Wie in MHR 2/89 und 2/90 bereits berichtet, besteht der Gedanke, für die Opfer der nationalsozialistischen Justiz auf dem Sievekingplatz ein Mahnmal zu errichten. Die Dinge haben inzwischen ihren Fortgang genommen:
Die von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe formulierte Wettbewerbsaufgabe (vergleiche MHR 2/90) wurde der Kulturbehörde übersandt, die die Durchführung eines Wettbewerbes befürwortet. Sie hat durch ein Schreiben an 15 Künstler aus Hamburg sowie dem weiteren In-und Ausland einen sogenannten begrenzten Einladungswettbewerb eingeleitet. Die interessierten Künstler sollen - etwa Ende März - zu einem Kolloquium und Informationsbesuch am Sievekingplatz sowie zu einer Diskussion mit den Initiatoren des Projektes eingeladen werden. Der Wettbewerb wird ein breites Spektrum von Ausführungen ermöglichen (unter Einschluß botanischer Lösungen oder Verwendung von Wasseranlagen). Bis Ende Juni könnten dann die Konzepte der am Wettbewerb beteiligten Künstler vorliegen.
Für die weitere Planung ist eine Ausstellung in der Grundbuchhalle oder in der Halle des OLG in Aussicht genommen. Hier werden die in die engere Wahl gezogenen Ideen vorgestellt werden.
Derzeit wird versucht, die Mitwirkung der Baubehörde zu intensivieren, die für die Neugestaltung des Umfeldes eines Mahnmal und für die über die unmittelbare Umgebung des Mahnmals hinaus wünschenswerte Wiederherstellung eines ansprechenden Platzes erforderlich ist. Der Sievekingplatz stellte in seiner ursprünglichen bis 1962 bestehenden Anlage eine einzigartige Platzanlage der Stadt dar. Er zeichnete sich aus durch das Gesamtensemble von drei bemerkenswerten Bauten, einer ihnen Raum gewährenden gärtnerisch und künstlerisch gestalteten Fläche und einer Einfassung von freien Grünflächen. Die durch die Umbauten anläßlich der Internationalen Gartenbauaustellung 1962 zerstörte städtebauliche Schönheit dieses Ensembles ist - anders als viele andere Bausünden dieser Stadt - nicht unwiederbringlich verloren; sie kann weitgehend wiederhergestellt werden. Ein Mahnmal, wie es erstehen soll, bedarf dieser Einfassung und wird in der jetzigen Form des Sievekingplatzes, die nur als Ansammlung von Landstreifen bezeichnet werden kann, nicht seine volle Wirkung entfalten können.
Ein erster praktischer Schritt ist durch die in dieser Frage erfreulich engagierte Justizbehörde bereits getan worden. Justizsenator Curilla hat am 17.1.1991 eine Tafel enthüllt, die mit dem von der Arbeitsgruppe entworfenen Text auf das Projekt des Mahnmals und der Umgestaltung des Platzes hinweist. Curilla beschwor vor einer großen Schar von Zuhörern in bewegenden Worten und in ausführlicher Darstellung von Fällen der Unrechtsjustiz die Notwendigkeit des Erinnerns.
Dieses von Curilla angemahnte Erinnern immer wieder zu beleben, wird die Aufgabe des Mahnmales sein. Staatsanwälte und Richter immer wieder zu beunruhigen, sie nachdenken zu lassen darüber, wie das geschehen konnte, was mit einer Generation dieses Berufsstandes geschah, auch dazu soll das Mahnmal inmitten des Alltags auf dem Sievekingplatz stehen. Es sind nicht die spektakulären Fälle schreienden Unrechts, die wir vorrangig betrachten sollten. Ihnen wird immer Aufmerksamkeit zuteil werden. Es sind die kleinen Folgsamkeiten, der auch im einfachsten Zivilrechtsfall vorauseilende Gehorsam der Juristen des Dritten Reiches, denen unsere Aufmerksamkeit gelten sollte. An der Alltagsarbeit ist zu verfolgen, wie der Unrechtsstaat vorbereitet wurde, langsam wurzelte, wuchs und schließlich wucherte. Wie legte man diese Saat?
