(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/10, 12) < home RiV >
Unverzagt: Konrad Löw erstreitet sein Recht vor dem BVerfG
1. Der Passauer Emeritus wird manchen Lesern der MHR kein ganz Unbekannter sein[1]: Im letzten Heft d.J. 2004 hatte ich den Ursprung einer verbissenen Kontroverse geschildert[2], die jetzt durch einen Spruch des BVerfG entschieden worden ist[3]:
Die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) hatte Ende März 2004 in dem von ihr und dem Bertelsmann-Verlag herausgegebenen „Deutschland Archiv“ (DA) einen Vortrag Löws über „Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“ abgedruckt, das Heft wie üblich versandt, sich dann aber plötzlich ihren Abonnenten gegenüber mit Schreiben vom 02.04.2004 „auf das schärfste“ vom Autor und seinem Text distanziert, der alle ihre Bemühungen um das Thema Antisemitismus desavouiere, hatte zugleich alle, die sich von Konrad Löw „verunglimpft“ fühlten, um Entschuldigung gebeten, die „Makulierung“ der Restbestände des Hefts versprochen und dem Autor barsch mitgeteilt, er solle sich in der Redaktion nie mehr sehen lassen. Ein Experte werde im nächsten Heft die fälligen Korrekturen zu Löw anbringen. Anfragen von Lesern, die sich aus diesem aufgeregten Brief angesichts des Löw’schen Textes keinen vernünftigen Vers machen, sich insb. auch nicht erklären konnten, was die angekündigte „Makulierung“ rechtfertigen könne, bekamen lediglich ein Formschreiben: „…Es kann nicht um die Suche nach einzelnen Stellen gehen, sondern nur um den Gesamtaufsatz. Vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion der letzten Jahre scheint mir unschwer nachvollziehbar zu sein, inwiefern dieser Beitrag für die BpB eine schwer verdauliche Kost ist. Auch das Presseecho macht deutlich, dass dies verstanden worden ist“[4]. Es kam danach nicht auf Einzelheiten und darauf an, ob und welche sachlichen Einwände gegen Löws Aufsatz zu erheben seien; der Skandal lag einfach schon darin, dass er – natürlich angesichts der von ihm deutlich unterstrichenen Prämisse, dass in Deutschland 1933-1945 eine sich steigernde Hetzjagd auf die Juden abrollte! – hier auch von deutschem Anstand, ja Mut zum Helfen trotz wachsender Selbstgefährdung spricht und sich dafür ausgerechnet auf jüdische Zeitzeugen beruft: „Ein missglücktes patriotisches Projekt“, wie Prof. Benz im Folgeheft[5] schreibt, ein „freches, ahnungsloses Faseln“; und die Berufung auf Viktor Klemperer sei ein Indiz für „zweifelhafte Absichten“ … Eine Flut von Beschimpfungen, Diffamierungen und „Ausladungen“ brach in Folge dessen über den Gemaßregelten herein. Im Falle des Hamburger „Festkommerz“[6] hatte der Verfassungsschutzpräsident (heutiger Innensenator) Vahldieck dem Spuk gerade noch rechtzeitig einen Riegel vorgeschoben. Aber auch dieser Vorgang illustriert die vernetzten Methoden. Die von der BpB angeführte „öffentliche Diskussion“ war also kein Disput, sondern - wie längst hundertfach eingeschliffen - eine auf Knopfdruck losgelassene Hetzjagd.
2. Löw wollte diese Behandlung nicht auf sich sitzen lassen, verlangte von der BpB, sich für die Schmähung seiner Person durch ihr Schreiben vom 02.04.2004 zu entschuldigen und ihren „Widerruf“ den Abonnenten mitzuteilen, erhob, als ihm das verweigert wurde, Klage vor dem VG Köln – und verlor[7]. Seine Revisionszulassungsbeschwerde wurde vom OVG Münster mit Beschluss vom 13.09.2006[8] verworfen. Er aber ließ sich nicht entmutigen, erhob Verfassungsbeschwerde – und gewann[9].
Die Karlsruher Richter vermeiden starke Worte, stellen aber doch deutlich genug heraus, was hier auf der Hand liegt: Dass die BpB mit den Persönlichkeits- und Grundrechten des Beschwerdeführers rüde, rechts- und verfassungswidrig umgesprungen ist, indem sie ihn als antisemitisch an den Pranger gestellt hatte[10]. Ihr Anspruch, den Autor nach den Maßstäben politischer Rechtgläubigkeit zensieren zu können, wird - wie mir scheint – leicht ironisch abgefertigt[11]. Legt man die drei oben genannten Gerichtsentscheidungen nebeneinander, so kann man nur staunen, mit welch’ gewundenen Sätzen, schiefen Definitionen und verschrobenen Wertungen hier zwei Verwaltungsgerichte versucht hatten, das schlechthin Evidente weg zu reden.
