(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/07, 10) < home RiV >
Zum Abschied der Vorsitzenden
Liebe Frau Schmidt-Syaßen,
Sie werden heute im nichtöffentlichen Teil der Vollversammlung Ihr Amt als Vorsitzende des Hamburgischen Richtervereins niederlegen. Im März 1999 haben Sie den Vorsitz als Nachfolgerin von Heiko Raabe übernommen mit dem festen Vorsatz, nur einmal zu kandidieren. Nach 8 Jahren können wir feststellen, wie lang eine derart kurze Wahlperiode werden kann. Sie haben sich nicht um dieses Amt gerissen, Sie haben immer wieder angeboten, es aufzugeben; jedoch: Sie sind immer wieder gedrängt worden weiterzumachen. Dass Sie dem nachgegeben haben, sagt etwas über Ihre Persönlichkeit aus, die unter anderem dadurch gekennzeichnet ist, dass Sie – einmal in die Pflicht genommen - nicht weichen und sich der Verantwortung stellen. In dieser Zeit sind Justizsenatoren gekommen und gegangen. Sie sind geblieben. Das ist letztlich auch ein Zeichen für die kontinuierliche Arbeit des Hamburgischen Richtervereins unter Ihrer Ägide.
Es haben in dieser Zeit nicht nur kulturelle Veranstaltungen stattgefunden, die Sie federführend mit geprägt haben. Erinnert sei beispielsweise nur an die Lesungen Arno Surminskis und Herbert Rosendorfers in der Grundbuchhalle oder an die vielen Kunstausstellungen.
Oft wird vergessen, durch welch eine stürmische politische See Sie den Richterverein gesteuert haben.
Die ersten Auseinandersetzungen fanden noch mit dem SPD-geführten Senat statt. Da haben Sie nicht nur geplänkelt, sondern es wurde auch geklotzt. Etwa als es galt, die völlig überzogenen Sparpläne der damaligen Senatorin zurückzuweisen. Mit Presseerklärungen und Interviews wurde versucht, der Öffentlichkeit den Standpunkt der Richterschaft zu verdeutlichen. Dann kam es zum Regierungswechsel, und der Streit ging weiter. Sie hatten sich für die Richter zur Wehr zu setzen gegen Urteilsschelten und Eingriffe in die Personalhoheit der Justiz. Beispielhaft sei nur erinnert an die massive Abwehr des Versuchs, die Krankheit des Leiters der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg dazu auszunutzen, personelle Weichen zu stellen. Dem haben Sie ebenso nachhaltig widersprochen, wie der Einflussnahme auf die Einstellungspraxis für Richter und Staatsanwälte auf der eindrucksvollen Veranstaltung am 9.12.2005 in der Grundbuchhalle. Diese Beispiele könnte ich vielfältig fortsetzen, um dem Vergessen in unserer schnelllebigen Zeit entgegen zu wirken. Der Hamburgische Richterverein war unter Ihrem Vorsitz präsent, er hat sich unter Ihrem Vorsitz um die Belange der Richter und Staatsanwälte gekümmert, in Anhörungen der Bürgerschaft ebenso wie in Gesprächen mit den Senatoren und in Erklärungen gegenüber der Presse. Dafür haben wir Ihnen zu danken. Ihnen zollen wir unsere Anerkennung und sprechen Ihnen in aller Öffentlichkeit unseren Dank aus für die Leistungen der vergangenen 8 Jahre.
Eigentlich müsste ich Ihnen jetzt einen selbst gebackenen Kuchen präsentieren, um es Ihnen gleich zu tun, die uns in all den Jahren immer wieder mit süßen Leckereien überrascht und verwöhnt hat. Ich kann aber zum einen nicht backen und zum anderen könnten Sie es auf alle Fälle besser. Letztlich will Ihnen auch der gesamte Vorstand stellvertretend für alle Mitglieder für Ihre Arbeit danken.
