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Zur Föderalismusreform

 

Im Rahmen der weit gespannten Diskussionen um die so genannte Föderalismusreform hat auch der Deutsche Richterbund im Interesse einer funktionsfähigen Justiz seine Stimme erhoben und durch Einbeziehung nicht nur der Justizministerien, sondern auch der letztlich maßgebenden Entscheidungsträger, nämlich der Bundestagsabgeordneten, versucht, jedenfalls in den für die Justiz entscheidenden Teilbereichen eine Kompetenzverlagerung auf die Länder zu verhindern, indem er in einem Schreiben an alle Bundestagsabgeordneten auf nachteilige Auswirkungen hingewiesen hat.

 

Zur Unterstützung dieser Bemühungen diente eine einheitliche „Briefaktion" der Landesverbände an die Abgeordneten der jeweiligen Länderparlamente. Dementsprechend hat sich auch der Hamburgische Richterverein in einem persönlich adressierten Schreiben (vgl. nachstehenden Text) an die Mitglieder der Bürgerschaft gewandt.

 

Zahlreiche Parlamentarier, vor allem die Fraktionsvorsitzenden, haben in ihren Antwortschreiben das Engagement des Hamburgischen Richtervereins begrüßt und zum Teil eine Übereinstimmung in den Zielvorstellungen zum Ausdruck gebracht, jedenfalls aber stets eine sorgfältige Prüfung der Argumente zugesagt.

 

Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen die breit angelegte Überzeugungskampagne haben wird.

 

Inga Schmidt-Syaßen

 

 

Brief an die Abgeordneten
der Bürgerschaft

 

Hamburg, 31. März 2006

Sehr geehrte Damen und Herren,

in Abstimmung mit dem Deutschen Richterbund unternehmen die Vereinigungen der Richter und Staatsanwälte in den Bundesländern gemeinsame Bemühungen, um eine sachgerechte parlamentarische Behandlung der schwierigen Probleme im Zusammenhang mit der Föderalismusreform zu erreichen.

Die parlamentarischen Beratungen zu diesem Reformvorhaben haben am 10. März der Föderalismusreform mit der ersten Lesung in Bundestag und Bundesrat begonnen. Auf den Gesetzentwurf haben sich Politiker der Regierungsfraktionen und der Bundesländer geeinigt. Diese politische Einigung darf indes die gründliche parlamentarische Auseinandersetzung mit den Inhalten der Reform nicht ersetzen. Eine Reform im Schnelldurchlauf mit nur einer Expertenanhörung von Bundestag und Bundesrat widerspricht den bewährten Grundsätzen eines demokratisch legitimierten parlamentarischen Verfahrens.

Im Gesetzgebungsverfahren muss nachgewiesen werden, dass die einzelnen Regelungen sachlich begründet, notwendig und angemessen sind und – vor allem – das angestrebte Ziel auch verwirklichen. Als Interessenvertreter der Richter und Staatsanwälte in Deutschland, zugleich aber auch als Wähler appellieren wir an Sie, dass Sie als Mitglied der Bürgerschaft unbeeindruckt von terminlichen Vorgaben die Sachprobleme umfassend beraten und den Senat auffordern, dies auch im Bundesrat zu tun.

Der Deutsche Richterbund anerkennt und unterstützt die Pläne der Bundesregierung, durch eine Reform der bundesstaatlichen Ordnung die Gesetzgebung zu entflechten und die Gestaltungsrechte des Bundestages zu stärken. Wir sehen auch, dass dies nur möglich ist, wenn Bund und Länder gleichermaßen Zugeständnisse zu machen bereit sind. Gesetzgebungsblockaden zwischen Bund und Ländern werden jedoch nicht verhindert, wenn den Ländern Kompetenzen eingeräumt werden in Bereichen wie Beamtenrecht und Strafvollzug, in denen eine Zersplitterung des Rechts in Kleinstaaterei den Bemühungen um europäische Rechtsharmonisierung, der Notwendigkeit der Rechtseinheitlichkeit in Deutschland und dem Abbau von Bürokratie widerspricht. Eine Reform des Föderalismus ist kein Rechenexempel.

Es ist nicht nachvollziehbar, wenn etwa die Gesetzgebungskompetenzen für den Strafvollzug und die Besoldung für Richter und Staatsanwälte vom Bund auf die Länder
übertragen werden, nur um ein vermeintliches, rein rechnerisches Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen im Gesamtpaket der Reform zu halten, obwohl es nur wenige Befürworter dieser Kompetenzverlagerungen in den Ländern, jedoch zahlreiche Kritiker in Bund, Ländern und Fachkreisen gibt. Sachliche Gründe dafür wurden bis heute nicht nachgewiesen, dagegen gibt es jedoch zahlreiche Argumente, auf die nicht nur der Deutsche Richterbund immer wieder hingewiesen hat:

·      Eine Verlagerung der Regelungskompetenz für den Strafvollzug auf die Parlamente der Bundesländer konterkariert nicht nur das notwendige und anerkannte politische Bemühen, auf europäischer
Ebene die Standards für den Strafvollzug zu vereinheitlichen. Es widerspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das in mehreren Urteilen das Ziel des Strafvollzugsgesetzes bestätigte, bundeseinheitliche Regelungen zu schaffen in einem neuralgischen Bereich, in dem es immer auch um die Grundrechte der Inhaftierten geht. Zudem besteht die Gefahr, dass in den Ländern wahltaktisch und fiskalisch motivierte Erwägungen den gesetzlichen Rahmen für den Strafvollzug bestimmen. Dies würde die Sicherheit der Bevölkerung und auch den verfassungsrechtlich verankerten Resozialisierungsauftrag gefährden.

·      Eine Verlagerung der Regelungskompetenz für die Besoldung der Richter und Staatsanwälte gefährdet die Qualität und Einheitlichkeit der Rechtsprechung in Deutschland, denn finanzschwache Bundesländer werden versuchen, bei der Besoldung zu sparen und werden dadurch weniger qualifizierten Nachwuchs einstellen können als andere Länder.

·      Die Gesetzgebungskompetenzen für diese Bereiche bleiben für Hamburg nicht ohne Folgen. Die Freie und Hansestadt wird sich in zunehmendem Maße dem Wettbewerb gegenüber anderen Ländern stellen müssen. Die unterschiedliche Finanzkraft der Bundesländer kann zu einem Qualitätsgefälle in der Justiz führen, weil einige Länder einen fiskalpolitischen Vorteil darin sehen könnten, beim Justizhaushalt zu sparen, der – inklusive Strafvollzug – ohnehin nur 2,5 bis 2,8 Prozent der Länderhaushalte ausmacht. Die Verfassung garantiert jedoch jedem Bürger, egal, wo er wohnt, das gleiche Recht auf rechtliches Gehör und betont außerdem die gesamtstaatliche Bedeutung der Justiz als dritte Säule in unserem gewaltengeteilten Staat. Sie kann deshalb nicht als Manövriermasse von Legislative und Exekutive dem föderalen Wettbewerb der Bundesländer überlassen werden.

·      Zahlreiche Experten und bis vor kurzem auch zahlreiche Politiker – unter anderem die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries – haben eine Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz bisher mit deutlichen Worten kritisiert.

·      Bitte nehmen Sie diese Kritik ernst. Es geht um eine Reform, die wie niemals zuvor seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland in die Grundstrukturen unserer Verfassung eingreift.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Inga Schmidt-Syaßen