(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/07, 15 ) < home RiV >

Pensionärstreffen

am Mittwoch, 14.11.2007, 19.00 Uhr,

Cafeteria, Grundbuchhalle

 

Wie in jedem Jahr sind auch 2007 die Pensionäre des Hamburgischen Richtervereins herzlich eingeladen, sich zu ihrem „Stammtisch“ zu treffen.

 

Neben Häppchen, Wein und dergleichen möchte ich, angeregt von einem Beschluss meiner Kammer in einem Strafverfahren, einen Kurzvortrag zum Thema „Literatur und Recht“ halten.

 

Der Beschluss erging zu einem Beweisantrag, der – nicht ganz ernst gemeint – das Ziel hatte, einen Sachverständigen zu laden, um eine Urkunde auf Ernsthaftigkeit untersuchen zu lassen. Der Beschluss hatte (leicht abgeändert) folgenden Wortlaut:

 

„Der Ladung eines Sachverständigen bedarf es angesichts eigener Sachkunde der Kammer nicht.

Der Antragsteller ist der Überzeugung, dem so genannten „Zuhälter–Ein x Eins“ sei „Satirecharakter“ beizumessen.

Für die Beurteilung der Frage, ob der Text eine Satire sei, bedarf es keiner Entscheidung der sicherlich interessanten Vorfrage, ob ein Text überhaupt einen Charakter haben kann oder nicht eher charakterlos daherkommt.

Der abschließenden Beratung der Kammer bleibt es vorbehalten festzustellen, ob die verlesene Urkunde - der Auffassung des Antragstellers folgend - der „klassischen Satire“ zuzurechnen ist. Dagegen spricht bereits bei vordergründiger Betrachtung, dass der zu begutachtende Text nicht als Hexameter verfasst wurde. Es kann auch dahin stehen, ob die Urkunde eher dem lucillisch-horazischen, also scherzhaften, oder dem iuvenalischen, also strafenden, Formenkreis zuzurechnen ist. Für die letztere Auffassung spräche die Verlesung in einem Strafverfahren. Überzeugend ist diese rein formale Betrachtung aber nicht.

Zu denken wäre auch an eine mittelalterliche Ständesatire der Bauern- und Vagantendichtung. Ob dem Text jedoch eine Auflehnung gegen höher stehende Stände beizumessen ist, erscheint fraglich.

Angesichts der gerichtsbekannten Ernsthaftigkeit des Antragstellers schließt die Kammer auch aus, dass er der Auffassung sein könnte, der Text wäre als Satire der Narrenliteratur des Humanismus zuzurechnen.

Eher wäre daran zu denken, ihn den Dunkelmännerbriefen eines Ullrich von Hutten et. alt. zuzuordnen.

Die Kammer glaubt auch nicht, dass der Antragsteller eingedenk einer nie ganz auszuschließenden Verwandtschaft mit dem weiland Innensenator der Freien und Hansestadt Hamburg, Schill, und einer daraus herzuleitenden gewissen Aktualität das Pamphlet dessen Namenvetters und Verfasser von „Teutsche Satyra ... wider alle Verderber der teutschen Sprach …“ im Auge hatte.

Selbst wenn die bedeutendsten Vertreter der deutschen Klassik, das Weimarer Zweigestirn, die vom Antragsteller gewählte Einordnung des Textes jedenfalls in den ersten Jahren ihrer Bedeutung noch geteilt haben könnten, geht die Kammer davon aus, dass die sonstige Abfassung des Antrages eher dafür spricht, der Antragsteller gehe trotz eigener gegenteiliger Einordnung von einem neuzeitlichen Verständnis der Satire aus.

Heines gesellschaftspolitische Satiren, insbesondere aber deren Fortentwicklung in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts durch Karl Kraus, Tucholsky und Kästner werden der Beurteilung der Urkunde und der Zielrichtung des Antrages eher gerecht, als diesen etwa an Juvenal zu messen.

Die Kammer beruft sich dabei auf eigene Sachkunde. Diese Sachkunde hat sie durch langjähriges Studium einschlägiger Literatur und Auswertung schriftlicher Bei- und Anträge der unterschiedlichsten Verfasser in diversen Strafverfahren gewonnen.

Es mag reizvoll erscheinen, als Sachverständige etwa Loriot, i.e. V. von Bülow, oder F.K. Wächter, letzteren, Pardon, als Vertreter der „Neuen Frankfurter Schule“ zu laden. Mit einem gewissen „leider“ verzichtet die Kammer darauf neben der eigenen Sachkunde auch aus prozessökonomischen Gründen.“

 

Gerhard Schaberg

- zum nächsten Artikel -