(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/06, 20) < home RiV >

Notar und Richter

Am 22. Juni wird das Institut für die Geschichte der deutschen Juden im Warburghaus ein Symposion über Gabriel Riesser veranstalten (Näheres in unserem Veranstaltungskalender). Prof. Dr. Peter Rawert hat es übernommen, über diesen Hamburger Notar, Politiker und Richter zu berichten. Der letzte Satz dieses Berichts verschafft mit seiner Anspielung auf die kürzliche Kontroverse bezüglich der Notarordnung aktuelle Bezüge.

Rawert ist Notar in Hamburg und Partner des Notariats Ballindamm, der immer noch bestehenden Sozietät von Gabriel Riesser. Während Riesser ein zum Richter gewordener Notar war, gibt es heute in Hamburg zu Notaren gewordene Richter (Dr. Til Bräutigam und Daniel Großer). Und nach dem Eintritt in den Ruhestand scheint es heute manchen Richter in den Dienst von Notaren zu ziehen. Zum Thema „Richter im Judentum“ sei erinnert an Schroeder, MHR 1/2005, 29.

Wolfgang Hirth

Zum 200. Geburtstag

Gabriel Riesser’s

In Hamburg-Hamm - unweit der Sievekingsallee - erinnert noch ein Straßenschild an ihn: "Dr. G. Riesser, Obergerichtsrat, Vizepräsident der Nationalversammlung und der Bürgerschaft". Aber sonst scheint man ihn in der Hansestadt fast vergessen zu haben, den Sproß einer alten Rabbinerfamilie, der es vom einst glücklosen Juristen zum ersten deutschen Juden in einem unabhängigen Richteramt brachte.

Gabriel Riesser wird am 2. April 1806 in Hamburg geboren. Der Vater arbeitet anfangs als Sekretär des jüdischen Gerichts in Altona. Später läßt er sich allerdings als Kaufmann in der Hansestadt nieder. Dort schickt er seinen Sohn Gabriel auf das Johanneum. Der Junge macht ein glänzendes Abitur. 1824 nimmt er das Studium der Rechte auf. Er hört in Kiel sowie in Heidelberg und wird schon 1826 zum Doktor promoviert.

Es folgen Jahre des Ringens um berufliche Anerkennung. Riesser faßt zunächst eine Habilitation ins Auge. Heidelberg verweigert ihm jedoch die Ernennung zum Privatdozenten. Vordergründig heißt es, alle Stellen seien besetzt. In Wahrheit ist es Riessers Glaubensbekenntnis, das ihn in den Augen der Hochschule disqualifiziert. Ähnliches widerfährt ihm wenig später in Jena.

1829 unternimmt Riesser den Versuch, beim Senat in Hamburg die Zulassung zur Advokatur zu erwirken. Sie setzt das Bürgerrecht voraus, welches er als Jude nicht besitzt. Deshalb argumentiert er, daß Juden das Privileg der Gleichbehandlung zumindest während der napoleonischen Besetzung Hamburgs (1811-1814) bereits genossen hätten und Artikel 16 der Bundesakte bestimme, daß ihnen „von den einzelnen Bundesstaaten bereits eingeräumte Rechte“ erhalten bleiben müßten. Den Senat beeindrucken solche Subtilitäten nicht. Man ist nicht bereit, Riesser „Bestandsschutz“ zuzubilligen. Sein Gesuch wird rundum abgelehnt.

