nächsten Morgen mußte er um 11 Uhr im Habit in der Kunsthalle erscheinen, wo der "selbstmörderische Act" der Installierung der neuen Gerichte zelebriert wurde und zu Beneke Entsetzen auch noch mit einem Hoch auf den Kaiser endete! Selbstverständlich blieb Beneke dem abendlichen "Leichenschmaus auf die begrabene althamburgische Justiz" fern.

Was hat es auf sich mit dieser althamburgischen Rechtskultur? Die hamburgische Justiz bot in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundertes ein buntes Bild. Es gab ein Gewirr verschiedener Gerichte mit unklaren Zuständigkeiten, zwischen denen oft eine Abgrenzung gar nicht möglich war, und die von den Herrschenden wohl auch nicht als notwendig erachtet wurde. Den Bereich der ordentlichen Gerichte deckten das Niedergericht, das Handelsgericht, das Obergericht und das in Lübeck errichtete Oberappellationsgericht der Freien Städte (Hamburg, Bremen, Lübeck und - bis 1869 - Frankfurt) in etwa ab. Daneben gab es in Leipzig das Reichsoberhandelsgericht als dritte Instanz in Handelssachen.

Ferner standen für Bagatellstreitigkeiten die früher durch die Bürgermeister und Ratsherren in ihren Hausdielen ausgeübten Präturen zur Verfügung. Sie sind nur zum Teil den Amtsgerichten im heutigen Sinne vergleichbar. Es gab Zuständigkeiten für arbeitsrechtliche Streitigkeiten zwischen Herrschaft und Dienstboten, für Mietestreitigkeiten oder Zinsklagen. Auch Bagatellkriminalität wurde hier geahndet. Die Prätoren waren im 19. Jahrhundert zunehmend rechtsgelehrte Männer - von Gewaltenteilung war hierbei keine Rede. In Gewerbestreitigkeiten konnte man das Amtsgericht anrufen - "Amt" meint hier Handwerkerzunft. Die Rechtsprechung dieses Amtsgerichtes empörte oft die Gesellen der Zünfte, so daß die Sprüche häufig Anlaß zu Tumulten und Unruhen wurden. Rechtsprechung oblag zudem den Landherren von Hamm und Horn, sowie anderer zu Hamburg gehörender Landgebiete, wie etwa Billwerder und Ochsenwerder, Hamburger Berg und die Walddörfer. Auch das Amtsgericht in Ritzebüttel (Cuxhaven) und der Rat in Bergedorf sprachen Recht.

Nur einmal zuvor während der hamburgischen Justizgeschichte hatte man einen streng gegliederten Aufbau der Gerichte erlebt - während der Zeit der französischen Besetzung Hamburgs. Hamburg war am 10. Dezember 1810 dem französischen Reich einverleibt worden. 1811 hatte die Besatzungsmacht ihr Rechts-und Gerichtssystem in "notre bonne ville de Hambourg" eingeführt. Die Erinnerung an das Elend, das die Franzosen über die Stadt gebracht hatten, machte es politisch unmöglich, nach dem endgültigen Abrücken der Franzosen am 30.5.1814 mit deren Einrichtungen zu leben, auch nicht mit einer so fortschrittlichen wie dem Gerichtssystem und dem Prozeßrecht Napoleons. Eilig wurde alles Französische abgeschafft und vaterländisch restauriert. Fast alles, muß man ergänzen. Allein eine - für die Kaufmannschaft der Stadt trotz aller patriotischen Empfindungen unentbehrliche - Neuerung wurde beibehalten: Das Handelsgericht, das später auf Betreiben Hamburgs auch in Form der Kammern für Handelssachen Eingang in das Gerichtsverfassungsgesetz vom 1877 fand. Immer wieder wurde in der Folgezeit der Ruf nach Reformen und Anpassungen an die sich verändernde Zeit laut. Die Gerichtsreform stagnierte jedoch. Hierbei spielte nicht zuletzt der Wunsch eine Rolle, das über Jahrhunderte Gewachsene und nach Meinung vieler Bürger Bewährte beizubehalten.

Zur Untersuchung der stolzen althamburgischen Rechtskultur, die 1879 "zu Grabe getragen" wurde, müssen wir noch ein wenig weiter zurückgehen. Immerhin beginnt die überlieferte Hamburger Justizgeschichte bereits Anfang des 13. Jahrhunderts, als sich Altstadt und Neustadt zu einem Rathaus, einem Markt und einer Dingbank (Gerichtsbank) zusammenschlossen. Gericht wurde nun in einer offenen Laube am alten Alsterhafen im Nikolaifleet gehalten. Das Verfahren war ein mündliches, streng formalisiertes, wie es in anderen Städten und Landgebieten des sächsischen Rechtskreises jener Zeit auch zu finden war. Die "Richter" gingen nicht mit in die Urteilsfindung, sie durften das Urteil nur von den Schöffen erfragen.

Aus diesen Zeiten stammt das älteste Dokument der Ausstellung. Es ist zugleich das älteste erhaltene rechtliche Zeugnis in Hamburg überhaupt, der Freibrief Barbarossas aus dem Jahre 1189, mit dem alles begonnen haben soll: Der Hafen, der Aufstieg zur Großstadt, die Urkundenfälschungen. Das Dokument, das Hamburgs Partikularrecht beendete, beschließt auch die Ausstellung "Recht im alten Hamburg": Das Gesetzblatt mit den Reichsjustizgesetzen und ihre allegorische Darstellung in Form der Bronzefigur auf dem Sievekingplatz, dessen Gebäude in den Jahren danach entstanden, um den Raum zu schaffen, dessen es für das neue Gerichtsverfahren bedurfte. Friedrich Sieveking, der erste Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichtes starb 1909 - die Fertigstellung des Oberlandesgerichtsgebäudes, dessen achtzigsten Geburtstag wir am 28.3.1992 hätten feiern können, hat Sieveking nicht mehr erlebt.

Die Zeit zwischen den genannten Dokumenten soll in den folgenden Ausgaben der MHR aufgehellt werden, so gut dies einem historischen Laien in Zeiten der allseitigen Spezialisierung möglich ist. Zunächst wird die Rede sein von einem kleinen Flüßchen, von entschlossenen Kolonisten, von allerlei Standespersonen, von frommen Kreuzzugswerken und von einem weniger frommen Urkundsdelikt.

Karin Wiedemann