Einige Antworten auf diese Frage gab die Ausstellung "Justiz und Nationalsozialismus", die vom 7.1. bis 11.2.1991 im Museum für Hamburgische Geschichte stattfand und auf die Bertram in diesem Heft bereits eingegangen ist. Für diejenigen, die die Ausstellung nicht sehen konnten, sei der Katalog empfohlen, in dem fast alle der dokumentarischen Exponate abgedruckt sind. Die Ausstellung wurde begleitet von Vorträgen, auf in MHR 4/90 bereits von Berger hingewiesen worden ist. Die Vorträge waren gut besucht, und das Publikum zeigte lebhaftes Interesse. Zur Veranstaltung "Wiederaufbau der Justiz nach 1945 - personelle Kontinuität in der Hamburger Justiz" war neben Ingo Müller ("Furchtbare Juristen") auch Harold Romberg erschienen, der von September 1945 bis 1949 Mitglied der Britischen Kontrollkommission war. Romberg hatte seinerzeit einen sehr britischen Marschbefehl erhalten: Er sollte beim Aufbau der Justizbehörden helfen, dabei aber unauffällig die Personalpolitik im Augen behalten. Romberg beschrieb die Präsidenten Kiesselbach und Ruscheweyh aus seiner Erinnerung als integere Männer, die in schwierigen Zeiten nach Kräften am Aufbau einer rechtsstaatlichen Justiz arbeiteten. Diese Sicht der Dinge mißfiel einer beträchtlichen Zahl der Zuhörer, die nicht an Augenzeugenberichten über Justiz in einer kriegszerstörten Stadt und dem liberalen Verständnis für die praktischen Probleme der Gewinnung von Richtern und Staatsanwälten interessiert waren. Diese Aspekte paßten nicht ins erwartete Bild der vorsätzlichen Wiederinstallation unverbesserlicher Nationalsozialisten. Unruhe entstand, wurde aber nicht für den Redner verständlich artikuliert - ein Stolperstein bei dem Versuch, begreiflich zu machen, was damals geschah. Auch die Vielfalt der jeweils zu bedenkenden Aspekte in sich aufzunehmen, ist eine Notwendigkeit, um die Wiederholung des Geschehenen in der Zukunft zu verhindern. Und so ist auch das Zuhörenkönnen eine Eigenschaft, an deren Unentbehrlichkeit in unserer Arbeit immer wieder erinnert werden muß.
Wie legte man diese Saat? Dem müssen wir nachspüren. Erst die Erkenntnis der generellen Gründe und Zusammenhänge dieses Unheils machen es möglich, sinnvolle Vorkehrungen gegen seine Wiederholung zu treffen, wie Bernd Rüthers zu Recht in seinem Buch "Entartetes Recht - Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich" sagt, und diese Zukunftsperspektive sinnvoller Vorkehrungen rechtfertigt es, auch heute noch - längst überfällig allerdings - ein Denkzeichen auf einen Platz zu setzen.
- Karin Wiedemann
Veit Harlans "Jud Süß" hat Filmgeschichte gemacht, die Hamburger Schwurgerichtsverhandlungen (1949/50) gegen Goebbels Starregisseur machten Nachkriegs-Justizgeschichte. Wenn dies heute kaum noch jeder weiß, so liegt dies nicht zuletzt daran, daß der Film "Jud Süß" der Öffentlichkeit weitgehend entzogen war und nur als Forschungsobjekt zur Verfügung stand. Am 4. Februar, dem Todes- und Hinrichtungstag des historischen Geheimen Finanzrats Joseph Süß-Oppenheimer (4.2.1738), zeigte die Justizbehörde jetzt den Film im Rahmenprogramm "Justiz und Nationalsozialismus" im Metropolis-Kino. Die große Resonanz, die diese Veranstaltung fand, hatte zur Folge, daß zahlreiche Interessenten keinen Einlaß im Kino fanden und wieder nach Hause geschickt wurden. Richterverein und Justizbehörde bemühen sich daher, den Film wieder nach Hamburg zu holen.
Die Kopie des Films, der zur NS-Zeit für 19 Millionen Kinobesucher das Bild "des" Juden geprägt hatte, war nach 1945 in die USA gebracht worden. In der Kennedy-Ära kam sie in die Bundesrepublik zurück. Das Bundesarchiv kann die Kopie jetzt im Wege der Amtshilfe der Hamburger Justizbehörde überlassen. - "Jud Süß" war nach dem Krieg auf die Verbotsliste der Alliierten Hohen Kommission gesetzt worden. Noch heute wird er in den Katalogen als "verboten" geführt. Das Verbot war jedoch schon 1955 mit den Überleitungsverträgen seiner Grundlage beraubt worden. Lediglich in West-Berlin, wo das Besatzungsregime bis zum Tage der Wiedervereinigung, dem 3. Oktober 1990, galt, blieb "Jud Süß" seitens der Militärbehörden verboten.
