(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/11, 23) < home RiV >

Auf der Zielgeraden?

Die Gesetzgebungsgeschichte des ersten deutschen Mediationsgesetzes

 

Das neue Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung ist auf den letzten Metern des Gesetzgebungsverfahrens angelangt. Wie die lange Vorgeschichte zeigt, braucht gerade dieses gesetzgeberische Vorhaben den Vergleich mit einem Marathon nicht zu scheuen. Und wie bei einem Marathon, kann auch hier auf den letzten Metern noch einiges passieren.

Unklar ist zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses nach wie vor das künftige Schicksal der gerichtsinternen Mediation. Klar ist aber schon jetzt, dass Deutschland die Zeit-Vorgabe nicht eingehalten hat, die durch die Europäische Mediations-Richtlinie aus dem Jahr 2008 vorgegeben worden war. Danach hätte bis Mitte Mai für grenzüberschreitende Konflikte eine Umsetzung erfolgen müssen.

Die vorige Bundesregierung hatte indessen das ambitionierte Ziel, diesen Umsetzungsauftrag der Richtlinie zum Anlass zu nehmen für eine umfassende Regelung, auch für innerdeutsche Verfahren. Das BMJ gab eine weit beachtete Studie beim Hamburgischen Max-Planck-Institut in Auftrag und schuf eine hochkarätig besetzte, das Gesetzgebungsverfahren vorbereitende Expertengruppe. Infolge des Regierungswechsels kam es dann aber zu Verzögerungen. Ich persönlich habe inzwischen den Eindruck, dass es sich bei diesem Vorhaben für die jetzige Bundesjustizministerin eher um eine lästige Erblast und ein ungeliebtes Kind handelt denn um eine dringende Herzensangelegenheit. So fand die erste Lesung im Deutschen Bundestag mit einer nur sehr knappen Äußerung der Bundesjustizministerin erst am 14.04.2011 statt.

Erst im Juli 2010 hatte das BMJ den mit Spannung erwarteten ersten Gesetzes-Entwurf vorgelegt und diesen zunächst Organisationen und Verbänden zur Stellungnahme zugeleitet. Im ersten Entwurf stand die gerichtsinterne Mediation gleichberechtigt neben anderen Mediationsformen. In Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens gab es, wie schon zuvor, die unterschiedlichsten Versuche, diese Form der Mediation, die sich inzwischen ein Jahrzehnt flächendeckend bewährt hat und beachtliche Erfolge aufweisen kann, zu schwächen und unattraktiver zu machen. So sah der Kabinettsentwurf aus Januar 2011 vor, dass die Richtermediatoren im Falle einer Einigung der Parteien einen Vergleich nicht mehr – wie sich dies bisher als üblich herausgebildet hat - protokollieren können sollten. Auf Empfehlung des Bundesrates wurde dies aber wieder geändert.

Die letzte „Attacke“ kam dann Ende Mai 2011 von Seiten der, wie ich den Eindruck habe, vor allem berufspolitisch orientierten Standesvertretung der deutschen Anwaltschaft, die sich unter der Bezeichnung „Rechtsausschuss des deutschen Bundestages“ zusammengefunden hat und der Justiz solche gesetzgeberischen Meisterwerke wie beispielsweise den § 15a RVG beschert hat. Bei der Anhörung bekamen nicht nur anerkannte Fachleute, sondern auch „Experten“ das Wort, die kaum ein gutes Haar an den bisherigen Erfolgen ließen[1].

Diese bedenkliche Entwicklung gibt Anlass zu dreierlei: a) einem kurzen Rückblick auf die Geschichte der gerichtsinternen Mediation in Deutschland, die auf europäischer und internationaler Ebene in dieser Form einzigartig ist, b) einem kurzen Hinweis auf die Erfolge und c) einer noch kürzeren Erinnerung an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

a)    Rückblick auf die Geschichte der gerichtsinternen Mediation in Deutschland

Es gibt in Deutschland eine lange Tradition, dass Richter nicht nur Fälle entscheiden, sondern versuchen, Konflikte einvernehmlich zu lösen. Seinen gesetzlichen Niederschlag hat dies in § 278 Abs. 1 ZPO gefunden: „Das Gericht soll in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein.“[2]
Das
Wörtchen „soll“ in Normen steht bekanntlich nach allgemeiner Auslegungspraxis eigentlich als Abkürzung für „muss mit begründeten Ausnahmen“. So verwundert es nicht, dass insbesondere das 1981 erschienene Buch „Getting to Yes“, 1984 erstmals in deutscher Sprache erschienen unter dem Titel „Das Harvard-Konzept“ auch in der Richterschaft Anhänger fand. In der Folgezeit kamen deutsche Richterkollegen in Kontakt mit den sich damals entwickelnden Ansätzen von Mediation in den Vereinigten Staaten. Erste Artikel zu dem Thema erschienen in juristischen Zeitschriften, und einige Richter begannen nachdenken, wie man diese Methoden der Verhandlungstechnik für eine Vermittlung in Gerichtsverfahren nutzbar machen kann. Es gab, zunächst wenig erfolgreich, ein erstes Pilotprojekt in Baden-Württemberg; weitere Modelle folgten.

