(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/10, 9) < home RiV >
Glosse:
Wie lang ist ein Monat?
- Das Wiehern des Amtsschimmels aus Schleswig ist bis Hamburg zu hören -
Prolog
Ein Student kommt zum Hamburgischen Gericht und bittet um einen Praktikumsplatz. Strafrecht soll es sein und einen Monat dauern. Ein Richter findet sich bereit und nennt den September 2007 als passenden Zeitraum. Der Student absolviert sein Praktikum und erhält eine Bescheinigung nach § 5 HmbJAG, wonach er vom 01. - 30.09.2007 ein Praktikum beim Amtsgericht absolviert hat.
1. Akt
Der Student meldet sich zum Examen beim Justizprüfungsamt in Schleswig. Dort wird festgestellt, dass er die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllt. Grund ist der bescheinigte Praktikums-Zeitraum. Dieser sei, so das JPA, zwei Tage zu kurz.
Verharren
Der Laie stutzt und mit ihm der betroffene Student. Zwar hat er nach acht Semestern Jura gelernt, dass schwarz auch weiß sein kann, wenn man es nachvollziehbar begründet. Warum allerdings ein Zeitraum vom 01. - 30.09. nicht die Dauer eines Monats umfassen soll, erschließt sich auf Anhieb nicht. Der um Hilfe gebetene Ausbildungsleiter in Hamburg erbittet vom Prüfungsamt eine Begründung.
2. Akt
Das Prüfungsamt in Person der zuständigen Referentin erläutert gern und schriftlich: Der 01.09.2007 war ein Sonnabend. Es könne – so wörtlich – „grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass ein Student bei einem Amtsgericht an einem Samstag mit einem Praktikum beginnt“. Für den Beginn des Praktikums sei also der 03.09.2007 zugrunde zu legen, so dass es „gemäß § 187 Abs. 2 BGB“ in Verbindung mit § 188 Abs. 2 BGB bis einschließlich 02.10.2007 hätte abgeleistet werden müssen.
Erneutes, längeres Verharren
Vielleicht haben Sie auch die Erfahrung gemacht: Bevor man sich in juristischen Dingen stark echauffiert, sollte man sehr sorgfältig prüfen, ob eine nach erstem Anschein absurde Auffassung nicht vielleicht doch – wenigstens juristisch - richtig ist. Ausgangspunkt für eine solche Betrachtung muss die schleswig-holsteinische Juristenausbildungsverordnung (JAVO) von 2004 sein. § 4 Abs. 1 und 2 JAVO lauten:
„(1) Die Bewerberin … muss während der vorlesungsfreien Zeit … an praktischen Studienzeiten von insgesamt drei Monaten teilgenommen haben.
(2) … Von den praktischen Studienzeiten sind in beliebiger Reihenfolge insgesamt drei Monate abzuleisten, und zwar
1. ein Monat bei einem Amtsgericht,…
Wie lang ein Zeitraum von einem Monat ist, meinte nicht einmal der Gesetzgeber des BGB regeln zu müssen. Der Hinweis des Prüfungsamts auf die Fristberechnung des BGB geht fehl, denn es geht nicht um eine Frist, sondern – in der Terminologie des BGB - um einen Zeitraum. Aber sei’s drum: Selbst wenn man der Rechenweise des Prüfungsamts folgt, endet eine am 1.9. beginnende Frist am Tag vor dem 1.10., also am 30.09.
Nachvollziehbar wird der Einwand des Prüfungsamts erst unter der Voraussetzung, dass das Praktikum tatsächlich erst am 3.9. begonnen hat. Das Prüfungsamt fühlt sich zu dieser Annahme offenbar befugt, weil es den 01. und 02.09.2007 nicht als Arbeitstage sieht.
Rechnen wir doch einmal: Der beanstandete Zeitraum vom 01. - 30.09.2007 umfasst 20 Arbeitstage. Eine Praktikumsdauer vom Donnerstag, 30.08.2007, bis Sonntag, 30.09.2007, bliebe unbeanstandet, sie würde 22 Arbeitstage umfassen. Oder stünde das Praktikumsende an einem Sonntag der Anerkennung entgegen? Dann wäre das Praktikum ja schon am 27.9. zu Ende und die Monatsfrist nicht gewahrt. Auf der sicheren Seite wäre man wohl nur mit einer Bescheinigung über einen Zeitraum vom 30.08. bis 01.10.2007. Eine solche Bescheinigung trüge das Siegel „Monatszeitraum“ nicht gerade auf der Stirn. Und wie ist es mit den Feiertagen? Im Dezember oder im Ostermonat sinkt die Zahl der Arbeitstage auf 19. Mehr als 20 Arbeitstage sind auch im Februar nicht zu erreichen (in Düsseldorf und Köln dürften es karnevalsbedingt sogar nur 17 sein). Und selbst der nicht zu beanstandende Zeitraum vom Donnerstag, dem 06.09.2007, bis Freitag, dem 05.10.2007, umfasst wegen des Tags der deutschen Einheit nur 20 Arbeitstage. Es bestätigt sich also, dass es auf die konkrete zeitliche Lage des Praktikums nicht ankommen kann. Abgesehen davon: Wo findet sich auch nur ansatzweise in der JAVO die Forderung nach einer bestimmten Zahl von Arbeitstagen, die im Praktikumsmonat zu absolvieren sind?
Es geht, wie das JPA ausdrücklich schreibt, um die Annahme, der Kandidat habe das Praktikum nicht an dem bescheinigten Tag – einem Sonnabend – begonnen. Das JPA Schleswig bezweifelt also die inhaltliche Richtigkeit der Praktikumsbescheinigung. Es liegt nahe, dass diese Zweifel nicht in der Kompetenz des Prüfungsamts liegen. Eine inhaltliche Prüfung der eingereichten Belege hat das Prüfungsamt nicht vorzunehmen. Denn sonst wäre viel zu hinterfragen: Ist die bescheinigte Leistung im Zivilrecht wirklich „ausreichend“ gewesen? War der Student tatsächlich oft genug anwesend in der Veranstaltung, um „teilgenommen“ zu haben? Und, auf das Praktikum bezogen: Hat der Student tatsächlich – wie oft? wie lange? – die Tätigkeit seines Ausbilders begleitet? Gehört zur praktischen Ausbildung nicht auch das Miterleben des Arbeitsalltags einschließlich der freien Dienstzeit der Richter? Und gibt es nicht eine Vielzahl von Richtern, die am Wochenende mit ihrer Sitzungsvorbereitung oder mit Eildiensten beschäftigt sind? Was maßt sich das Prüfungsamt an?
Auch nach reiflicher Prüfung bestätigt sich, was der Laie von Beginn an wusste: Vom 01.09. bis 30.09.2007 ist ein Praktikum von einem Monat Dauer absolviert. So wird es auch in Hamburg gehandhabt.
3. Akt
Wie vom JPA ins Gespräch gebracht, bescheinigt der Ausbildungsleiter „zusätzlich“, dass der Student sein Praktikum tatsächlich am 01.09.2007 begonnen hat. Die Zulassung zur Prüfung liegt nun vor. Ob Praktikumsbescheinigungen, die später in Schleswig vorzulegen sind, künftig mit einem Sicherheitszuschlag von 10 % ausgestellt werden, muss jede Ausbilderin und jeder Ausbilder für sich entscheiden.
Epilog
Wer sich fragt, warum die Justiz in der Öffentlichkeit häufig nicht verstanden wird, braucht Anschauungsmaterial. Hier ist es.
Niels Focken