(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/06, 13) < home RiV >

Kurzfassung eines Schreibens des DRB-Vorsitzenden aus NRW – Jens Gnisa - an Herrn Gabor Steingart vom Spiegel, veröffentlicht in RiStA NRW 1/2006, 12:

 

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Kosten der Justiz im

internationalen Vergleich

 

Immer wieder wird erklärt, die Kosten der deutschen Justiz seien auch im internationalen Vergleich zu hoch, so auch bei Steingart (DER SPIEGEL), „Deutschland – Der Abstieg eines Superstars“. Zu lesen ist auf Seite 96 des o. a. Buches:

„Viele (gemeint: die Staatsbediensteten) sind sogar eher hinderlich, wenn es darum geht, dass ökonomisches Leben sich entfalten kann. Die Bundesrepublik leistet sich mit 21.000 Richtern sechsmal mehr als Großbritannien, was weniger dem Rechtsfrieden dient als der Verlangsamung des Wirtschaftslebens. Zumindest diese Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sind in doppelter Hinsicht eine Last, was bei aller Sympathie für den fürsorglichen Staat nicht übersehen werden darf. Sie belasten mit ihren Löhnen das Staatsbudget und mit ihrem Instanzenweg saugen sie einen Teil der Gewinne aus den Firmen ab, in Form von Geld und Arbeitszeit.“

Diese Ansicht wird nicht nur der Qualität unserer Justiz nicht gerecht, sondern es wird eine Gesamtschau der verschiedenen Rechtssys­teme Deutschlands und GB’s außer Acht gelassen. Um uns nicht dem Vorwurf auszusetzen, wir betrieben das übliche „Lobbygeheule“, wird zunächst auf die Studie „European Judicial Systems 2002“ des insoweit unverdächtigen Europarates Bezug genommen. Kosten p.a und Einwohner: in Deutschland 58,74 €, in GB 70,69 €.

Im o.g. Buch wird darauf verwiesen, dass die Richter mit ihren Löhnen den Steuerzahler belasten. Nicht die Anzahl der Richter ist jedoch relevant, sondern die Kosten für die Richtergehälter und die Gesamtausgaben für die Justiz. Das Anfangsgehalt eines britischen Richters ist immerhin rund 5-mal und das Endgehalt rund 3-mal so hoch wie in Deutschland. In Deutschland wird p.a. ein Betrag von   53,15  €  

pro  Einwohner  für  die  Justiz ausgegeben; in GB         16,89 €.

Dies erscheint nur auf den ersten Blick ungünstig: In Deutschland führt der Richter das Verfahren selbst (Aktenstudium, Terminvorbereitung und ‑durchführung einschließlich Beweiserhebungen). Anschließend schreibt er das Urteil selbst (leider häufig im wörtlichen Sinn).

Der Richter in GB hat das Verfahren nicht vorzubereiten, hierfür ist der Clerk (statistisch kein Richter) zuständig. Der Richter leitet nur die Sitzung, in der ihm die Parteien den Sachverhalt einschließlich der von den Anwälten erhobenen Beweise präsentieren. Er entscheidet ohne schriftliche Begründung. Derartig entlastete Richter können mehr Fälle entscheiden.

Die Anwälte spielen in GB eine viel größere, aber auch kostenträchtige Rolle. So ist es zu erklären, dass

in Deutschland für PKH          5,59 €,

demgegenüber in GB       53,80 €

je Einwohner ausgegeben werden.

Die Gesamtbilanz der Justiz lautet damit:

Kosten p.a. und Einwohner:

in Deutschland                   58,74 €,

in GB                                   70,69 €.

Qualitätsindikator: Verfahren p. a. je 100.000 Einwohner:

Deutschland         3.381

England                6.230

Es wird weiter in dem Buch behauptet, dass die Justiz zu einer Verlangsamung des Wirtschaftslebens beitrage; mit dem Instanzenweg sauge sie einen Teil der Gewinne aus den Firmen ab und zwar in Form von Geld und Arbeitszeit (leider auch hier ohne Zahl oder auch nur die Spur eines Nachweises).

