(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/07, 21 ) < home RiV >

 

Europäisches Austauschprogramm:

Erfahrungsaustausch in der tschechischen Strafjustiz

Seit dem Jahr 2006 gibt es für Richter und Staatsanwälte die Möglichkeit, im Rahmen eines Austauschprogramms über das EJTN (European Judicial Training Network) für 2 Wochen in der Justiz eines anderen europäischen Staates zu hospitieren. Im ersten Jahr dieses Programms haben insgesamt 275 europäische Richter und Staatsanwälte an diesem Programm teilgenommen. In diesem Jahr werden es etwa 400 Teilnehmer sein, davon 30 aus Deutschland. Ziel dieses Programms ist es, den Aufbau eines gemeinsamen europäischen Rechtsraums und das gegenseitige Vertrauen zwischen den einzelnen Ländern zu fördern, wichtig nicht zuletzt im Hinblick auf die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen. Das Programm steht allen interessierten Richtern und Staatsanwälten offen, die sich über sog. „contact points“ ihrer jeweiligen Länder (in Deutschland beim Justizministerium des Landes NRW angesiedelt) immer Anfang eines Jahres bewerben können. Das Bewerbungsverfahren (Einzelheiten hierzu unter www.ejtn.eu) ist vergleichsweise unkompliziert. Sprachkenntnisse für die Länder, für die sich die Teilnehmer bewerben, sind regelmäßig erforderlich, für die kleineren Teilnehmerländer (wie etwa Estland), aber nicht zwingend, da die Hospitationen dort auch in Englisch oder Französisch durchgeführt werden. Das Programm wird durch die Europäische Union gefördert. Die Teilnehmer erhalten Reisekostenerstattung und ein großzügiges Tagegeld.

 

Im Rahmen dieses Programms habe ich im September 2007 Tschechien besucht, das in diesem Jahr zum ersten Mal am Austauschprogramm teilgenommen hat. Von meinem Ansprechpartner bei der tschechischen Justizakademie wurde für mich ein Programm zusammengestellt, das mich durch sämtliche Instanzen der Strafjustiz führte. Auffällig war von Beginn an, mit welcher Herzlichkeit und mit welchem Interesse ich von meinen Gesprächspartnern in den Gerichten und Staatsanwaltschaften empfangen wor­den bin. Schnell entwickelte sich ein reger Gedankenaustausch, der nicht nur auf das tschechische Straf- und Strafprozessrecht beschränkt war. Vielmehr bestand überall auch ein großes Interesse an der Handhabung in Deutschland und wurden Unterschiede und Gemeinsamkeiten der jeweiligen Rechtssysteme diskutiert.

 

Die tschechische Justiz hat seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes Ende 1989 erhebliche Veränderungen erfahren. Diese waren zum einen personeller Art, weil rund 40% der damaligen Richter aus dem Justizdienst ausgeschieden sind. Daneben waren der Übergang zu einer demokratischen Staatsform und der spätere Beitritt zur Europäischen Union von zahlreichen Gesetzesreformen begleitet. Allein das noch aus dem Jahr 1961 stammende Strafgesetzbuch wurde seit 1989 über 80mal geändert; ähnliches gilt auch für die Strafprozessordnung und andere Gesetze. Dies hat zu einer gewissen Unübersichtlichkeit geführt, die einer der Gründe ist, warum sich derzeit der Entwurf eines neuen Strafgesetzbuches im Gesetzgebungsverfahren befindet. Zur Übersichtlichkeit trägt in diesem Bereich allerdings bei, dass das tschechische Strafrecht keine Nebenstrafgesetze kennt, sondern sämtliche Strafvorschriften im Strafgesetzbuch vereinigt sind.

 

Da das Land in vielen Bereichen an frühere Traditionen angeknüpft hat, die noch auf die erste, zwischen den Weltkriegen bestehende Republik und bis in die Zeit zurückdatieren, als das Land Teil des österreichischen Kaiserreichs war, ist das tschechische Rechtssystem dem deutschen nicht unähnlich. Die Gerichte teilen sich auf vier Instanzen vom Amtsgericht (Okresni Soud), Landgericht (Krajsky Soud), Oberlandesgericht (Vrchni Soud) bis zum Obersten Gericht (Nejvyssi Soud) auf. Die gleiche Aufteilung spiegelt sich bei der Staatsanwaltschaft wieder. Dabei wird die Eingangszuständigkeit nicht nach der konkreten Straferwartung, sondern vielmehr den abstrakten Strafandrohungen bestimmt. Das Landgericht ist für Straftaten, deren untere Strafgrenze 5 Jahre beträgt, in erster Instanz zuständig, während die übrigen Fälle von den Amtsgerichten verhandelt werden. Diese Aufteilung setzt sich auch bei der Polizei fort, die entweder einer Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht oder beim Landgericht zugewiesen ist.