Riesser ist außer sich. Er fühlt sich diskriminiert. Aus Not und Ärger beschließt er, einstweilen Schriftsteller und Journalist zu werden. 1831 erscheint seine erste Abhandlung über die „Stellung der Bekenner des mosaischen Glaubens in Deutschland“, der über die Jahre zahllose weitere Emanzipationsschriften folgen. 1832 gründet er die Zeitschrift „Der Jude“ als periodisches Blatt für „Religions- und Gewissensfreiheit“. Und seine Position ist eindeutig. Juden sind eine Religionsgemeinschaft und keine Nation: „Wir sind entweder Deutsche oder wir sind heimatlos.“ Das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am politischen Leben muß auf Glaubens- und Gewissensfreiheit gründen, und nicht auf der christlichen Taufe: „Was sich dem lukrativen Übertritt zum herrschenden Glauben in unseren Zeiten entgegenstellt, ist der Grundsatz der Wahrheitsliebe und der Rechtlichkeit, daß die Lippen nicht bekennen sollen, was dem Herzen fremd ist.“

Zehn Jahre schreibt und agitiert Riesser. Der Wunsch, den erlernten Beruf des Juristen auszuüben, bleibt allerdings bestehen. Und nicht zuletzt sucht Riesser auch nach materieller Sicherheit. Ende 1839 kommt die Chance. In Hamburg stirbt Meyer Israel Bresselau. Die Franzosen hatten den Juden 1811 zum Notar bestellt. Er war es geblieben, obschon er nach ihrem Abzug das Bürgerrecht verloren und die Notariatsordnung von 1815 es zur Voraussetzung für eine Bestallung zum Notar gemacht hatte. Riesser bewirbt sich. Wieder wird diskutiert, ob er sein Verlangen auf Artikel 16 der Bundesakte stützen kann. Erneut wird das verneint. Aber diesmal nehmen die Dinge eine überraschende Wende. Zwar ist der Senat nicht bereit, der Bürgerschaft einen vollständigen Verzicht auf die Bürgerrechtsklausel der Notariatsordnung vorzuschlagen. Soviel Emanzipation der Juden sei „noch nicht wünschenswert“. Aber es kommt zur Verabschiedung einer Ausnahmeregelung, nach der „künftig hin auch ein oder zwei Mitglieder der hiesigen israelitischen Gemeinde, wenn sie sonst dazu qualifiziert wären, Notare werden könnten“ – eine „Lex Riesser“, die am 25. September 1840 zu seiner Vereidigung und Zulassung als Notar führt.

Riesser ist jetzt 34 Jahre alt. Endlich hat er einen Beruf, der ihm regelmäßige Einkünfte und eine bürgerliche Existenz sichert. Zwar ist er nicht aus Neigung Notar geworden. An die tägliche Routine kann er sich nie gewöhnen. Aber man bescheinigt ihm "Fleiß, unverbrüchliche Verschwiegenheit und klare Einsicht". Zum großen Kreis seiner Klienten zählt nicht zuletzt Salomon Heine, gegen dessen Neffen Heinrich er allerdings eine tiefe Abneigung hegt. Riesser mißbilligt es, wenn Juden sich das "Entreebillet zur europäischen Kultur" (Heine) durch die Taufe erkaufen. Offenbar fordert er Heine 1841 sogar zum Duell heraus, weil der Dichter Freunde Riessers verspottet hat. Der geplante Kampf findet zwar nie statt. Die Antipathie allerdings bleibt zeitlebens. Als nach Salomon Heines Tod ein erbitterter Streit um dessen Erbe beginnt, mutmaßt Heinrich Heine gar, der Notar Riesser „dieser Shylock“ habe ihm „… bey dem Testamente meines Oheims das gewünschte Pfund Fleisch unter dem Herzen herausgeschnitten“.

Riessers große Stunde kommt im März 1848. Die Franzosen verjagen ihren „Bürgerkönig“. Die revolutionären Erschütterun-gen greifen auf Deutschland über. Riessers Eintreten für die Judenemanzipation prädestiniert ihn für einen Sitz im Frankfurter Vorparlament. Schon im April des Jahres bewirbt er sich in Hamburg um ein Mandat für die Paulskirchen-Versammlung. Die Kandidatur in seiner Heimatstadt scheitert zwar, aber das Herzogtum Lauenburg will ihn als seinen Abgeordneten entsenden.