Im familiengerichtlichen Bereich zeigten sich die ersten beachtlichen Erfolge vor allem bei Umgangs- und Sorgerechtsentscheidungen für Kinder, u.a. mit dem „Cochemer Modell“. Den Durchbruch auf breiter Ebene brachten aber erst das „Göttinger Modell“, das die konsequente Trennung von streitentscheidendem Richter und Richter-Mediator andererseits vorsah, und das flächendeckenden Modellprojekt „Gerichtsnahe Mediation in Niedersachsen“ ab 2002[3]. Inzwischen gibt es eine große Vielfalt von gerichtsbasierten Mediationsprojekten in allen Gerichtszweigen und allen Bundesländern. Es waren hauptsächlich die Richter selbst, die mit hohem persönlichen Einsatz diese Modelle auf den Weg brachten, teils mehr und teils weniger unterstützt durch die Gerichtsverwaltungen und die jeweiligen Landesministerien der Justiz.

b) Die Erfolge der gerichtsinternen Mediation

Die Erfolge der gerichtsinternen Mediation sind unbestreitbar und zwar in mehrerlei Hinsicht. Manches davon ist eindeutig belegbar, manches allerdings eher nur fühl- und erfahrbar. Belegbar sind die hohen Vergleichsquoten und teilweise auch die durch Evaluation festgestellte Zufriedenheit der Verfahrensbeteiligten. Nicht belegbar ist mangels aussagekräftiger Studien und der Schwierigkeit der Tatsachenfeststellung[4] die Zahl der dadurch von vornherein vermiedenen Rechtsstreitigkeiten. Aber sind die Zunahme konsensualer Verfahren und der gleichzeitige Rückgang der streitigen Verfahren nur ein Zufall oder eine Koinzidenz? In den USA hat Frank Sanders dreißig Jahre nach „Getting to Yes“ die Frage nach dem „vanishing trial“ aufgeworfen, also dem im Rückzug befindlichen streitigen Verfahren traditioneller Prägung. Diese Frage wird sich möglicherweise auch in Deutschland stellen. Die Erfahrung leuchtender Kinderaugen, wenn die Eltern sich mit Hilfe des Richtermediators doch geeinigt haben oder die Begeisterung der Anwälte in den Momenten, in den die „magic of mediation“ wirkt und eine „resolution“, also eine echte Auflösung des ehemals bestehenden Konflikts gelungen ist, lässt sich nicht in Statistiken fassen und mit den anerkannten Mitteln des Zivilprozesses auch nur schwerlich beweisen.

 

c) Der Hinweis d. Bundesverfassungsgerichts

2007 hat das Bundesverfassungsgericht[5] folgende richtungsweisende Aussage getroffen: „Eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung.“[6]

Diesem Primat der konsensualen Lösung wird sich meiner Meinung nach trotz mancher Widerstände auf Dauer auch der Gesetzgeber nicht entziehen können und die Strukturen und Instrumentarien der Justiz ebenso wie die Juristenausbildung entsprechend anpassen müssen. So ist zu hoffen, dass weder die im Gesetzesentwurf vorgesehene Öffnungsklausel für die Bundesländer noch die anderen Stolpersteine zu einem Ende der erfolgreichen gerichtsinternen Mediation werden, sondern zum Anfang einer Neuorientierung der gesamten Justiz. Ich persönlich bin da zumindest auf lange Sicht zuversichtlich, denn auch hier wird sich nach meiner Meinung wieder bewahrheiten, was die Geschichte schon oft gezeigt hat: Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.[7] Erst in einem der nächsten Hefte der MHR wird dann allerdings, anders als ursprünglich geplant[8], ein Bericht über den Zieleinlauf dieses gegenwärtigen Gesetzgebungsmarathons und vor allem über die Auswirkungen und Veränderungen für den Alltag in der Justiz folgen.

 

Sabine König


[1] vgl. www.bundestag.de/presse/hib/2011_05/2011_211/01.html

[2] Damit ist allerdings nicht die berüchtigte „Vergleichsquetsche“ gemeint, die Parteien und Anwälte zu Recht fürchten.

[3] www.mediation-in-niedersachsen.de/Mediation/mediation.html

[4] Ein Nicht kann man bekanntlich nicht oder nur sehr schwer beweisen.

[5] In der Besetzung Papier, Hohmann-Dennhardt und Hoffmann-Riem.

[6] BVerfG, Beschluss v. 14.02.2007 - 1 BvR 1351/01 - NJW-RR 2007, 1073

[7] Dieses Zitat wird Victor Hugo zugeschrieben.

[8] Es ist ja nicht die Regel, dass der deutsche Gesetzgeber noch später als andere Länder EU-Richtlinien umsetzt oder gar die Umsetzungsfrist verstreichen lässt.