(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/10, 15) < home RiV >
Ein lohnender Besuch in der Ukraine
Am 26.09.2010 brachen Wolfgang Siewert, Thomas Wehr mit Frau und ich nach Jalta in der Ukraine auf, um dort an einer insolvenzrechtlichen Tagung teilzunehmen. In Kiew stieß Frau Cornelia Wölk dazu. Angenehm war auf der gesamten Reise, dass die ukrainischen Gastgeber zwar hilfreich zugegen waren, wann immer Fahrdienste oder russische Sprachkenntnisse benötigt wurden, aber sich im Übrigen völlig zurückhielten. Der erste Tag verging rasch mit dem Besuch einer Delphinshow im Hotel und einem Spaziergang auf der Promenade in Jalta. Die nächsten beiden Tage waren der Tagung gewidmet, an der Richter, Rechtsanwälte, Insolvenzverwalter und Behördenvertreter aus der Ukraine, Russland, Weißrussland und Deutschland teilnahmen.
Die Konferenz diente namentlich der Auseinandersetzung mit einem Gesetzesvorschlag zur Einführung einer Verbraucherinsolvenz mit Restschulderlass. Der Text, mit dem das ukrainische Insolvenzgesetz um diese sinnvolle aber kostenintensive Regelung ergänzt werden sollte, ist in der deutschen Übersetzung sechseinhalb Seiten lang. Herr Wehr wies darauf hin, dass es sinnvoller sei, die geltenden Vorschriften zur Unternehmensinsolvenz nach Möglichkeit auf die Verbraucherinsolvenz zu übertragen und nur dort einige wenige Sonderregelungen für natürliche Personen zu schaffen, wo dies unumgänglich sei. Diese Anregung kollidierte jedoch mit dem verständlichen Beharrungswunsch auf einem mit viel Mühe und Herzblut verfassten Text. Der einstündige Vortrag von Herrn Wehr über die entsprechenden deutschen Regelungen wurde von den Zuhörern mit sehr großem Interesse aufgenommen und dürfte zumindest zu einigen Verbesserungen bei Detailregelungen des Entwurfs führen. Der fertige Entwurf soll über einen bei der Konferenz anwesenden Abgeordneten in das ukrainische Parlament eingebracht werden.
Weitere Vorträge dienten allgemein dem Rechtsvergleich. Herr Siewert sprach über steuerrechtliche Probleme, die sich mit der Einführung des deutschen Verbraucherinsolvenzverfahrens ergeben hätten. Diese interessanten Ausführungen begeisterten mich allerdings weniger als seine Idee, den hervorragenden ukrainischen Wein („Inkerman“) auch in Hamburg zu verkaufen, wobei anfallende Gewinne für gemeinnützige Zwecke in der Ukraine verwendet werden sollen. Sollte sich dieser Plan umsetzen lassen, werden meine Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke künftig viel internationaler ausfallen.
Frau Wölk hielt in russischer Sprache einen Vortrag über Zwangsvollstreckungsrecht. Ihre ausgezeichneten Sprachkenntnisse erfreuten den anwesenden Abgeordneten so sehr, dass er ihr umgehend einen „Kriegsbecher 1914 – 1916“ mit den Porträts von Kaiser Wilhelm und Kaiser Franz Joseph überreichen ließ. Leider gelang es nicht, das Geschenk durch den ukrainischen Zoll zu bringen, da hierfür eine Ausfuhrgenehmigung des ukrainischen Kultusministeriums erforderlich gewesen wäre. Der Becher wird daher noch eine Weile auf seine Ausreise nach Deutschland warten müssen.
Mein Vortrag befasste sich mit der Strafverfolgung von Insolvenzdelikten. Als ich dem Hintergrund von Nachfragen zu meinem Vortrag in Gesprächen mit anderen Teilnehmern nachging, wurde mir von der Tätigkeit der ukrainischen Staatsanwaltschaft folgendes Bild vermittelt: Nicht die Staatsanwaltschaft, sondern die Polizei ist dort Herrin des Ermittlungsverfahrens. Die Schlussbewertung der Polizei ist in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht für das Verfahren vor Gericht maßgeblich. Die rechtliche Qualifikation (z.B. als „gewerbsmäßiges“ Handeln) kann zwar von der Sitzungsvertreterin oder dem Sitzungsvertreter in der Hauptverhandlung abgeschwächt werden. Es wird aber statistisch erfasst, wie oft die mit der Sitzungsvertretung betraute Person von der Bewertung der Polizei abgewichen ist. Diese Statistik soll für das berufliche Fortkommen bedeutsam sein. Ein Freispruch kann nur mit vorheriger Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft beantragt werden. Bei Abweichungen des Gerichts vom Antrag der Staatsanwaltschaft muss von der Staatsanwaltschaft zwingend ein Rechtsmittel eingelegt werden, weil andernfalls disziplinarrechtliche Konsequenzen zu erwarten sind.