3. Nachdem der Beschluss des BVerfG vom 17.08. durch Pressemitteilung vom 28.09.2010 öffentlich gemacht worden war, hagelte es tags darauf Kommentare – sachliche und unsachliche, anerkennende und kritische – und gehässige[12]. Der Spitzenplatz der letztgenannten Kategorie gebührt Heribert Prantl, der seinen Kommentar[13] „Dr. jur. absurd“ mit den Sätzen beendet:
„… Es soll also, 65 Jahre nach dem Holocaust und von Staatsgeldern finanziert, wieder geschrieben werden, dass die Juden selbst schuld sind an ihrer Verfolgung. Die drei Bundesverfassungsrichter, die diese Entscheidung gefällt haben[14], bedürfen der politischen Bildung“.
Was den als „Dr. jur. absurd“ etikettierten Konrad Löw betrifft, so verlangte dieser von Prantl hinsichtlich zweier sachlich falscher Behauptungen[15], von denen eine soeben zitiert worden ist (: „Juden … selbst schuld“), den Abdruck einer Gegendarstellung, die ihm verweigert wurde. Löw rief dagegen das LG München an – und bekam seine Einstweilige Verfügung[16].
4. Für die gescholtene Kammer des BVerfG‘s besteht natürlich keine Aussicht auf eine gerichtliche Feststellung, dass sie einer politischen Zwangserziehung a la Prantl nicht bedarf. Die Verfassungsrichter stehen aber in souveräner Höhe über den Niederungen des publizistischen Alltags, so dass sie einer solchen Schützenhilfe überhaupt nicht bedürfen. Oder sollte das übertrieben sein? Ich hatte unlängst den Wunsiedel-Beschluss des Ersten Senats vom November 2009 hier vorgestellt[17] und erwähnt, dass sogar ein prominenter Fürsprecher dieser Entscheidung (genauer: ihres Ergebnisses) meint, sie zeuge „…von dem Druck, unter dem das BVerfG gerade in diesem Falle wieder stand“[18]. Aber das war immerhin eine ganz andere Kategorie öffentlichen, vielleicht gar internationalen Drucks als - wie hier – die schrille Empörung journalistischer Federn. Und doch könnte ein mittelbarer Zusammenhang zwischen der Entscheidung vom November und der vorliegenden bestehen – insofern, als der Senat seither wohl besonderen Wert darauf legt zu zeigen, dass seine Preisreden auf die Meinungsfreiheit, die seinen Beschluss vom 04.11.2009 in sich selbst widerspruchsvoll erscheinen lassen, keine Phrasen, sondern ernst gemeint, also Programm (gewissermaßen eingeschobenes Kontrastprogramm) waren. Dafür gibt es inzwischen eine Reihe von Indizien, etwa den noch druckfrischen Vortrag des (mitbeschimpften) Verfassungsrichters Johannes Masing vom 24.10.2010 vor der Deutschen Sektion der Internationalen Juristenkommission über Meinungsfreiheit[19], in dem er sinngemäß sagt, dass trotz oder gerade wegen der schwierigen Wunsiedel-Entscheidung, um die der Senat „hart gerungen“ habe, und die der Bevölkerung „schwer zu vermitteln“ sei, nun aber im übrigen das Banner der Meinungsfreiheit unverdrossen – wie früher - entrollt bleiben müsse. Aber auch jüngere Kammerentscheidungen ließen sich hierzu anführen, etwa zwei vom 01.03.02/12.05.2010[20], die das Verbot einer „Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung“ zunächst aufheben, später auch schikanöse Polizeiauflagen als verfassungswidrig kassieren. Und nun kann man wohl den Rüffel, den die Kammer der BpB in Sachen Löw erteilt, getrost dem hinzufügen. Aber ein paar Indizien sind kein Beweis. Der Zeitgeist hat mit der Meinungsfreiheit nicht viel im Sinn; und seine hurtigen Diener, die Medien, werden bald neue Anlässe finden, den Senat zu schelten, und dieser bekommt dann erneut und immer wieder die Gelegenheit, ihm die Stirn zu bieten.
Günter Bertram
[1] vgl. zu ihm: Bücherverbrennung 2004: Der „Fall“ Konrad Löw, MHR 4/2004, 42 (44 f); Die Unperson beim Festkommerz MHR 3/2005, 11; Anstand in finsterer Zeit MHR 2/2006, 14. Auf MHR 2/2006 folgte eine kontroverse Leserdiskussion: MHR 3/2006, 7 f; MHR 4/2006, 18–21; MHR 1/2007, 29-32. Zu Löws Buch vgl. die Besprechung: Bertram in Recht und Politik 2006, 190 (Heft 3): Es gab auch anständige Deutsche
[2] MHR 4/2004, 42 (oben Anm. 1); dazu auch Bertram: Meinungsfreiheit oder political correctness? Der Fall Konrad Löw: Anatomie eines Skandals – Wiederkehr der Jakobiner?, Recht und Politik 1/2005, S. 33-37
[3] mit Beschluss der 1. Kammer des I. Senats vom 17.08.2010 (1 BvR 2585/06), DVBl 2010, 1368. Dazu Pressemitteilung des BVerfG vom 28.09.2010 (Nr. 87/2010): „Herabsetzende Kritik der BpB an einem wissenschaftlichen Aufsatz zum Thema Antisemitismus verfassungswidrig“.
