(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/10, 5) < home RiV >

Offener Brief

des Hamburgischen Richtervereins

des Hamburgischen Anwaltvereins

und der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer

 

zur Situation der Hamburgischen Justiz in Zeiten der Sparzwänge

8. September 2010

Sehr geehrter Herr Erster Bürgermeister!

Sehr geehrter Herr Präsident der Hamburgischen Bürgerschaft!

 

Der Befund des früheren Ersten Bürgermeisters und des Präses der Finanzbehörde, dass Hamburg „jahrelang über seine Verhältnisse gelebt“ habe, zieht zwingend Maßnahmen zur Beseitigung des strukturellen Defizits in der Finanzplanung der Freien und Hansestadt Hamburg nach sich. Derzeit finden die Haushaltsplanungen für die Jahre 2011 und 2012 statt. Dabei wird auch die personelle und sachliche Ausstattung der Justiz als Dritter Gewalt im Staate in den Blick genommen werden.

Die Vorstände der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer, des Hamburgischen Anwaltver­eins und des Hamburgischen Richtervereins wenden sich mit großer Sorge an Sie:

Nur eine funktionsfähige, dem Gemeinwesen dienende Rechtspflege gewährleistet die effektive Durchsetzung der Grund- und staatsbürgerlichen Rechte, garantiert den Erfolg des Wirtschaftsstandortes Hamburg und leistet einen unbedingt notwendigen effektiven Beitrag zur inneren Sicherheit.

Die Hamburgische Justiz hat nicht jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt. Im Gegenteil. Bereits die Einsparverpflichtungen der letzten Jahre haben Teile der Justiz über die Belastungsgrenze hinaus in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt.

·     In 2005 sind bereits Mittel im Umfang von 19 Richter- und Staatsanwaltsstellen gestrichen worden.

·     Für 2010 sind Einsparverpflichtungen im Umfang von etwa 40 Richterstellen oder 80 Stellen im Bereich des nichtrichterlichen Dienstes durchgesetzt worden.

·     Für 2013 sind abermalige Kürzungen im Umfang von knapp 20 Richterstellen bereits fest eingeplant.

·     All diese Kürzungen sind bereits durchgesetzt worden, obgleich die Verfahrenszahlen auf die Gesamtjustiz gerechnet nicht rückläufig sind.

Weitere Einsparverpflichtungen werden mit einem für die Gesellschaft unmittelbar wahrnehmbaren und von der Politik vor den Bürgern zu verantwortenden Verlust an Rechtstaatlichkeit einhergehen. Der Justiz, dem Rechtstaat droht enormer, irreversibler Schaden.

Hinzu kommt, dass die Justiz – bereinigt um Kosten des Strafvollzuges und der als Sozialleistung gewährten Prozesskostenhilfe – in weiten Teilen, und zwar nicht zuletzt auch aufgrund der von den Parteien zu erbringenden Gerichtsgebühren mehr als kostendeckend arbeitet.

Die hohe Qualität der Hamburger Rechtsprechung wird bundesweit geschätzt, insbesondere auch bei den fliegenden Gerichtsständen, die im Hinblick auf die vor allem in diesen Verfahren geleisteten Gerichtskosten im großen fiskalischen Interesse liegen. Der Rechtsstandort Hamburg hat herausragende in die Zukunft wirkende wirtschaftliche Bedeutung. Diese wirtschaftliche Bedeutung darf nicht durch falsches Sparen zerstört werden.

Die Dritte Gewalt kann, anders als die Politik, keine eigene Aufgabenkritik betreiben. Ihr werden die Aufgaben vom Gesetzgeber zugewiesen, die Verfahren werden von den Bürgerinnen und Bürgern an sie herangetragen. Der Gesetzgeber hat die Justiz mit den zur sachgerechten Erfüllung ihres Rechtsgewährungsauftrages nötigen personellen und sachlichen Mitteln auszustatten. Dazu gehört auch eine amtsangemessene Besoldung.

Die Vorstände der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer, des Hamburgischen Anwaltvereins und des Hamburgischen Richtervereins appellieren an Sie als Spitzen der Ersten und der Zweiten Gewalt. Sie tragen über die Zuweisung von Haushaltsmitteln gemeinsam Verantwortung für die Dritte Gewalt und damit für die faktische Gewährleistung des verfassungsrechtlichen Rechtsgewährungsanspruchs in Hamburg.

Erteilen Sie kurzsichtigen, kalt-fiskalischen Erwägungen eine Absage. Sorgen Sie dafür, dass die Hamburgische Justiz den Bürgerinnen und Bürgern pflichtgemäß gerecht werden kann!

 

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Marc Tully / Gerd Uecker / Otmar Kury

 

Anm. d. Red.:

Der Einsatz hat sich gelohnt. Der Senat hat im September die ursprünglich geplanten zusätzlichen Stellenstreichungen nicht beschlossen.