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Justiz im Zerrspiegel eines Lobbyisten[1]

 

Zum Gastkommentar von H.-H. Tiedje

in der Financial Times Deutschland v. 29.01.2008

 

Distanz und Zurückhaltung sind vornehme Tugenden des Strafrichters. Sie sind auch Handlungsmaximen des Hamburgischen Richtervereins, der Vertretung der Hamburger Richter und Staatsanwälte. Das Gebot, laufende Verfahren nicht zu kommentieren, wird hingegen hinfällig, wenn eine tendenzielle und verzerrende Berichterstattung das Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der Strafjustiz insgesamt untergräbt und darauf abzielt, eine Kammer besonders verächtlich zu machen. Dies ist mit dem Beitrag von Hans-Hermann Tiedje vom 29.01.2008 in der Financial Times Deutschland über den Sachstand im „Falk-Verfahren“ geschehen.

Der Hamburgische Richterverein hat immer die Strafverteidigung als fundamentales Recht eines Angeklagten verteidigt. Er hat Verständnis dafür, dass ein gut situierter Angeklagter seine finanziellen Möglichkeiten nutzt, um Anwälte und Sachverständige für seine Verteidigung zu mandatieren. Schließlich ist es nachvollziehbar, dass ein Angeklagter – insbesondere ein hanseatischer Unternehmer – nicht nur vor Gericht um einen Freispruch kämpft, sondern darüber hinaus außerhalb des Gerichtssaals sein gefährdetes bürgerliches Ansehen wahren will. Außergewöhnlich ist es jedoch, wenn er dazu die Dienste eines „PR-Beraters“ in Anspruch nimmt. Lange Zeit blieb für Nichteingeweihte unklar, wie der „Kommunikationsberater“ des Angeklagten Falk, der ehemalige „BILD“-Chefredakteur und Berater der Politiker Kohl und Koch, Hans-Hermann Tiedje, seine Medienkontakte zu Auftragserfüllung nutzte. Erhellend und von dankenswerter Klarheit war der ungetrübte Blick von Leyendecker (Süddeutsche Zeitung vom 1./2.12.2007):

„Zum zweiten Jahrestag (des Prozesses) … ruft nicht einmal mehr Falks langjähriger Kommunikationsberater Hans-Hermann Tiedje an, um mitzuteilen, dass der Prozess schon sehr bald mit einem krachenden Erfolg für den Angeklagten enden werde.

Ach Tiedje.“

Es erstaunt in besonderer Weise, dass die Financial Times Deutschland, ein angesehenes Organ der Wirtschaftspresse, dem Lobbyisten und „PR-Berater“ Tiedje, der im Verhandlungssaal nicht durch Anwesenheit auffiel, die Möglichkeit gab, seine Sicht der Dinge derart umfangreich darzustellen.

Abgesehen von der vielfach ehrverletzenden Diktion des Beitrags ist bemerkenswert, dass evidente Unsachlichkeiten und Unstimmigkeiten unkommentiert publiziert werden konnten. Nur wenigen für jeden Prozessbeobachter augenfälligen Punkten kann hier nachdrücklich entgegen getreten werden:

· Tiedje unterstellt der Kammer, sie wolle seinen Auftraggeber mit einer „abenteuerlichen Argumentation“ unbedingt verurteilen. Beispiele bleibt er dafür freilich schuldig.

Sollte er die rechtliche Würdigung des Verhaltens des Angeklagten meinen, verschweigt er, dass die Kammer entgegen der Anklageschrift und der Ansicht des Oberlandesgerichts nicht von einem vollendeten, sondern nur von einem versuchten Betrug ausgeht. Diese für den Angeklagten deutlich günstigere Würdigung lässt einen unbedingten, willkürlichen und „abenteuerlichen“ Verurteilungswillen der Kammer nicht erkennen. Kaum anzunehmen, dass Tiedje die Auffassung der Strafkammer deshalb für abenteuerlich hält, weil er die Ansicht des Oberlandesgerichts teilt und von einem vollendeten Betrug ausgeht.

Ach Tiedje!