 

Wie in Deutschland werden bei den Amtsgerichten in einfach gelagerten Fällen sowie in Fällen im beschleunigten Verfahren der Strafrichter und bei schwerer wiegenden Taten das Schöffengericht in der Besetzung mit einem Berufsrichter und 2 Schöffen tätig. Abweichend jedoch die Gerichtsbesetzung beim Landgericht, wo in erster Instanz in allen Fällen lediglich ein Richter mit 2 Schöffen tätig wird. Da es keine weiteren erstinstanzlichen Zuständigkeiten gibt, bedeutet dies, dass auch in sehr komplexen Wirtschaftsstrafsachen oder Staatsschutzdelikten immer nur ein Berufrichter die Verhandlung führt. Umgekehrt sind die Berufungsspruchkörper bei den Landgerichten und den Oberlandesgerichten immer mit drei Berufsrichtern besetzt. Ein Grund hierfür dürfte sein, dass das tschechische Berufungsverfahren nicht mit dem deutschen vergleichbar ist, sondern eher eine Mischform zwischen Berufung und Revision darstellt. Die gegen erstinstanzliche Urteile des Amts- und des Landgerichts mögliche Berufung ist zu begründen, wobei prinzipiell nur das geprüft wird, was auch in der Berufungsbegründung beanstandet wird. Das Berufungsgericht prüft das Vorliegen von Verfahrensfehlern und führt – soweit erforderlich – lediglich zur Ergänzung des erstinstanzlichen Urteils eine zusätzliche Beweisaufnahme durch. Bei erheblichen Verfahrensfehlern und dem Erfordernis einer mehr als nur ergänzenden Beweisaufnahme wird der Fall hingegen in die erste Instanz zur erneuten vollständigen Verhandlung zurückverwiesen. Dies ist je nach Gerichtssprengel in etwa 11% - 18% der Berufungen der Fall, was in diesen Fällen zu erheblichen Verfahrensverzögerungen führt. Gegen Urteile der Berufungsgerichte ist als weitere Instanz – sowohl bei Entscheidungen des Land- als auch des Oberlandesgerichts – das Oberste Gericht mit Sitz in Brno (Brünn) zuständig, wobei es sich bei dieser Anrufungsmöglichkeit („dovolani“), die noch am ehesten mit unserer Revision vergleichbar ist, nach tschechischem Verständnis nicht um ein ordentliches, sondern um ein außerordentliches Rechtsmittel handelt, das regelmäßig keinen Suspensiveffekt hat. Das Oberste Gericht prüft neben der richtigen Anwendung des materiellen Rechts auch nur einen sehr begrenzten Katalog von – schwer wiegenden – Verfahrensfehlern, wobei die gesetzlich festgelegten Revisionsgründe durch Entscheidungen des tschechischen Verfassungsgerichts eine deutliche Erweiterung erfahren haben und im Ergebnis jetzt auch die Prüfung umfassen, ob die Regeln eines fairen Verfahrens eingehalten worden sind. Die Aufhebungs- und Zurückverweisungsquote beim Obersten Gericht liegt unter 5%. Deutlich höher, nämlich etwa bei 50%, ist die Erfolgsquote bei einem Rechtsbehelf, der dem deutschen Recht fremd ist, der sog. „Beschwerde gegen Gesetzesverletzungen“ („stiznost pro poruseni zakona“). Mit dieser kann das Justizministerium jede bereits rechtskräftige Entscheidung eines Justizorgans durch das Oberste Gericht überprüfen lassen, das diese trotz Rechtskraft aufheben kann; von dieser Möglichkeit macht das Justizministerium in etwa 200 Fällen pro Jahr Gebrauch.