Dieser kurze Rückblick und die Danksagung ist für mich gleichzeitig Anlass, nach vorne zu schauen. Was liegt an Arbeit vor uns? Das könnte eine endlose Rede werden, wenn ich die Themen bedenke, die sich aufdrängen: Besoldung, Stellenabbau und seine Verhinderung, Qualitätssicherung, Unabhängigkeit, Föderalismusreform, Europa, Juristenausbildung, Einstellungspraxis, Besetzung der Präsidenten in der ordentlichen Gerichtsbarkeit usw. usw. Aus der Vielzahl der sich aufdrängenden Themen erscheinen mir - höchst subjektiv - besonders wichtig und erwähnenswert:
richterliche
Unabhängigkeit
Dieser Kernbereich
richterlicher Tätigkeit ist auf den ersten Blick nicht gefährdet, jedoch in
Deutschland mit einem strukturellen Mangel behaftet. Die Trennung der Dritten,
der Rechtsprechenden Gewalt, von der Legislative und insbesondere von der
Exekutive ist nicht überzeugend vollzogen. Die Justizministerien stehen an der
Spitze der Justizorganisation. In der Justizverwaltung haben die Richter wenig
zu sagen. Die Gerichte und insbesondere die Staatsanwaltschaften sind
hierarchisch dem Justizsenator bzw. dem
-minister zugeordnet, woraus sich vielfältige Abhängigkeiten und
Begehrlichkeiten ergeben. Wenn etwa ein bremischer Staatsrat die Richter als
seine leitenden Angestellten bezeichnet hat, widerspricht dies nicht nur
eklatant der Grundidee der Gewaltenteilung. Derartige Äußerungen zeigen gerade
die Notwendigkeit einer eigenständigen Justizorganisation.
Der Auftrag des Grundgesetzes, die Unabhängigkeit der Justiz den beiden anderen Staatsgewalten gegenüber zu stärken und zu behaupten, erfordert es, den bisherigen strukturellen Mangel zu ändern. In Europa ist dieser Prozess bereits weitgehend abgeschlossen. Der größte Teil der Mitgliedstaaten der EU hat sich für eine selbst verwaltete Justiz entschieden. Neben Deutschland haben lediglich Österreich und die Tschechei diesen Weg noch nicht konsequent beschritten. Sicher, es gibt Ansätze, die in die richtige Richtung weisen, etwa die Budgetierung und eine eigene Haushaltsverantwortung in bestimmten Grenzen. Dies ist aber zu wenig. Mit Veranstaltungen zum Thema Selbstverwaltung in der EU, Diskussionen mit wichtigen Journalisten und Gesprächen mit Politikern muss auch auf Landesebene versucht werden, die bisher eher akademische Diskussion in eine konkrete Phase zu überführen. Es muss endlich Allgemeingut werden, dass Richter kein Bestandteil der Verwaltung sind. Sie gehören der Dritten Gewalt an. Diese simple Feststellung kann nicht oft genug wiederholt werden, damit sie endlich von der Öffentlichkeit begriffen wird.
Ein Wort zu den Staatsanwälten: Ihnen kommt in der Diskussion um die Unabhängigkeit eine Sonderrolle zu. Sie – wie etwa in Italien - den Richtern gleichzustellen, widerspräche unserer Justizgeschichte. Sie sind aber kurz gefasst Bestandteil und Garant der unabhängigen Strafrechtspflege. Deshalb muss insbesondere das externe Weisungsrecht auf dem Prüfstand stehen.
Nicht nur nach Außen ist die Unabhängigkeit zu verteidigen und ihr Gehalt deutlich zu machen. Gleichzeitig gilt es, unseren jungen Kollegen den Rücken zu stärken. Sie zu begeistern für die Freiheit, die ihnen die Unabhängigkeit ihres Berufes garantiert. Sie aber gleichzeitig ständig zu sensibilisieren für die Verantwortung, die ihnen diese Freiheit aufbürdet. Die meisten unserer Kollegen haben dies wohl begriffen und üben ihr Amt souverän und stolz aus. Nur so ist das „Wunder“ zu erklären, von dem Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ in Bezug auf die Justiz gesprochen hat:
„Sie funktioniert noch, obwohl sie eigentlich gar nicht funktionieren dürfte. ... Sie funktioniert, obwohl die Arbeit zunimmt und die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden ... Sie funktioniert, obwohl die öffentlichen Ausgaben für die Justiz lächerlich gering sind. ... Es ist ein Wunder, dass die Qualität im Allgemeinen ganz ordentlich ist und die Verfahren im Allgemeinen kürzer sind, als man glaubt. ...“
Erklärung dieses Wunders ist das Engagement und die Qualifikation der Richter und Staatsanwälte.