·  Tiedje unterschlägt, dass die Kammer des Landgerichts Falk von der Untersuchungshaft entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft und des Hanseatischen Oberlandesgerichts erstmals bereits im September 2004 verschonen wollte und sodann im April 2005 entlassen hat. Die Behauptung der Befangenheit der Kammer, die dem Angeklagten Falk in voreingenommener Weise schaden wolle, ist auf Sand gebaut.

Ach Tiedje!

·      Tiedje spricht von einer schleppenden Beweisaufnahme und erhebt den Vorwurf der Inkompetenz. Anders als möglicherweise bei seinen früheren Redaktionskonferenzen kann ein Gericht jedoch mehr als 13.000 Seiten Akten, 800 Beweisordner, etwa 3000 Urkunden und über 70 Zeugen nicht in einer halben Stunde abhandeln. Zumal die verbliebenen 5 Angeklagten mit ihren 14 Verteidigern gehört werden wollen.

Ach Tiedje!

·      Tiedje erwartet für seinen Auftraggeber am wenigsten noch „Fairness“, weil nach mehr als drei Jahren das Verfahren geradezu übers Knie gebrochen werde. Ja was denn nun? Ein Urteil nach mehr als drei Jahren, weil das Gericht meint, entscheiden zu können, oder eine unendliche Geschichte, an der die Verteidiger seines Auftraggebers mit unzähligen Anträgen mitschreiben?

Ach Tiedje!

·         Zudem ist es eine forensische, Tiedje jedoch nicht geläufige Selbstverständlichkeit, dass nach Beendigung der gerichtlichen Beweisaufnahme die Beweisanträge des Angeklagten abzuarbeiten sind. Nur nebenbei: Der vom Tiedje als Instanz bemühte „Normalsterbliche“ könnte sich angesichts der seit mehreren Wochen zahlreich gestellten und weiter zu erwartenden Beweisanträge auch fragen: „Warum erst jetzt ...? Warum nicht schon viel früher?“.

Ach Tiedje!

·      Und schließlich: Tiedjes Unterstellung, die Freie und Hansestadt Hamburg bedanke sich beim Vorsitzenden der Kammer für eine Verurteilung des Angeklagten Falk mit einer Wahl zum Bundesrichter, kommentiert sich von selbst. Sie offenbart eine geradezu erschreckende Unkenntnis der Verhältnisse bei der Wahl der Bundesrichter. Wer so beraten wird, verliert nicht nur in Hessen eine Wahl.

Ach Tiedje!

Lassen wir es dabei bewenden. Die Presse – und wohl auch Tiedje – scheinen gegenwärtig von einer Verurteilung des Hauptangeklagten Alexander Falk auszugehen. Sollte Tiedjens Auftrag deshalb dahin modifiziert worden sein, statt ständig einen krachenden Freispruch zu verkünden nun eine Verurteilung wegen versuchten Betruges in Millionenhöhe gesellschaftlich „abzufedern“? Das kann indes nur erfolgreich sein, wenn das gesamte Verfahren als Feldzug persönlich an der Verurteilung interessierter – „befangener“ – und fachlich unqualifizierter Justizorgane und der Schuldspruch als „offenkundiges Fehlurteil“ schon vorab desavouiert werden. Dieser Strategie des Angeklagten scheint die Financial Times Deutschland durch den Abdruck des Beitrags vom 29.01.2008 aufgesessen zu sein.

Allein dem „PR-Berater“ eines Angeklagten das Feld zu überlassen, korrespondiert nicht mit dem hohen Anspruch der Financial Times Deutschland an sich selbst und ihrer Leser. Eine kritische Kontrolle der Dritten Gewalt durch Öffentlichkeit und Presse setzt verantwortungsbewusste journalistische Arbeit voraus. Bestellte Artikel werden dem nicht gerecht.

 

Marc Wenske,  Gerhard Schaberg


[1] Anm. d. Red.: auszugsweise abgedruckt als Leserbrief in der FTD v. 27.02.2008 und besprochen von Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung vom 12.02.2008

 

nachträgliche Anm: vgl. auch MHR 2/08, 5