(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/08, 13 ) < home RiV >
Rechtspfleger Grotjahn
- Buchbesprechung -
Was hat ein Rechtspfleger-Roman in einer Richterzeitung zu suchen? Ganz einfach: er spielt im Hamburger Ziviljustizgebäude. Die Hamburger Graphikerin Marlies Schaper hat das ZJG für die Neuauflage des Romans gezeichnet:
„Rechtspfleger Grothjahn“ beschreibt die Zeit von 1897 bis 1933, erschien im Jahre 1935 und dürfte eine Autobiografie seines Autoren Heinrich Kuhlmann sein, von dem als einziges weiteres Werk „Fantasien im Alt-Hamburger Bürgerhaus“ bekannt ist.
Volker Laedtke, dem Vorsitzenden des Bunds Deutscher Rechtspfleger (BDR) Hamburg, ist die Wiederentdeckung des „Rechtspfleger Grothjahn" zu verdanken. Schwierigkeiten mit den verschollenen Urheberrechten am Werk verzögerten die Neuauflage, die nun am 17.04.2008 vom BDR im Plenarsaal des Landgerichts Hamburg vorgestellt werden konnte.
Der Wert des „humoristischen" Buches liegt weniger im literarischen (schon die Reime im Prolog sind recht holprig) als im geschichtlichen Bereich. Dies hat dann doch noch den Wunsch des Autors im Epilog in Erfüllung gehen lassen, es werde noch einmal die Zeit kommen, in der man seiner gedenkt. Abgerundet wird der geschichtliche Aspekt im (aktuellen) Nachwort, in dem Roman Forster (stv. Vorsitzender des BDR Hamburg) die geschichtliche Entwicklung des Rechtspflegers aus dem Geschichtsschreiber beleuchtet.
Ein Roman ist keine Dokumentation und so dürfen ein paar Liebesgeschichten, die Schilderung von Schikanen seitens Kollegen und Vorgesetzten und das Auftreten einiger Hamburger Originale der Sache keinen Abbruch tun. Denn nebenbei wird dem Leser das Kollationieren erläutert (S. 48) und erfahren wir, wann eine EILT-Sache zur Durch-Sache wird, und zwar nicht etwa durch Erledigung (S. 29).
Mangels Schreibmaschinen hatte das Wort „Urteilsabschrift“ noch die originäre Wortbedeutung (S. 34).
Organisatorische Flexibilität gab es auch damals schon: „Hülfsschreiber“ wurden gegen Tagelohn für einen vorübergehenden starken Geschäftsanfall eingestellt (S. 46).
Teile der folgenden Gedanken (S. 57) haben es geschafft, sich in die heutige Zeit hinüberzuretten:
„Einem Beamten wird es nie gelingen, vermöge seines Berufs zu Wohlstand zu kommen. Er mag noch so tüchtig sein und sich in seinem Dienst erheben und auszeichnen. Er verdient darum nicht mehr als das für seine Gehaltsgruppe festgesetzte Gehalt. Er kommt nur weiter, wenn Vordermänner sterben oder der Beamtenetat vergrößert wird. Gegen eine Vermehrung der Anzahl der Beamten wehrt sich aber unsere hochlöbliche Bürgerschaft im Interesse der Steuerzahler, von denen viele die Meinung vertreten, die Beamten führen ein Drohnenleben. ‚Wi möt de Beamten ernähren’, sagen sie und geben diese Ansicht den Beamten auch oft genug zu fühlen. Dabei bedenken Sie nicht dass die Beamtenschaft das Rückgrat des Staates ist. Die anderen Stände sorgen für das Vorwärtskommen und das Aufblühen der Nation. Die Beamtenschaft ist das Gerüst, das feste Gefüge, auf dem der Staat sich aufbaut und seinen Halt hat. Wehe dem Staat, dessen Stützen morsch und faul sind.“
Der Umzugs ins neue ZJG geht auf Seite 111 vonstatten, wo man nebenbei auch erfährt, dass damals Rechtsanwälte zum Teil ohne Universitätsstudium tätig waren.
Ungefähr zur Zeit des Umzugs in das ZSG im Jahre 1903 setzte infolge einer Verjüngung des Geschichtsschreiberstandes und infolge einer besseren Ausbildung der Kampf um eine bessere und zutreffendere Amtsbezeichnung der Gerichtsschreiber ein. Auch begannen um diese Zeit Gehaltsbewegungen, die sich endlos in die Länge zogen und die Beamtenschaft dauernd in Aufregung und Unruhe versetzten (S. 114). 10 Jahre später wurde der Hamburgische „Interessenverein der Gerichtssekretäre“ begründet (S. 131) - ein Vorläufer des BDR Hamburg.
Für die richterlichen Leser interessant sein dürfte auch die Beschreibung der Zusammenarbeit mit den Assessoren in der Abteilung für „Requisitionen" im Strafjustizgebäude und deren unterschiedliche Fähigkeiten (unzureichende Aktenvorbereitung, seltsame Zeugenbefragungen, Lokalsektion und Kapitänsbefragung auf der Elbe).
Etwas überraschend angesichts des Umfeldes, der Zeit (1914) und des häufigen Gebrauchs Hamburger Platts ist die Verwendung des Anglizismus’ „for nothing" (S. 141).
Breiter Raum ist den Erlebnissen als Militärgeschichtsschreiber während des Ersten Weltkriegs gewidmet (1914 bis 1918). Dieser Teil endet mit der Enthüllungsfeier für die großen Gedenktafeln mit den Namen der Gefallenen vor dem Plenarsaal (S. 185). Für die anschließenden 15 Jahre des Rechtspflegers Grothjahn bleiben nur noch 11 Seiten - und zwar ausschließlich über das Privatleben - übrig. Vielleicht liegt es an den politischen Verhältnissen des Erscheinungsjahres 1935, dass der Autor zur weiteren dienstlichen Entwicklung nichts mehr sagen wollte. Es wird dann lediglich noch erwähnt, dass die Geschichtsschreiber in dieser Zeit den Titel Justizobersekretär erhielten und ihnen durch eine Entlastungsverordnung richterliche Geschäfte übertragen wurden; die Bezeichnungen „Gerichtsschreiberei“ und „Gerichtsschreiber“ wurden durch „Geschäftsstelle“ und „Urkundsbeamten der Geschäftsstelle“ ersetzt (184 f.).
Wolfgang Hirth