Ausbildung
Diese Qualifikation gilt es zu sichern. Ausbildungsreformen haben Juristen überschüttet mit immer neuen Lehrinhalten. Ein Ende ist nicht abzusehen. Scheint Ruhe eingekehrt zu sein, werden neue Modelle vorgestellt. Interessant wird sein, wie und ob überhaupt der so genannte „Bologna-Prozess“ mit seinem Bachelor- und Master-Abschluss die Juristenausbildung in Deutschland nachhaltig beeinflussen wird. Neben strikter Ablehnung etwa durch die Justizministerkonferenz und Zustimmung durch die Lehre werden Sondermodelle entwickelt, wie das Spartenausbildungsmodell des Deutschen Anwaltvereins. Der Richterverein wird sich dieser Diskussion stellen müssen, denn es geht um unsere zukünftigen Kollegen, es geht um die langfristige Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Rechtsprechung. Qualifizierte Richter und Staatsanwälte sind aber nicht zum Nulltarif zu haben.
Gehalt
Ich will Sie nicht mit Zahlen langweilen, ich will auch nicht das hohe Lied der Verarmung meines Berufsstandes singen. Es ist aber im Interesse der Mitglieder des Hamburgischen Richtervereins, die Öffentlichkeit auf folgende Umstände hinzuweisen:
Von 1992 bis 2005 stiegen die Gehälter im Bereich Handel, Kredit und Versicherung um ca. 46%, die Besoldung der Richter und Staatsanwälte trotz ihrer meist höherwertigen Ausbildung nur um ca. 22%, wobei die letzte Erhöhung im Sommer 2004 erfolgte. Die Preise stiegen in diesem Zeitraum um ca. 32%.
Diese Zahlen sprechen für sich. Sie katapultieren Deutschland im europäischen Vergleich von immerhin 47 Staaten bei den Eingangsämtern der Richter auf den drittletzten und bei den Beförderungsämtern auf den letzten Platz. Diese Entwicklung ist bereits für sich genommen zutiefst besorgniserregend, wird aber im Zusammenhang mit der Föderalismusreform geradezu bedrohlich.
Mit der Föderalismusreform geht die Besoldungshoheit für die Richter und Staatsanwälte wie auch für die Beamte auf die 17 Bundesländer über. Es obliegt also jetzt dem Senat, für die Hamburger Richter und Staatsanwälte im Rahmen der gesonderten R-Besoldung dafür zu sorgen, dass sie der Bedeutung und Verantwortung ihres Amtes entsprechend alimentiert werden. Bei der Beurteilung einer angemessenen Besoldung ist der Gesetzgeber nicht völlig frei. Insbesondere ist es ihm in aller Regel für sich genommen nicht erlaubt, um Kosten zu sparen die Gehälter zu kürzen. Erinnert man sich an die eingangs genannten Zahlen, liegt es nahe, die Gehaltsentwicklung der letzten Jahre als eine Gehaltskürzungsentwicklung zu verstehen. Wohl gemerkt: Wir haben in der Vergangenheit Verständnis gehabt für verantwortungsbewusst ausgeübte Sparpolitik. Auch waren wir als Landeskinder nahezu ohnmächtig an die bundesrepublikanische Entwicklung angebunden. Jetzt aber ist das Ende der Fahnenstange erreicht.
