(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/05, 27) < home RiV >

 Und sie leben doch ...

die Schildbürger!

 

Lebend trifft man sie in der Hamburger Justizverwaltung; von ihren vortrefflichen Taten wollen wir berichten:

 

Um dem Bürger das segensreiche Wirken der Justiz besser vor Augen zu führen, wurden zwei mittelgroße Amtsgerichte in bevölkerungsreichen Stadtteilen neu eingerichtet, wenn auch nur in leerstehenden Büroräumen, die so einer ansehnlichen Nutzung zugeführt wurden; ein starkes Signal der Ermutigung für die Büroinvestoren.

 

Natürlich können solche Räumlichkeiten nicht perfekt auf die Bedürfnisse der Justiz zugerichtet sein, wie sich bei dem Fehlen von Arrestzellen für die Strafjustiz zeigt.

 

Wie fast immer wohnt auch diesem Nachteil ein Vorteil inne: erhält der in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte auf diese Weise eine, wenn auch nur kurze, Stadtrundfahrt im Taxi, zwar mit nicht erwünschter Begleitung, aber zur Hauptverkehrszeit! Die wird als durchaus bedeutsamer Beitrag zur Milderung der Haftbedingungen gesehen.

 

Es wird auch klaglos hingenommen, dass Hauptverhandlungen des öfteren ausfallen müssen, weil zwar eine ausreichende Zahl von Taxen zur Verfügung steht, jedoch die Zahl der Zuführbediensteten noch nicht angepasst wurde; hier sollte Privatinitiativen Raum gegeben werden.

 

Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass der Ausfall einer Hauptverhandlung von den Angeklagten gewöhnlich als wohltuend empfunden wird. Auf der anderen Seite ist den Justizverwaltern mit dieser Einrichtung ein fühlbarer Beitrag zur Förderung des Kleingewerbes, nämlich der Taxenunternehmer, gelungen.

 

Die Einrichtung von zwei weiteren Familiengerichten, deren Zahl in Hamburg sich dann auf acht erhöht, wovon drei als mittelgroß, die restlichen eher als klein bezeichnet werden können, gibt der Anwaltschaft Gelegenheit, die Schönheit unserer Vaterstadt in Augenschein zu nehmen, wird sie doch zukünftig ihre Vormittage mit Stadtrundfahrten verbringen dürfen.

 

Lobenswert ist auch das Bestreben der Justizverwaltung, die schon vielfach spezialisierten Richter aus der Einförmigkeit ihrer Tätigkeit zu erlösen.

 

Idealtypisch wird folgender Ablauf eines Verhandlungstages empfohlen:

 

Als erste Sache wird eine Strafsache verhandelt, sie gibt Gelegenheit, die Autorität des Richters zu demonstrieren. Diese Wirkung könnte mit einer zweiten Strafsache verstärkt werden.

 

Dem sollte sich eine Familiensache anschließen, bei der sich die in der Strafverhandlung demonstrierte Autorität günstig auswirken sollte.

 

Danach wäre – bei Bedarf – eine Mietsache zu verhandeln, hat diese doch vielfach familienbezogene Aspekte.

 

Anschließend wäre Platz für die Zivilsachen.

 

Regelmäßige Verhandlungstage mit einem solchen Ablauf würden eine ungeheure Flexibilität der Hamburger Amtsrichter bewirken; jeder kann immer alles!

 

Wenig Bedeutung gewinnt in diesem Zusammenhang die zunehmende Spezialisierung der Anwaltschaft; es muss den Amtsrichter nicht stören, dass der Anwalt möglicherweise kenntnisreicher als er ist, hat er doch das letzte Wort, was kürzlich die ZPO-Reform betont hat.

 

Schon jetzt halten die Justizverwalter die Ausrüstung der Richterhandbibliotheken mit aktuellen Kommentaren zu Recht für eine entbehrliche Geldausgabe.

 

Das liegt ganz auf der Linie eines Verfassungsrechtlers aus Hamburg, der den sich über die Arbeitsmengen beklagenden Amtsrichtern empfahl, doch Mut zu Fehlern zu haben, ein durchaus zu begrüßender Appell.

 

Die bei der Aufteilung des Familiengerichts als erforderlich angesehene Aktenverteilung soll so durchgeführt werden, dass die verbleibenden und umgesetzten Richter Akten von mehr als zwanzig verschiedenen Richtern erhalten, eine großartige Möglichkeit, von den Kollegen zu lernen und eigenes Tun zu überprüfen. Auch die Vertiefung graphologischer Kenntnisse dürfte ein nicht unerwünschter Nebeneffekt sein.

 

Im Hinblick auf die durchschlagende Plausibilität dieser Maßnahmen brauchten Gegenargumente nicht berücksichtigt zu werden.

 

Auch in Teilen der Richterschaft wurden diese mutigen Entscheidungen begrüßt, haben sie doch eine stattliche Anzahl von Beförderungsstellen erzeugt. Sie bescherten einigen Richtern nicht nur ein höheres Gehalt, sondern auch eine erhebliche Freistellung von eigentlicher Berufsarbeit, die dann die anderen machen müssen.

 

Insgesamt ist es bewunderungswürdig, wie eine kleine Gruppe von Justizverwaltern sich unerschrocken dem Zug zu einem großen einheitlichen Eingangsgericht, besetzt mit spezialisierten Richtern, entgegenstemmt ohne Rücksicht auf Kosten, Arbeitsbedingungen und die Frustrationen der Anwaltschaft, und – vielleicht typisch hamburgisch – kleine, bescheiden ausgestattete Amtsgerichte durchsetzt.

 

Reiner Plorin