(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/07, 5 ) < home RiV >

Bibliotheksmittel

 

Der Richterverein schrieb an den Justizsenator:

 

Sehr geehrter Herr Senator,

 

erfreulicherweise ist es in der jüngeren Vergangenheit gelungen, die technische und räumliche Ausstattung von Gerichten und Staatsanwaltschaften nachhaltig zu verbessern. Insbesondere begrüßen die Kolleginnen und Kollegen es sehr, dass sie dank der im Bundesvergleich überdurchschnittlich guten Ausstattung mit IuK-Technik die Möglichkeit haben, von ihren Arbeitsplätzen aus in zahlreichen juristischen Datenbanken zu recherchieren.

 

Bedauerlicherweise steht dieser erfreulichen Entwicklung gleichsam spiegelbildlich eine zunehmend mangelhafte Ausstattung mit Bibliotheksmitteln gegenüber. Diese Mittel sind seit vielen Jahren nicht erhöht worden. Gleichzeitig sind im selben Zeitraum die Preise für Fachliteratur erheblich angestiegen, verstärkt seit der Einführung des Euro. Außerdem sind die juristischen Fachverlage dazu übergegangen, Neuauflagen der von ihnen herausgegebenen Standardwerke statt wie früher im Zwei-Jahres-Rhythmus jetzt jährlich neu herauszubringen.

 

Die dadurch entstandene Finanzierungslücke zwischen stagnierenden/rückläufigen Bibliotheksmitteln einerseits und rasant steigenden Anschaffungskosten andererseits hat inzwischen insbesondere an den Arbeitsplätzen der Kolleginnen und Kollegen zu einer Unterversorgung geführt, die nicht mehr hinnehmbar ist. Überwiegend verfügen die Kolleginnen und Kollegen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten an ihren Arbeitsplätzen nicht über die aktuelle Auflage der jeweiligen Standardkommentare wie den Palandt oder Tröndle/Fischer, sondern bestenfalls über die Vorauflage oder häufig auch über eine noch ältere Auflage. Dies wirkt sich in der täglichen Sacharbeit äußerst negativ aus, weil man insbesondere nicht sicher sein kann, sich durch einen Blick in einen veralteten Standardkommentar einen orientierenden Überblick über den aktuellen Stand von Rechtsprechung und Literatur verschaffen zu können. Dieses Defizit wird auch nicht durch die guten Recherchemöglichkeiten per PC in juristischen Datenbanken ausgeglichen, und zwar schon deswegen nicht, weil diese Werke von dort nicht abgerufen werden können und im Übrigen die Recherche gegenüber dem Blick in den Kommentar deutlich zeitaufwändiger ist.

 

Unabhängig davon stellen wir fest, dass der PC den Standardkommentar nicht ersetzen kann. Die Juristerei ist und bleibt eine Bücherwissenschaft. Dies bestätigen auch die jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die es von Kindheit an gewohnt sind, mit elektronischen Medien zu arbeiten.

 

Besonders nachteilig wirkt sich die Unterversorgung mit aktueller Literatur in zahlreichen Verhandlungen aus, in denen sich Gerichte und Vertreter der Staatsanwaltschaft Anwälten gegenüber sehen, die durchweg mit aktueller Literatur ausgestattet sind.

 

Hier hat sich bereits jetzt eine Schieflage gebildet, die letztlich die Waffengleichheit zwischen Justiz und Anwaltschaft zum Nachteil der Dritten Gewalt verschiebt.

 

Dieser Entwicklung muss Einhalt geboten werden. Wir fordern eine flächendeckende Ausstattung aller Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte mit den jeweils aktuellen Auflagen der Standardkommentare aus ihren jeweiligen Rechtsgebieten. Die dafür einzusetzenden Haushaltsmittel sind nach unserer Einschätzung sowohl bezogen auf den Gesamthaushalt der Freien und Hansestadt Hamburg als auch in Bezug auf den Haushalt der Justizbehörde vergleichsweise gering. Das gilt umso mehr, als die Nachteile, die sowohl für den täglichen Arbeitsablauf als auch für die Qualität der Arbeit und letztlich für das Ansehen der Dritten Gewalt durch unzureichende Ausstattung der Arbeitsplätze entsteht, unvergleichlich höher sind.

 

Und schließlich: Es ist nicht zuletzt eine Frage der Wertschätzung richterlicher und staatsanwaltschaftlicher Arbeit, den Kolleginnen und Kollegen das grundlegende Handwerkszeug für die tägliche Arbeit zur Verfügung zu stellen.

 

Der Vorstand

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In ihrer Antwort bedauert die Justizbehörde, dass die derzeitige Finanzlage keine allseits befriedigende Lösung zulässt. Mit den Gerichtspräsidenten und der Generalstaatsanwaltschaft habe man in der Vergangenheit versucht, tragfähige Wege  zu finden, um den notwendigen Literaturbedarf abdecken zu können. Im Einzelfall zwingend zusätzlich erforderliche Literatur habe der OLG-Präsident unmittelbar bei der Justizbehörde anfordern können. Unter Hinweis auf die Budgetverantwortung der einzelnen Gerichte und Staatsanwaltschaften und die dort zu setzenden Prioritäten verweist die Justizbehörde darauf, alle Schritte zu unternehmen, um in der Zukunft sich bietende Chancen für die Mittelverstärkung zu nutzen.

 

Der Richterverein hofft im Interesse der von Politik immer wieder geforderten schlagkräftigen Justiz, dass Staatsanwälten und Richtern nicht länger zugemutet wird, im Extremfall sich in der Sitzung Kommentare der Rechtsanwälte ausleihen zu müssen, um Stellungnahmen zu im Prozess unvorhersehbar aufgetauchten Streifragen unter Berücksichtigung des neuesten Meinungsstande abgeben zu könne. Die deutlich angewachsenen Steuereinnahmen der Stadt müssen es möglich machen, diesen beschämenden Zustand des letzten Jahres unverzüglich zu beenden. Das ist eine Priorität, die die Justizbehörde in den Budgetverhandlungen im Senat durchsetzen muss.

 

Gerhard Schaberg