Ich spreche hier für die zahlenmäßig unbedeutende Gruppe der Richter und Staatsanwälte. Wir haben keine Lobby in den Parlamenten, unser Selbstverständnis verbietet es zu demonstrieren, ja wir scheuen uns bereits, Resolutionen zu unterschreiben. Aber wir sind die Dritte Gewalt und damit trotz unserer geringen Zahl ein bedeutsamer Bestandteil des demokratischen Staates.
Nicht die Verteidigung von Standesprivilegien hat mich dieses Thema ansprechen lassen. Vielmehr treibt mich die Sorge um, wie lange wir bei dem jetzt gültigen Besoldungsgefüge noch den Nachwuchs bekommen, den wir brauchen, um die Qualität unserer Rechtsprechung zu sichern. Die Schere zu den Gehältern, die Spitzenjuristen in Großkanzleien oder in der Industrie als Anfangsgehälter geboten werden, klafft immer weiter auseinander. Wer unsere Eingangsgehälter vergleicht mit den nicht nur in Ausnahmefällen für Spitzenjuristen gebotenen 5.000 € monatlich in der freien Wirtschaft, muss sich wundern, dass sich immer noch Idealisten mit herausragenden Examina und persönlicher Eignung für den Justizdienst bewerben. Aber diese Bewerber drohen dann auszudünnen, wenn sich die Masse der Referendare verringert, die einen Arbeitsplatz suchen. Es steht dann zu befürchten, dass die Zahl der Spitzenjuristen als Bewerber für ein Richteramt zurückgeht. Erste Anzeichen scheint es schon zu geben, so stellt Niedersachsen inzwischen auch Bewerber ein, die mit „Befriedigend“ Examen gemacht haben.
Eine unangemessene Besoldung gefährdet damit mittelfristig die Qualität der Justiz, was unmittelbar Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Hamburg hat. Im Länderranking der Wirtschaftsinstitute und des Weltwirtschaftsforums ist der Schutz des Eigentums, der Urheberrechte und des Wettbewerbs durch eine schnelle, gerechte und hoch qualifizierte Rechtsprechung ein ganz wesentlicher Faktor. Deutschland liegt da auf Platz 1. Hamburg steht nicht zurück. Bisher garantieren die Hamburger Gerichte diese Faktoren durch hervorragende Leistungen. Wir sind schnell, ca. 90% aller Zivilsachen sind innerhalb von 12 Monaten erledigt; wir sind gut, weil bereits in der ersten Instanz die weit überwiegende Zahl aller Urteile rechtskräftig wird, und wir sind innovativ, weil die Computerisierung abgeschlossen ist und z.B. die gerichtliche Mediation eingeführt wird.
Derartige Leistungen im Bereich der Rechtsprechung entziehen sich einer leistungsorientierten Besoldung, wie sie seit September 2006 zur Begründung einer linearen Besoldungsanhebung um lediglich 1,9 % ab 1.1.2008 im Gespräch ist. Eine unterschiedliche Besoldung von Richtern mit gleichen Aufgaben steht der Exekutive nicht zu. Dies einzuführen widerspräche der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das festgestellt hat, jede vermeidbare Einflussnahme der Exekutive auf den Status des einzelnen Richters habe zu unterbleiben.
Wir fordern vom Senat die Beibehaltung der R-Besoldung und bieten an, gemeinsam vor einer Beschlussfassung über eine Besoldungsanpassung intensiv miteinander zu reden, um die Besonderheiten der Richterbesoldung angemessen zu berücksichtigen.
Die vergangenen Jahre waren häufig gekennzeichnet von wechselseitigem Misstrauen. Ich habe bereits in einem Interview betont, dass sich meiner Meinung nach das Klima zwischen Sievekingplatz und Drehbahn deutlich verbessert hat. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, ausdrücklich unsere Bereitschaft zu erklären, anstehende Probleme kollegial zu besprechen, um zu akzeptablen Lösungen zu kommen. Das wird nicht immer einvernehmlich möglich sein. Aber selbst dann, wenn wir mit getrennten Ansichten auseinander gehen, schaffen derartige Gespräche Verständnis und bauen Vertrauen auf. Darauf setze ich in der Zukunft. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Gerhard Schaberg