[4] „öffentliche Diskussionen der letzten Jahre“ spielt auf publizistische Erregungskonjunkturen an - auf „Fälle“ wie Hohmann (der im Herbst 2003 aufgekommen und noch im vollen Gange war, vgl. dazu Rüdiger Zuck. Die Rede des Bundestagsabgeordneten Hohmann - verfassungsrechtlich betrachtet, NJW 2004, 1720; Fritz Schenk: Der Fall Hohmann, März 2005), Möllemann/Friedmann, Jenninger, Walser usw. Über dergleichen öffentliche Kampagnen vgl. auch von Münch „Aufstand der Anständigen“, NJW 2001, 728.
[5] DA 3/2004, S. 475
[6] MHR 3/2005, 11 (wie oben Anm. 1): Einladung Löw’s, Ausladung, Rücknahme der Ausladung.
[7] Urteil vom 09.12.2005 (27 K 8944/04)
[8] Az. 3 A 809/06
[9] s.o. Anm. 3
[10] (es wird hier - im Schreiben vom 02.04.) „der BF … als Autor eines Aufsatzes dargestellt, der nicht mehr diskursiv erörtert, sondern nur noch makuliert werden kann. Namentlich im Zusammenhang mit Fragen des angesichts der deutschen Geschichte besonders sensiblen Themas Antisemitismus kann dies eine erheblich Stigmatisierung des Betroffenen mit sich bringen, die im Falle des BF…. offenbar praktische Folgen gezeitigt hat“ (aus Rz. 22 des Beschlusses)
[11] „Von vorn herein ausgeschlossen sind Äußerungen (erg: der BpB) gegenüber Einzelnen, die allein dem Bestreben dienen, eine behördliche Auffassung, namentlich eine von der BpB für richtig gehaltene spezifische Geschichtsinterpretation zur Geltung zu bringen und als einzig legitim oder vertretbar hinzustellen.“ (aus Rz. 24)
[12] zu den mindestens „unfreundlichen“ vgl. etwa Vensky Die Zeit v. 28.09.2010, Kellerhof „Die Welt“, Schmidt FR, Bomarius Berliner Zeitung: alle vom 29.09.2010
[13] SZ vom 29.09.2010 S. 4
[14] Kirchhof, Eichberger, Masing
[15] d.h. falscher Unterstellungen! Reine Beschimpfungen hingegen sind nach der Ehrenschutzrechtsprechung bekanntlich fast unangreifbar
[16] Beschluss des LG München I vom 12.11.2010
(Az. 9 0 20562/10)[17] MHR 1/2010, 28 (30; dort Ziffer II), Von der Novelle des § 130 (4) i.J. 2005 zum Beschluss des BVerfG v. 04.11.2009 – und darüber hinaus. In der Fachwissenschaft haben sich inzwischen auch kritische Stimmen zu Wort gemeldet, etwa Jan Philipp Schäfer: Wie viel Freiheit für die Gegner der Freiheit?: DÖV 2010, 379-387; Benjamin Rusteberg: Die Schranken der Meinungsfreiheit gegen rechts: Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft (StudZR) 2010, 159-169, Lothar Michael: Die wehrhafte Demokratie als verfassungsimmanente Schranke der Meinungsfreiheit: Zeitschrift für das juristische Studium (ZJS) 2010, 155-166, Andrea Kirsch: Rudolf-Heß-Gedenkmärsche, Volksverhetzung und die Meinungsfreiheit: NWVBl. 2010, 136-139; Christoph Enders: Keine Freiheit den Feinden der Freiheit?: Hofgeismarer Protokolle, Heft 352, Ev. Akademie Hofgeismar 2010, S. 67 ff (dort: Epilog S. 80 -85); Horst Meier: Sonderrecht gegen Neonazis?: Merkur Heft 733 (Juni 2010) S. 539-544.
[18] Volkmann in NJW 2010, 417 (420)
[19] vgl. R. Müller: Meinungsfreiheit ist keine Frage der Meinung, FAZ vom 25.10.2010
[20] 1 BvQ 5/02 (NVwZ 2002, 982) und 1 BvR 2636/04 (NVwZ-RR 2010, 625)