Der Film ist ein Faszinosum gewesen und verdient schon deshalb unsere Aufmerksamkeit. Die Filmprominenz der Nazizeit wirkte an der Darstellung des historischen Vorgangs aus dem Württemberg des frühen 18. Jahrhunderts mit:
Herzog Karl Alexander (Heinrich George) schwört bei seinem Amtsantritt auf die Verfassung. Doch er liebt den Luxus und möchte den leichtfertigen Souveränen der Nachbarstaaten nicht nachstehen. So überfordert er schon bald den Etat seines Landes. Nachdem die Landstände seine finanziellen Forderungen abgelehnt haben, verschafft er sich von dem Frankfurter Juden Süß-Oppenheimer (Ferdinand Marian) die nötigen Mittel zur Finanzierung seiner Gelüste. Rasch wächst nun Oppenheimers Einfluß. Mit Hilfe seines Sekretärs Levy und der des Rabbi Loew (beide Rollen: Werner Krauß) setzt er die Aufhebung der Judensperre für Stuttgart durch und erhebt Steuern auf Straßen, Brücken und Lebensmittel. - Die Empörung der Landstände kennt keine Grenzen, nachdem Jud Süß Dorothea Sturm (Kristina Söderbaum), die Tochter des Landschaftskonsulenten, geschändet und in den Tod (Wasser) getrieben hatte.
Auf Drehbuch, Besetzung und die Gestaltung der einzelnen Szenen nahm Goebbels ständig Einfluß. Man muß sich ihn auch als den Kinomogul der Nazizeit vorstellen. Auf diese Weise fehlen dem Film die historischen Dimensionen, wie sie insbesondere in Feuchtwangers biografischem Roman gleichen Titels zu finden sind: die Auseinandersetzung zwischen aufstrebenden Katholiken (Herzog Karl Alexander war in diesen Glauben übergetreten) und konservativen Protestanten (die Landstände), genauer die Auseinandersetzung zwischen der expandierenden und merkantilistisch geförderten Manufaktur und dem reinen Agrarland Württemberg. Stattdessen legt der Film Gewicht auf die frei erfundene Schändungsszene. Goebbels veränderte sogar die von Harlan bereits gefilmte Schlußszene (Jud Süß verflucht Richter, Henker und Christen) und ließ dem Film eine Szene ankleben, die Jud süß als eine schuldbewußte, verachtenswerte Gestalt abtreten läßt. - Nach dem Krieg behaupteten die Darsteller, sie hätten sich der Beteiligung an diesem Film nicht entziehen können. Ferdinand Marian bekundete, er habe bei den Probeaufnahmen absichtlich schlecht gespielt (er bekam die Hauptrolle). Werner Krauß will mit der Forderung, eine Doppelrolle zu spielen, auf Ablehnung spekuliert haben (er bekam sämtliche anderen Juden-Rollen). Kristina Söderbaum wandte ein, sie habe eben erst entbunden (ihr wurde eine Amme gestellt). Harlan selbst will sich an die Front gemeldet haben (er konnte diesen und weitere Großfilme drehen).
1948 bis 1950 hatten Hamburger Richter und Staatsanwälte versucht, an Hand des "Jud Süß"-Films Vergangenheit strafrechtlich zu bewältigen. Das ging auf spektakuläre Weise schief. Aber es wurde Justiz- und Pressegeschichte daraus. Harlan, der zusammen mit seiner Ehefrau Kristina Söderbaum (der "Reichswasserleiche") Ende 1944 in Hamburg Wohnsitz genommen hatte, wurde vom Schwurgericht zweimal freigesprochen und auf den Schultern jubelnder Fans aus dem Strafjustizgebäude getragen. Fotos zeigen Kristina Söderbaum glücklich strahlend wie den ganzen "Jud Süß"-Film hindurch nicht.
Angeklagt war "Jud Süß"-Regisseur Harlan nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945. "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" - nur ein solches stand hier zur Debatte - war u. a. die Mitwirkung an der Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen.
Das Hamburger Gericht hatte im ersten Durchlauf (Urteil vom 23.4.1949) angenommen, es sei nicht zu beweisen, daß auf Grund des Films einem Juden Leides geschehen sei; um welchen oder welche solle es sich denn handeln? Hierzu sei nichts Näheres bekanntgeworden; es fehle daher an der Kausalität.
