(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/07, 13 ) < home RiV >
Mohr im Ruhestand
Mit Ablauf des 31.07.2007 ist Dr. Carsten Mohr in den Ruhestand getreten. Carsten Mohr war seit 1993 Mitglied des 1. Strafsenats, seit 1994 Mitglied des 3. Strafsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts. Hier bleibt vor allem seine Berichterstattung in Sachen Andrawes, betreffend die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut" nach Mogadischu, unvergessen. Das schriftliche Urteil - juristisch stringent und glänzend geschrieben - stellt einen Höhepunkt in der Rechtsprechung der Strafsenate und in seiner Darstellung der Geschehnisse überdies ein zeitgeschichtliches Dokument ersten Ranges dar.
Wer Carsten Mohr nicht näher kannte, hielt ihn für einen der Stillen im Lande. Der äußere Anschein trog. Carsten Mohr war stets ein Mann von Prinzipien, Entschlossenheit und Tatkraft. Er bewies dies bereits im Alter von 19 Jahren als Student, als er 1972 sein Jurastudium an der Freien Universität Berlin aufnehmen wollte. Seine Empörung über die Berliner Mauer veranlasste ihn, in einer Fluchthelfer-Organisation mitzuwirken. Am 12.05.1962 begab er sich - für einen Westdeutschen damals noch unproblematisch möglich - nach Ostberlin, um als Bote die Verabredung eines Tunnelbaus zu vermitteln; auch sollte das mysteriöse Verschwinden eines Fluchthelfers im Ostteil der Stadt geklärt werden. In Ostberlin angekommen wurde er, da das MfS einen Spitzel eingeschleust hatte, noch am selben Tage verhaftet. Nach menschenrechtswidriger Untersuchungshaft mit Tag-und-Nacht-Verhören wurde er in einem - dem seinerzeit ersten - Schauprozess vor dem Obersten Gericht der DDR vom Generalstaatsanwalt mit sich überschlagender Stimme als "Mörder" inkriminiert. Vorwand hierfür war, dass in anderer Sache, mit der der Student Mohr, wie auch den Ostberliner Behörden bekannt war, nicht das allergeringste zu tun hatte, ein Grenzposten von einem Fluchthelfer erschossen worden war. Für Carsten Mohr bedurfte es wenig Phantasie sich auszumalen, welche Strafe ihm nunmehr drohte.
Dass er am 04.07.1962 „nur" wegen „staatsgefährdender Gewaltakte" und „Verleitung zum Verlassen der Deutschen Demokratischen Republik" zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, war so gesehen noch ein relatives Glück. Rechtsmittel gab es unter DDR-Bedingungen selbstverständlich nicht. Anschließend verbrachte Carsten Mohr Strafhaft unter MfS-Aufsicht im Hochsicherheitstrakt der für ihre besonders drückenden Haftbedingungen berüchtigten Anstalt Bautzen II.
Er hatte wieder „Glück", dass er nach etwas mehr als zweijähriger Haft von der Bundesregierung freigekauft werden konnte. Am 30.07.1964 kehrte er nach Westberlin zurück. Durch Karl Wilhelm Frick in dem von ihm u.a. herausgegebenen Sammelband „Opposition und Widerstand in der DDR", München 2002, hat das Wirken Carsten Mohrs historische Darstellung erfahren.
Im Januar 1975 trat Dr. Mohr als Richter in den Justizdienst ein. Aufgrund eigenen Erlebens war ihm in besonderer Weise bewusst, was Leiden in der Haft tatsächlich bedeutet. Vielleicht auch deswegen war sein Urteil - auch in Staatsschutzsachen - stets abgewogen. In der Kollegenschaft genoss er Vertrauen; bis zuletzt wurde er immer wieder zum Mitglied des Präsidialrats der Hamburger Gerichte gewählt. Er wird der Justiz fehlen.
Gerd Augner