(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/09, 25) < home RiV >
Bericht von der Tagung
„Gerechtigkeit braucht eine starke Justiz“
„Den Rechtsstaat gibt es nicht zum Null-Tarif und auch nicht nach Kassenlage. Gerechtigkeit braucht eine starke Justiz“ sagte die Bundesjustizministerin, Brigitte Zypries, schon bei der Eröffnung des letztjährigen, 67. Deutschen Juristentages. Nun veranstaltete das Bundesministerium der Justiz gemeinsam mit dem Deutschen Richterbund und der Friedrich-Ebert-Stiftung am 11.05. 2009 in Berlin eine Veranstaltung zu diesem Thema, an der leider nur wenige Hamburger Kollegen teilnahmen. Nach einem Plenum am Vormittag fanden nachmittags drei parallele Foren statt zu den Themen Selbstverwaltung, Besoldung und Privatisierung der Justiz.
Nach der Begrüßung hielt die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries die Eröffnungsrede[1] mit der Frage: „Wann ist die Justiz eigentlich stark?“ Sie blieb auch die Antwort aus ihrer Sicht nicht schuldig: „Justiz ist zunächst dann stark, wenn sie unabhängig ist von sachfremden Einflüssen politischer oder wirtschaftlicher Art. Die Justiz ist auch stark, wenn sie das nötige Personal und das Geld hat, um ihre Aufgaben rasch und effektiv zu erfüllen. Und sie ist stark, wenn ihre Akteure hoch qualifiziert und so bezahlt sind, wie dies der Verantwortung ihrer Aufgabe entspricht.“
Auch zum Thema Besoldung bezog die Bundesjustizministerin deutlich Position: „Gute Leistung gibt es nicht zu Dumpingpreisen. Aus diesem Grund ist eine ordentliche Besoldung der Richter und Staatsanwälte so wichtig. … Es war eine Fehlentscheidung, dass man im Zuge der Föderalismusreform die Besoldungskompetenz für die Richter und Staatsanwälte auf die Länder übertragen hat. … Die Befürchtung des besoldungsrechtlichen Flickenteppichs hat sich damit schon heute realisiert!“
Bei der Frage des gleichen Zugangs und der gleichen Durchsetzung des Rechts ließ die Bundesjustizministerin keine Zweifel an ihrer Haltung. Ob jemand Recht bekomme, dürfe nur davon abhängen, ob er Recht habe, aber nicht davon, ob er Geld habe. „Rechtsstaatlichkeit gibt es nicht nach Kassenlage.“ Deshalb müsse man hier den Finanzministern auch entschlossen auf die Finger hauen, wenn sie den Rotstift z.B. bei der Prozesskostenhilfe ansetzen wollen.“
Weitere Privatisierungen in der Justiz seien indessen überflüssig. „Die Justiz kann das selbst, sie kann das besser, und sie kann das sogar günstiger.“ Die Vorstellung, alles gehe schneller, billiger und gar besser, wenn es Private erledigen, habe sich in vielen Fällen als blanke Ideologie und leider auch als kostspielige Fehlentscheidung für den Staat erwiesen.
Beim Thema Selbstverwaltung der Justiz stelle sie sich drei Fragen: Sei sie machbar, sei sie erstrebenswert und sei sie womöglich sogar erforderlich? Letztere beiden Fragen könne sie derzeit nicht bejahen. Die Unabhängigkeit der Dritten Gewalt sei auch im bestehenden System bestens gewährleistet ist Was für Italien, Spanien oder die Baltischen Staaten tauge, müsse noch lange nicht für die deutsche Justiz passen.
Daran schloss sich der Vortrag des Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank an[2], der die Vorteile des Rechtsstandorts Deutschland hervorhob und das Bündnis für das deutsche Recht[3] vorstellte. Frank wies darauf hin, dass das Rechtswesen und seine Ausstattung heute von den Finanzministern bestimmt werde. Selbst die Justizminister hätten teilweise deren auf betriebswirtschaftliche Parameter reduzierte Erfolgsmessungen übernommen. Wesentlich seien derzeit in der Diskussion die Kosten der Justiz, nicht ihre Leistungen für die Stabilität der Gesellschaft. Obwohl jeder wisse, dass die Justiz keine Leistungsverwaltung sei, bei der man den Rotstift nach dem Rasenmäherprinzip ansetzen und Einsparungsmöglichkeiten durch die Streichung von staatlichen Angeboten erzielen könne, werde das staatliches Gesamtsystem aufs Spiel gesetzt. Einer sinkenden Zahl von Richtern und Staatsanwälten stehe eine stetig wachsende Zahl von Rechtsanwälten gegenüber. Durch die derzeitige Situation nehme insbesondere im Strafrecht der Druck zu informellen Erledigungen zu. Eine Entfernung vom Legalitätsprinzip sei indessen systemwidrig und gefährde das Ansehen der Justiz.
Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, befasste sich in Ihrem Beitrag mit Fragen wie: „Was ist eigentlich Gerechtigkeit?“ und „Welches Richterbild gilt derzeit?“. Sicher kein Vorbild sei Judge Roy Bean aus Lucky Luke, der nach dem Motto handelte: Hängt ihn erst, verhandelt wird später. Aber auch dem „Google-Judge“ erklärte sie eine klare Absage. Sei die Justiz wirklich eine starke Gewalt oder nicht in Wahrheit ein Scheinriese[4]? Durch die zunehmende Komplexität vieler Regelungsbereiche werde Justiz zunehmend auch zur Rechtsgewinnung und die Gerichte müssten zunehmend als Reparaturbetrieb der Legislative fungieren[5]. Daneben gebe es auch eine gefährliche Binnenschwäche, die zum einen gekennzeichnet sei durch die Haltung von Justizministern, die sich mit den Worten kennzeichnen lasse: „Mit der Unabhängigkeit der Justiz habe ich kein Problem, solange ich das Beförderungsrecht habe“, zum anderen durch Impulse der Vermeidung von Überlastung und vielfach unbewusste Ausweichstrategien[6]. Solange es in der und für die Justiz nicht Streiter mit dem Charisma eines Barack Obama gebe, sei es mit hohen Risiken verbunden, die Selbstverwaltung zu fordern und sich ungeübt den Politprofis in den Parlamenten zu stellen. Mitglieder der Legislative brächten Kritik immer wieder grotesk und überzeichnet vor und beschädigten damit das Bild von Justiz. Denn: Justitia trage zwar eine Augenbinde, an Ohrenstöpsel sei indessen nicht gedacht worden. Man könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass als Leitprinzip in Wahrheit das Schäbigkeitsprinzip gelte. Auch drohe der Justiz Gefahr durch eine zunehmende Privatisierung selbst strafrechtlicher Konflikte. Dies befördere eine Entwicklung zu einem Zweiklassenrecht – wer es vermeiden kann, nutze zunehmend Alternativen wie die Schiedsgerichtsbarkeit. Auch die derzeitige Situation in der Juristenausbildung verspreche wenig Hoffnung. Es drohe eine Ausbildung zu Halbjuristen, die dann nach dem Motto arbeiten: Wenn ich schon keine Ahnung habe, will ich wenigstens für Verwirrung sorgen.“ Mit der Frage, was sich wandeln müsse, ging es in die Mittagspause und die Foren[7].
Deren Ergebnisse fasste die Präsidentin des BVerwG’s, Marion Eckertz-Hofer zusammen unter den drei Aspekten: Was haben wir? Was brauchen wir? Wo gehen wir hin? Eine interessante Überlegung war hier bezogen auf die Besoldung: Mehr Geld müssten eigentlich die Kollegen der Eingangsinstanz bekommen, denn dort werde die Hauptlast getragen. Bezogen auf die Fragen Selbstverwaltung und Privatisierung war ihr Fazit, Deutschland müsse den Wert der Justiz neu definieren. Eine gelungene Selbstverwaltung erfordere Kompetenzen im Bereich Personalauswahl, Beförderungen und Budgetrecht. Gesichert werden müsse auch die Weisungs-, Handlungs- und Erkenntnisfreiheit des Richters. Sie zitierte aus Heribert Prantl: „Es stimmt nicht, dass es keine Wunder mehr gibt. Die deutsche Justiz ist ein einziges Wunder.“[8]
Wird es gelingen, dieses Wunder zu erhalten?
Frau Dr. Mohr von der Friedrich-Ebert-Stiftung sah Justitia am Ende des Tages zwar versöhnlicher blicken als zu Beginn. Aus meiner Sicht braucht es dafür indessen zumindest ein deutliches Bemühen des Gesetzgebers um bessere Gesetze, eine ausreichende Personalausstattung auch und gerade im nichtrichterlichen Bereich und eine anständige Bezahlung aller Angehörigen der Judikative. Lieber Gesetzgeber, bedenke: „Wir bewirken zwar Wunder. Aber zaubern können wir nicht. Auch wir können nicht mit immer stumpferer Axt immer mehr Bäume fällen.“
Sabine König
[1] Abgedruckt unter www.fes-forumberlin.de/Bundespolitik/Recht/arcv_r.htm
[2] Auch dieser ist veröffentlicht unter www.fes-forumberlin.de/Bundespolitik/Recht/arcv_r.htm .
[3] Hierzu findet sich Näheres auf der Homepage des DRB, www.drb.de .
[4] Eine Figur aus Michaels Endes Buch Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer.
[5] Hierzu fiel mir als Beispiel sofort die derzeitige Situation an den großstädtischen Sozialgerichten ein.
[6] Depersonalisierung ist auch eine Form von Burn-out.
[7] Deren Ergebnisse will die Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichen.
[8] Dieser Beitrag ist veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung Nr. 81 vom 06.04.2006, Seite 28: Darin heißt es u.a. „Es stimmt nicht, dass es keine Wunder mehr gibt. Die deutsche Justiz ist ein einziges Wunder. Sie funktioniert, obwohl sie eigentlich gar nicht funktionieren dürfte. Sie funktioniert, obwohl die Auswahl ihrer Richter einer Lotterie ähnelt. Sie funktioniert, obwohl die technische Ausstattung in vielen Kinderzimmern erheblich besser ist als an so manchen Gerichten. Sie funktioniert, obwohl dort die Arbeit zunimmt und die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden. Sie funktioniert, obwohl die öffentlichen Ausgaben für die Justiz lächerlich gering sind und die so genannten Justizreformen fast allesamt den Zweck hatten, noch weniger Geld für die Justiz auszugeben. …
Es ist ein Wunder, dass die Qualität der
Urteile im Allgemeinen ganz ordentlich ist und die Verfahren im Allgemeinen
kürzer sind, als man glaubt. … Dabei sind die so genannten Rahmenbedingungen
ziemlich
elend.
Ein richtiger Richter ist der Richter nur dann, wenn er richtet. Ansonsten ist er oft eher ein armer Hund, von dem Unmögliches verlangt wird: Er soll in einem als elitär konzipierten System einen Beruf ausüben, in dem Massenarbeit bewältigt werden soll. …
Auf der Suche nach der Erklärung für das Wunder stößt man auf den 97. Verfassungsartikel. Dort steht, dass die Richter unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen sind. Diese Unabhängigkeit macht frei - und sie macht souverän und stolz. Sie ist die Grundlage für ein Berufsethos, das einiges aushält. Diese richterliche Unabhängigkeit ist die Quelle für das Funktionieren der Justiz.“