 

Im Rahmen des Austauschprogramms nahm ich an mehreren erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsverhandlungen sowie an einer Revisionsverhandlung beim Obersten Gericht teil, die vom Ablauf und der Rolle der Verfahrensbeteiligten im Wesentlichen dem Ablauf einer deutschen Hauptverhandlung entsprachen. Einer der markantesten Unterschiede war allerdings, dass in Tschechien in allen Instanzen nicht nur ein Wortprotokoll geführt, sondern jede Gerichtsverhandlung komplett akustisch aufgezeichnet wird. Hierzu sind alle Gerichtssäle mit Mikrofonen und kleinen „Tonstudios“ ausgerüstet, die von den Protokollführern bedient werden. Diese Tonaufzeichnungen werden Aktenbestandteil und können in späteren Verfahrensstadien auch zu Beweiszwecken etwa zum Inhalt einer Zeugenaussage herangezogen werden. Auf Wunsch bekommen die Verfahrensbeteiligten bereits im Gerichtssaal eine CD gebrannt und ausgehändigt. Einige Gerichtssäle, die ich gesehen habe, waren überdies mit aufwändigen Anlagen ausgestattet, die eine Videovernehmung von Zeugen zuließen. Dies ist besonderes vor dem Hintergrund von Bedeutung, weil die Sperrung eines Zeugen, etwa einer VP oder eines VE, in Tschechien nicht vorkommt. Diese werden vielmehr bei einer bestehenden Gefährdungslage per Videokonferenz vernommen, wobei ihr Erscheinungsbild für den Vorsitzenden Richter unverzerrt und für die übrigen Verfahrensbeteiligten verzerrt auf ihre Bildschirme übertragen wird.

Unterschiede bestehen auch in der Behandlung von Beweis- und Befangenheitsanträgen. Beweisanträge werden vom Gericht allein unter dem Aspekt beurteilt, ob die Aufklärungspflicht es gebietet, ihnen nachzukommen; über Befangenheitsanträge entscheidet das erkennende Gericht unter Einschluss des abgelehnten Richters. Dessen Entscheidung unterliegt der Beschwerde, die aber nicht den Prozessverlauf hemmt und das erkennende Gericht nicht daran hindert, ein Urteil zu fällen. Wird der Beschwerde später stattgegeben, so führt dies allerdings im Rahmen einer Berufung zur Urteilsaufhebung. Die Möglichkeit, im Rahmen eines sog. „Deals“ das Strafverfahren abzukürzen, gibt es in Tschechien derzeit nicht.

 

Die Strafrahmen in Tschechien sind grob mit den deutschen vergleichbar; die Höchststrafe beträgt – mit Ausnahme von Mord und ähnlich schweren Delikten (bis zu lebenslang) – 15 Jahre. Im Rahmen der Strafrechtsreform ist allerdings eine Erhöhung auf 20 Jahre vorgesehen. Bei seiner Strafentscheidung muss ein tschechisches Gericht zugleich eine Anordnung darüber treffen, in welcher Strafanstaltsart (z.B. offener oder geschlossener Vollzug) die Freiheitsstrafe zu vollziehen ist; im neuen Strafgesetzbuch ist für Strafen bis zu 2 Jahren auch die Möglichkeit einer Art Hausarrest vorgesehen, bei dem sich der Verurteilte außerhalb gewöhnlicher Arbeitszeiten und am Wochenende innerhalb seiner Wohnung aufhalten muss. Bei ausländischen Tätern kann das Strafgericht unter bestimmten Voraussetzungen auch deren Ausweisung anordnen.

 