Es erscheint mir wichtig, auch künftig strafprozessuale Fragestellungen auf solchen Konferenzen zu behandeln, um für die Teilnehmer deutlich werden zu lassen, dass Alternativen zum „althergebrachten sowjetischen“ Aufbau der Strafverfolgungsbehörden bestehen und die Qualität eines Rechtsstaats in besonderem Maße von seinem Beweiserhebungsrecht in Strafverfahren abhängig ist.
Besonders eindrucksvoll waren für mich die Begegnung mit einer erstaunlich jungen ukrainischen Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und einer Richterin im Obersten Wirtschaftsgericht in Weißrussland. Letztere hatte die Tagung mit persönlicher Kenntnis des dortigen Staatspräsidenten besucht.
Ansonsten wird mir vom Besuch in der Ukraine vor allem das ausgezeichnete Essen, die schon erwähnten hervorragenden Weine, die außergewöhnlich schöne Landschaft und natürlich die besondere Gastfreundschaft in Erinnerung bleiben. Letztere zeigte sich in vielen Kleinigkeiten. Freundliche Worte von Frau Wehr über die besonders milden roten Zwiebeln oder den Dörrobstsaft führten dazu, dass alle Hamburger Teilnehmer auf dem Rückweg stark duftende Beutel mit Zwiebeln und Dörrobst bei sich führten. Eine arglose Erwähnung von Herr Siewert, gerne zu reiten, mündete in einen Reitausflug im Krimgebirge, bei dem die ungeübten Teilnehmer wie ich wesentlich davon profitierten, dass auch die ukrainischen Pferde gerne essen und deshalb häufig anhielten, um sich einem Hagebuttenstrauch zu widmen. Auf diese Weise lernte man eine grandiose Landschaft kennen und trotz des etwas matschigen, teilweise steilen Geländes und der wenig professionellen Ausrüstung hat es großen Spaß gemacht, mit einem Pferd unterwegs zu sein.
Am letzten Tag wurde ein bis 1991 betriebener atombombensicherer U-Boot-Reparaturbetrieb in einem ausgehöhlten Berg besucht. Der Betrieb konnte vom Meer aus über eine schon von Homer beschriebene Bucht angefahren werden. Über einen Kanal gelangten bis zu neun U-Boote in ein Trockendock. Die Ein- und Ausfahrt in den ausgehöhlten Berg war mit Tarnnetzen versehen und Kunstnebel diente zusätzlich zur Verschleierung des Verbleibs eines U-Bootes. Der Standort und die Bucht (Balaklava) waren zu sowjetischen Zeiten auf keiner Karte verzeichnet. Ähnliche Einrichtungen kannte ich bisher nur aus James Bond-Filmen.
Wie gut es mir in der Ukraine gefallen hat, sieht man schon daran, dass ich bereits zwei Leute davon überzeugen konnte, nächstes Jahr dort mit mir Urlaub zu machen, um die vielen Sehenswürdigkeiten kennen zu lernen, für die auf dieser Tagungsreise naturgemäß kein Raum war. Ich meine, dass von dieser Tagung beide Seiten profitiert haben. Damit meine ich nicht nur, dass alle vorher wenigstens ein paar Brocken Russisch gelernt hatten und mit dem Vorsatz, eifriger Vokabeln zu lernen, zurückkehrten. Jeder Referent hat sich noch einmal vertieft mit den Vor- und Nachteilen des eigenen Rechts befasst, wofür man sich sonst die Zeit nicht genommen hätte. Abgesehen davon ist es für deutsche Firmen, die in der Ukraine investieren wollen, wichtig, ähnliche Rechtsvorschriften vorzufinden. Von daher tragen solche Veranstaltungen zum gegenseitigen Verständnis und der Zusammenarbeit zwischen den Ländern bei.
Eva Maria Ogiermann