 

Riesser nimmt das Mandat an. Seine erste große Rede hält er am 29. August. Zur Abstimmung steht § 13 der Grundrechte: Das religiöse Bekenntnis soll die Rechte des Einzelnen künftig weder bedingen noch beschränken dürfen. Als ein süddeutscher Abgeordneter den Ergänzungsantrag stellt, die „eigenthümlichen Verhältnisse des israelitischen Volksstammes“ einer „besonderen Gesetzgebung“ zu überlassen, kontert der liberale hamburger Jude: „Glauben Sie nicht, daß sich Ausnahmegesetze machen lassen, ohne daß das gesamte System der Freiheit einen verderblichen Riß erhalte … Es ist Ihnen vorgeschlagen, einen Theil des deutschen Volkes der Intoleranz, dem Hasse als Opfer hinzuwerfen; das aber werden Sie nimmermehr thun meine Herren!“

 

Riesser erfährt Zuspruch und kann sich durchsetzen. Sein Ansehen in der Nationalversammlung ist groß. Im Oktober 1848 wird er zum „Zweiten Vizepräsidenten“ des Hauses gewählt. Zum Höhepunkt seines parlamentarischen Wirkens wird indes die „Kaiser-Rede“, die er als Berichterstatter des Verfassungsausschusses am 21. März 1849 hält und in der er die konstitutionelle Monarchie und das preußische Erbkaisertum fordert: „Ich rufe Ihnen zu, krönen Sie Ihr Werk, erfüllen Sie den alten edlen Traum des deutschen Volkes von seiner Einheit, Macht und Größe, fassen Sie einen großen, rettenden weltgeschichtlichen Entschluß!“ Das Parlament tut es. Überdies wählt es Riesser in die Deputation, die Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die Krone anträgt. Der König freilich lehnt ab, nennt die Krone später gar höhnisch „von Bäckers und Metzgers Gnaden“. Riesser ist tief enttäuscht. Am 26. Mai 1849 erklärt er seinen Austritt aus der Nationalversammlung. Kurz darauf erfolgt ihre Zerschlagung.

 

Zurück in Hamburg nimmt Riesser den Notarberuf wieder auf. In seiner Heimatstadt hat sich die Lage inzwischen verändert. Bereits im Februar sind die deutschen Grundrechte Gesetz geworden. Die Gleichstellung der Juden ist anerkannt. Riesser kann endlich Bürger der Hansestadt werden. Politisch wird es zunächst stiller um ihn. Er beginnt ausgedehnte Reisen, die ihm Stoff für Vorträge und Aufsätze liefern. Die Ruhe währt allerdings nicht lange. 1859 kommt es in Hamburg zur Verfassungsreform. Die Bürgerschaft – bislang Versammlung der Haus- und Grundbesitzer - wird zur Volksvertretung. Riesser, der den Notarberuf inzwischen aufgegeben hat, wird zu ihrem Mitglied und Vizepräsidenten gewählt. Als im Jahr darauf eine Stelle am nunmehr vom Senat getrennten und damit unabhängigen Hamburger Obergericht zu besetzen ist, fällt die Wahl auf ihn. Aus dem Juden und Altachtundvierziger, dem man einst die Zulassung zur Advokatur verwehrt hat, ist einer der höchsten Richter der Stadt geworden. Mit Genugtuung stellt er fest, „… daß die große Sache der Religionsfreiheit durch diesen Vorgang gefördert“ wird.

 

Riesser stirbt am 22. April 1863. Das Marmorrelief auf seinem Grabmal in Ohlsdorf zeigt symbolhaft den Sieg der Wahrheit über die Lüge. Zu seinem hundertsten Todestag wird Riesser 1963 vom Senat der Hansestadt in einer Feierstunde geehrt. Der damalige Justizsenator Biermann-Ratjen – vormals auch Notar – rühmt seine innere Freiheit, seine Gradlinigkeit und seinen Kampfesgeist. Es stimmt: Gabriel Riesser hat nie gekuscht.

Peter Rawert