Unterschiede bestehen auch im Ermittlungsverfahren, bei dem in der Regel zunächst von der Polizei Vorermittlungen zur Klärung des Vorliegens einer Straftat und der Beteiligten durchgeführt werden. Im Anschluss wird durch förmlichen Beschluss – von dem der Beschuldigte regelmäßig umgehend in Kenntnis zu setzen ist, und gegen den er sich beschweren kann – das eigentliche Ermittlungsverfahren eingeleitet. Spätestens ab diesem Zeitpunkt muss dem Beschuldigten im Falle einer notwendigen Verteidigung ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden, wobei der Katalog der notwendigen Verteidigung deutlich weiter als nach der deutschen StPO ist und beispielsweise unabhängig vom Tatvorwurf alle Verfahren umfasst, die sich gegen Jugendliche richten. Nach Abschluss der Ermittlungen und vor Weiterleitung der Akten an die Staatsanwaltschaft, die über die Anklageerhebung zu entscheiden hat, ist überdies dem Beschuldigten (!) und seinem Verteidiger vollständige Akteneinsicht zu gewähren, ein Recht, von dem – wie ich mich aus vielen der mir zur Verfügung gestellten Strafakten überzeugen konnte – reger Gebrauch gemacht wird. Die Entscheidungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft nach Aktenübersendung entsprechen etwa der deutschen StPO. Allerdings sind bei einer (Teil-)Einstellung des Verfahrens durch den Staatsanwalt die Akten zwingend der Staatsanwaltschaft beim Obersten Gericht vorzulegen, die dann darüber entscheidet, ob die Einstellung zu Recht erfolgt ist. Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (Durchsuchungen, TÜ, Haftbefehl) unterliegen in Tschechien dem Richtervorbehalt und werden von den Amtsgerichten angeordnet. Da Richter, die an Entscheidungen vor Anklageerhebung mitgewirkt haben, von der Mitwirkung an der späteren Hauptverhandlung ausgeschlossen sind, werden diese Beschlüsse an kleineren Amtsgerichten häufig von Zivilrichtern gefasst, damit ihre Strafkollegen die spätere Hauptverhandlung durchführen können.

 

Richter genießen in Tschechien im Wesentlichen die gleiche, verfassungsrechtlich abgesicherte Unabhängigkeit wie Richter in Deutschland. Bestrebungen, insbesondere auch durch den derzeitigen Staatspräsidenten Vaclav Klaus, in die Unabhängigkeit der Gerichte einzugreifen, sind bislang in jedem Fall am tschechischen Verfassungsgericht gescheitert. Dies hat bei tschechischen Politikern, die nicht immer mit den Entscheidungen der Gerichte einverstanden sind, zu dem bösen Schmähwort der „Richterherrschaft“ („soudcokracie“) geführt, das nach meinem Eindruck allerdings keine Berechtigung hat. In diese Diskussion spielt sicherlich auch ein gewisses Maß an Neid hinein, da tschechische Richter und Staatsanwälte vergleichsweise gut besoldet sind. So beträgt etwa das Gehalt eines 40jährigen Richters beim Amtsgericht rund 70.000 Kc (2.600 €), das eines Richters beim Oberlandesgericht etwa 115.000 Kc (4.250 €). Dies stellt gemessen an den Landesverhältnissen – das Durchschnittsgehalt liegt bei 21.000 Kc (770 €), Abgeordnete beziehen knapp 70.000 Kc – eine sehr gute Vergütung dar. Mit durchschnittlich 15.000 Kc (600 €) fällt allerdings die Altersversorgung deutlich ungünstiger aus, was auch dazu führt, dass einige Richter und Staatsanwälte über die gesetzliche Altersgrenze, die derzeit stufenweise auf 65 Jahre angehoben wird, hinaus weiter tätig sind; dies ist bis zum 70. Lebensjahr möglich.

Auch im Übrigen ist die Ausstattung der Gerichte als gut zu bezeichnen, sie übertrifft in einigen Bereichen die hiesigen Standards. Alle Richter und Staatsanwälte verfügen in ihren Büros über Internetzugang mit Zugriff auf juristische Datenbänke, schmuddelige Gerichtssäle mit zusammengewürfeltem Mobiliar habe ich nirgendwo vorgefunden, das OLG Prag verfügt gar über einen eigenen Fitnessraum. Dort, wo die Gerichte in historischen Gebäuden untergebracht sind – und das ist oft der Fall – sind diese meist vollständig unter Wahrung des Denkmalschutzes renoviert. Hier sei nur das Amts- und Landgericht in Brno (Brünn) erwähnt, das noch zu ZeitenTextfeld:  
Landgericht Prag

 der österreichischungarischen Monarchie errichtet wurde und bis hin zu den Parkettböden in Gängen und Büros mit Liebe zum Detail wiederhergestellt wurde. Nichtsdestotrotz herrschen auch in Tschechien die allbekannten Sparzwänge. Bei meinem Besuch beim Amtsgerichtspräsidenten von Prag Mitte platzte ich mitten in eine vom dortigen Richterverein organisierte Pressekonferenz, in denen die mangelnde finanzielle Ausstattung der Gerichte beklagt wurde. Diese hatte gerade dazu geführt, dass Pflichtverteidigergebühren monatelang nicht mehr ausgezahlt werden konnten. Auch hier sind die Gerichte auf das Wohlwollen des Justizministeriums angewiesen. Eine finanzielle Selbstverwaltung der Gerichte gibt es nicht.