Der Oberste Gerichtshof der Britischen Zone hob das Hamburger Urteil in einem vielbeachteten Spruch vom 12.12.1949 auf. Vorsitzender des Strafsenats war Dr. Staff, Beisitzer waren Dr. Jagusch und Dr. Engels. Der Senat wandte sich gegen die Auffassung der Hamburger Strafkammer, daß die Juden in Deutschland ohne den Jud-Süß-Film ebenso verfolgt worden wären, dieser mithin keine "nicht hinwegzudenkende Bedingung" und folglich auch keine Ursache oder Mitursache der Verfolgung im Rechtssinne gewesen sei. Der Begriff der Ursächlichkeit sei verkannt. Die Besonderheit sei, daß sich die Tat, d.h. die Herstellung des Films, von vornherein gegen die Juden im allgemeinen gerichtet habe. "Erst die unablässige, planvolle, von Staat und Partei mit allen Mitteln moderner Massenbeeinflussung jahrelang folgerichtig durchgeführte, völlig einseitige judenfeindliche Propaganda, der Andersgesinnte und auch die Juden selbst infolge der staatlichen Unterdrückung nichts entgegenzusetzen vermochten, hat bei zahlreichen Deutschen einen Meinungsumschwung zu Ungunsten der Juden bewirkt" . Der diesem Bedürfnis dienenden Propaganda habe der Harlan-Film mit seiner "bildhaft-eindringlichen" Darstellung eines bösen und gemeinen Juden mehr volkstümliche Breitenwirkung verschafft, als ideologische Schulung es vermocht hätte. "Während man die Juden im Osten und in den Konzentrationslagern massenweise tötete oder unausbleiblichen Seuchen hilflos aussetzte, verhetzte und 'beruhigte' man das deutscher Volk durch eine wohlberechnete Massenpropaganda, deren Kern die Behauptung war, daß man sich der 'jüdischen Schädlinge' nur auf diese Weise wirksam entledigen könne und sie dieses Schicksal auch verdienten. Ein nicht unwesentliches Werkzeug dieser zur Vernichtung der Juden dienenden Hetze war der Film 'Jud Süß'".
Trotzdem sprach das Hamburger Schwurgericht unter demselben Vorsitzenden am 29. April 1950 Harlan wiederum frei. Diesmal nahm das Gericht an, Veit Harlan habe sich in einem Befehlsnotstand befunden. Goebbels habe den Film befohlen, und bei einer Weigerung hätte "er in irgendeiner Weise seine furchtbare Macht spielen lassen".
Trotz heftiger Befragung der zahlreichen Zeugen konnte das Gericht zwar nicht ermitteln, "welche Folgen im Falle einer Ablehnung (der Regie) im einzelnen hervorgerufen worden wären". Es erklärte sich diesen mysteriösen Umstand jedoch damit, daß kein derartiger Fall bekanntgeworden sei. - Damit bleibt das Urteil einzigartig in der Geschichte der Nachkriegsjustiz. Denn alle anderen Gerichte zogen bis zum heutigen Tag den entgegengesetzten Schluß: wenn "kein derartiger Fall bekanntgeworden ist", hat es auch keinen Befehlsnotstand gegeben.
Harlan profitierte denn auch als einziger von der absonderlichen Argumentationskunst des Hamburger Gerichts. Die Richter hatten spekuliert, Harlan hätte eventuell bei einer Weigerung, "Jud Süß" zu drehen, vor ein Sondergericht gestellt werden können und wäre dort in "Lebensgefahr" geraten...
Nicht einmal wegen Beleidigung der Juden vermochte das Schwurgericht zum Spruch zu kommen. Begründung: die Juden hätten die Antragsfrist versäumt. - Der Ankläger, Staatsanwalt Kramer, später Behördenleiter und Senator, hatte einigen Juden den "Jud Süß"-Film vorführen lassen, bevor die Kopie zum Beweisstück für den Prozeß umgewidmet wurde. Im Atelier der Alsterfilmgesellschaft hatten die Geschädigten am 1.7.1948 Strafantrag gestellt. - Eventuell zu spät, befand das Gericht und ließ den Zweifel zu Gunsten von Harlan ausschlagen. Denn hätten die Juden nicht schon damals, 1940/41, ins Kino gehen und Strafantrag wegen Beleidigung stellen können? Und fragen könne man sie nicht mehr, weil sie inzwischen außer Landes gegangen seien. - Während der Judenverfolgung in der Nazizeit mit dem gelben Judenstern in die Kinovorstellung eines antisemitischen Films gehen und sich anschließend bei der Polizei über den Film beschweren, - das Gericht ging den sich aufdrängenden Fragen nicht nach.
"Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können", hatte Goebbels am 18. August 1940 seinem Tagebuch anvertraut. Dann ließ er ihn am 5. September 1940 auf der Biennale im venezianischen Cinema San Marco uraufführen. Im selben Monat begann der Masseneinsatz des Films in Deutschland und den besetzten Ländern.
Harlan hatte davon profitierte, daß Polen besetzt und in den Städten Ghettos eingerichtet waren. Ende 1939 studierte er dort das "Urjudentum", um ihm in seinem Film den "getarnten Juden", den "eleganten Finanzberater des Hofes Jud Süß Oppenheimer" gegenüberzustellen. Für die Filmaufnahmen in Prag, das die Kulisse für Stuttgart abgab, beschaffte das Reichssicherheitshauptamt - Zentralstelle für jüdische Auswanderung - "rassereine jüdische Komparsen". Diese Tatsache durfte laut Goebbels Presserundschreiben vom 18.1.1940 nicht erwähnt werden. Das Reichspropagandaamt hatte in seinen geheimen Vertraulichen Mitteilungen die Presse angewiesen, "Jud Süß" nicht als antisemitischen Film zu bezeichnen: "Eine derartige Charakterisierung ist deshalb nicht richtig, weil er durch die Wirkung auf das Publikum seinen Zweck von selbst erfüllen wird". Daß dieser Zweck die sog. Endlösung der Judenfrage war, ist unschwer den Erlassen des Reichsführers-SS Himmler zu entnehmen. Noch im Monat der Uraufführung ersuchte er, "Vorsorge zu treffen, daß die gesamte SS und Polizei im Laufe des Winters den Film "Jud Süß" zu sehen bekommt". Im Ministerialblatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern wurde der Film für Gendarmerie, Schutzpolizei und Dienststellen der SS empfohlen; "die Familienangehörigen können teilnehmen". Besonders im Osten, aber auch im Paris der Vichy-Zeit wurde "Jud Süß" der arischen Bevölkerung immer dann vorgeführt, wenn "Aussiedlungen" in die Vernichtungslager bevorstanden.
Es mag richtig sein, was Harlan, der Neuhamburger, nach 1945 zu seiner Verteidigung vorbrachte (Er sei vor 1933 in der SPD gewesen, dagegen niemals in der NSDAP; er sei selbst nicht rasserein und mit einer Jüdin verheiratet gewesen usf.). Auf Empörung stieß, daß er hier, vom Berufsverbot der Militärbehörden ganz abgesehen, ungebrochen und ungeniert weitermachte, unbelehrbar. Er hatte sich nichts vorzuwerfen. Schuld hatten die anderen. Das brachte er in einer Flut von Briefen, die die Hamburger Zeitungen (Abendblatt, Welt, Die Zeit) abdruckten, vehement zur Kenntnis. Seit 1947 trat er hier wieder, zum Teil anonym als Bühnenregisseur, wieder auf ("Gaslicht"), dann als Filmregisseur ("Unsterbliche Geliebte"), in der Hauptrolle jeweils Kontinuitäts-Star Kristina Söderbaum.
1948 wurde er während der westdeutschen Erstaufführung von Kurt Maetzigs "Ehe im Schatten" vom empörten Hamburger Publikum des Saals verwiesen. - Die, die ihn angezeigt (die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) und zum Boykott seines Films "Jud Süß" aufgerufen hatten (Erich Lüth), verfolgte der freigesprochene Harlan unerbittlich durch die gerichtlichen Instanzen.
Erich Lüth, von 1946 bis 1964 mit vierjähriger Unterbrechung ("Bürgerblock" in Hamburg von 1953-1957) Direktor der Staatlichen Pressestelle, bekam erst am 15. Januar 1958 durch das Bundesverfassungsgericht gegen Harlan Recht. Das "Lüth-Urteil" über die Rechtmäßigkeit des Boykottaufrufs und die Freiheit publizistischer Kritik machte Epoche. - Der Film "Jud Süß" ist nach allem ein Stück Zeit- und dann auch Hamburger Justizgeschichte geworden. Wie eingangs bemerkt, hoffen wir, ihn demnächst hier erneut zeigen zu können.
- Dietrich Kuhlbrodt