Die Zahlen belegen demgegenüber deutlich, dass es keinen Missbrauch der Rechtsmittelinstanzen in Deutschland gibt. Nur 5 % der vor den Amtsgerichten und 13,7 % der vor den Landgerichten geführten Zivilverfahren gehen in Berufung, was für die Qualität der richterlichen Arbeit spricht.

Auch international steht Deutschland insoweit gut da (Tabelle 25; S. 40), auch bei der Gesamtzahl der Prozesse je 100.000 Einwohner: In Deutschland fallen 3.381 Verfahren an, in GB 6.230!

Dies liegt u.a. an der unterschiedlichen Rechtskultur. In Deutschland werden die Prozesse von Juristen qualifiziert vorbereitet, sorgsam durchgeführt und begründet, um nicht nur Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen, sondern auch Rechtssicherheit.

Die deutsche Justiz mag für das einzelne Verfahren teurer sein, doch ist es sozial und wirtschaftlich mehr wert. Der Wirtschaftverkehr erhält die notwendige Klarheit und kann entsprechend disponieren.

Demgegenüber wird in GB auf diesen Gesichtspunkt weniger Wert gelegt, die Entscheidung des Rechtsstreits ist hier wichtiger als die Rechtssicherheit. In Deutschland hat ein normaler Liefervertrag in der Wirtschaft etwa zehn Seiten, der Kaufvertrag über gleiche Gegenstände nach anglo-amerikanischem Recht aber über 50 Seiten. Dies ist in GB geboten, da die Rechtsprechung eben nicht für alle erforderlichen Rahmenbedingungen sorgt.

Fehlende Rechtssicherheit schöpft Geld und Arbeitszeit der Unternehmen ab, wie auch an der Zahl der RAe nachgewiesen werden kann. So kommen in Deutschland – trotz des drastischen Anstiegs in den letzten Jahren – 14,1 RA’e auf 10.000 Einwohner, in GB jedoch immerhin 19,7 (Tabelle 44, S. 57).

Niemand kann deshalb ernsthaft behaupten, die deutsche Wirtschaft gebe mehr Geld für das Recht aus, als die amerikanische oder britische Konkurrenz. Dies ist übrigens keine Einschätzung des DRB, sondern die der Wirtschaft. Probleme bereitet der Wirtschaft nicht die Justiz, sondern die Überreglementierung durch immer neue Vorschriften und die damit verbundene Bürokratie:

·      254 neue Gesetze netto in der letzten Legislaturperiode allein auf Bundesebene,

·      jetzt über 110.000 Einzelvorschriften im Bund,

·      das in seiner Detailversessenheit geradezu absurde deutsche Steuerrecht, das selbst Volljuristen nicht mehr vernünftig handhaben können.

Die Schuld liegt natürlich nicht allein beim Gesetzgeber. Auch die Justiz mag in dem Bestreben, mehr Einzelfallgerechtigkeit zu erreichen, das Recht zu stark verkompliziert und damit Freiräume übermäßig eingeschränkt haben. Das Problem der Überreglementierung werden alle zu diskutieren haben – aber nicht auf der Basis plakativer Vorurteile, sondern unter Zugrundelegung objektiver Fakten. Es hätten natürlich viel früher umfassende Reformen eingeleitet werden müssen.

Der DRB NW hat bereits im Jahr 2003 in dem Papier „10-Punkte aus der Praxis“ der Politik Vorschläge unterbreitet, auf welchem Weg die Effektivität der Justiz gesteigert werden kann. Diese Vorschläge sind z.T. von der JM-Konferenz im Juni 2005 übernommen worden. Auch der Bundesverband des DRB hat in 2005 ein Positionspapier zur Justizreform vorgelegt.

In dem Bestreben, die Krise zu überwinden, wird oft schon dann das Denken eingestellt, wenn etwas im Ausland anders gemacht wird. Dies gilt dann als per se besser. Neben den unzweifelhaft notwendigen Reformen ist es aber auch geboten, die Dinge, die in Deutschland besser als im Ausland sind, auch offensiv zu vertreten. Hierzu zählt die Justiz, die aber ihre Eigenschaft als Standortfaktor zu verlieren droht, wenn sie weiter kaputtgespart wird und dann noch allenthalben ohne Grund angegriffen wird.

Jens Gnisa