 

Im Zuge des Austauschprogramms wurde ich auch in die tschechische Justizakademie nach Kromeriz bei Brno eingeladen, wo mir in groben Zügen die Richterausbildung erläutert wurde. Im Anschluss an das Jurastudium folgt eine dreijährige praktische Ausbildung ähnlich dem Referendariat, die angehende Richter vollständig bei Gerichten ableisten. Die Kandidaten müssen zuvor einen umfangreichen psychologischen Test absolvieren, mit dem die Eignung für das Richteramt geprüft wird. Interessanterweise hat gerade dieser Test in den letzten Jahren zu einer zunehmenden „Feminisierung der Justiz“ beigetragen, da männliche Bewerber seltener die gestellten psychologischen Anforderungen erfüllen. Nach Abschluss der dreijährigen praktischen Ausbildung, in denen die Kandidaten bereits einfachere richterliche Tätigkeiten wie Vernehmungen vornehmen, folgt eine weitere Prüfung, mit der die Befähigung zum Richteramt erworben wird. Ein noch nicht befriedigend gelöstes Problem besteht derzeit darin, dass das Mindestalter für Richter auf 30 Jahre angehoben wurde, so dass sich für die meisten Bewerber nach der Ausbildung eine Wartezeit ergibt, während derer viele fähige Bewerber in die freie Wirtschaft abwandern. Wer genug Geduld hat, kann sich ab dem 30. Lebensjahr bei einem Amtsgericht bewerben und wird – eine freie Planstelle vorausgesetzt – ohne weitere Probezeit vom Staatspräsidenten auf Lebenszeit ernannt. Die weitere Richterlaufbahn wird im Wesentlichen von den jeweiligen Gerichtspräsidenten bestimmt, die sich ohne förmliches Auswahlverfahren aus den Bewerbern für freie Stelle diejenigen aussuchen, die ihnen geeignet erscheinen.

 

Textfeld:  
Denkmal für die Opfer (darunter ca. 200.000 Justizopfer) des kommunistischen Regimes

Insgesamt erwies sich die zweiwöchige Hospitation als äußerst lehrreich und das nicht nur in juristischer sondern auch in historischer Hinsicht. Besonders eindrucksvoll etwa der Besuch beim OLG Prag, in dessen Gebäuden in der Zeit des „Protektorats Böhmen und Mähren“ neben der Gestapo auch deutsche Amts- und Landgerichte untergebracht waren und deutsche Richter insgesamt 1075 Menschen zum Tode verurteilt haben – Urteile, die in der Regel ohne weiteren Aufschub gleich im angrenzenden Untersuchungsgefängnis durch Enthauptung vollstreckt worden sind. Im gleichen Gebäude wurde mir auch der größte Gerichtssaal Mitteleuropas gezeigt, in dem in den 50er Jahren kommunistische Schauprozesse stattfanden. Diese Zeit, in der insgesamt rund 200.000 Personen aus politischen Gründen verurteilt worden sind und mehr als 4.700 entweder hingerichtet wurden oder durch schikanöse Behandlung in den Gefängnissen umgekommen sind, harrt noch ihrer vollständigen Aufarbeitung. Während meines Aufenthalts wurde vor dem LG Prag gerade ein Prozess gegen eine ehemalige Staatsanwältin wegen der Teilnahme an einem solchen Schauprozess geführt. Interessanterweise stellen die damaligen Filmaufnahmen heute die Hauptbeweismittel in diesem Prozess dar.

 

Als Fazit lässt sich sagen, dass das Europäische Austauschprogramm ein sehr gelungenes Programm ist, das sicher erheblich dazu beiträgt, die Kenntnisse über die Justizsysteme andere europäischer Länder zu vertiefen, grenzüberschreitende, persönliche Kontakte in diesem Bereich herzustellen und das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit von Entscheidungen anderer europäischer Partnerländer zu fördern. Wer sich für solche grenzüberschreitenden Erfahrungen interessiert, dem kann eine Teilnahme an diesem Programm nur wärmstens ans Herz gelegt werden.

David Vymer