Über das Dasein
eines
Richters als Hiwi am BVerfG
1.
Die Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesverfassungsgericht gehört zu den weniger bekannten Verwendungen deutscher Juristen.
Kein Gesetz, sondern nur die Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts kennt die wissenschaftlichen Mitarbeiter und beschreibt in undeutlichen Worten ihre Rolle.[1] In den verfassungsgerichtlichen Entscheidungen spielen sie keine Rolle - naturgegebenermaßen, haben sie doch viele davon selbst vorbereitet.[2] Die Literatur befasst sich mit ihnen nur am Rande.[3] Und sie selbst haben in der Öffentlichkeit bislang wenig über sich und ihre Arbeit berichtet, sondern nur mit einer gewissen Freude Interna über die Arbeit am höchsten deutschen Gericht ausgeplaudert oder Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in eine künstlerisch wertvolle Form gebracht.[4]
Wieviel mehr stehen dagegen die wissenschaftlichen Mitarbeiter eines ebenfalls in Karlsruhe ansässigen obersten Gerichtshofs des Bundes in der Öffentlichkeit, verfügen sie doch nicht nur über einen Internet-Auftritt, sondern auch über eine eigene Festschrift.[5] Und die Mitarbeiter am benachbarten Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verfügen sogar über einen ausdrücklichen völkerrechtlichen Status.[6]
2.
Typischerweise wird für die wissenschaftlichen Mitarbeiter die Abkürzung „Hiwi“ verwendet. Sie heißt eigentlich „Hilfswilliger“ und ist an sich geschichtlich belastet.[7] Sie sagt aber Einiges über die Rolle der Mitarbeiter aus. Fast liebevoll ist sie, und dies trifft in besonderer Weise auf die Hiwis beim Bundesverfassungsgericht zu: Sind sie doch - anders als die wissenschaftlichen Mitarbeiter der obersten Gerichtshöfe des Bundes - einem Bundesverfassungsrichter persönlich zugewiesen und arbeiten ausschließlich für ihn, sodass sich eine enge Beziehung zwangsläufig ergibt.
Gleichwohl sind die Hiwis Zuarbeiter, in persönlicher und inhaltlicher Sicht abhängig. Sie arbeiten die Akten der anhängigen verfassungsgerichtlichen Verfahren durch, verfassen darüber Sachberichte und Entscheidungsvorschläge für „ihren“ Richter und diskutieren sie mit ihm. Sie müssen aber auch, wenn der Richter oder sogar erst die Kammer oder der Senat anderer Auffassung sind als sie selbst, Entscheidungsentwürfe schreiben, die nicht ihrer Auffassung entsprechen.
Trotz dieser Abhängigkeit ist der Einfluss der Hiwis groß: Vor allem wegen der chronischen Überlastung des Gerichts[8] können die Richter die Akte und vor allem die gelegentlich beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens oft nicht selbst vollständig durcharbeiten.[9] Der Sachbericht und der Vorschlag des Mitarbeiters bestimmt daher oft die Entscheidung, vor allem bei den Beschlüssen der Kammern und hier vor allem, wenn der Mitarbeiter auf Unzulässigkeit plädiert hat. Nicht umsonst wird die Mitarbeitergesamtheit auch „Dritter Senat“ genannt und in ihrer Rolle vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG kritisiert.[10]
3.
Die Arbeit als Hiwi liegt inhaltlich zwischen wissenschaftlicher und richterlicher Tätigkeit. Bei den Verfassungsbeschwerden sind zunächst die Voraussetzungen für eine Annahme nach § 93a Abs. 2 BVerfGG zu überprüfen.[11] Diese leiten über das Merkmal der hinreichenden Erfolgsaussicht über zu den - inzwischen zahlreichen - Zulässigkeitskriterien und zur Begründetheit. Erst hier beginnt eine inhaltliche, verfassungsrechtliche Prüfung. Bei den Verfassungsbeschwerden sind vielleicht zu gleichen Teilen Gerichtsentscheidungen allein auf Verletzungen der Verfahrensgewährleistungen und des Willkürverbots und Gesetze auf ihre materielle - und gelegentlich - formelle Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Die Arbeit besteht zunächst in der Aufbereitung des Sachverhalts und der einfachrechtlichen Lage, die oftmals umfangreich und unübersichtlich genug ist. Sodann folgt die Recherche in der eigenen Spruchpraxis des Gerichts, in sonstiger, gelegentlich ausländischer Judikatur, im Schrifttum und in den Gesetzesmaterialien, die allerdings oft wenig Erhellendes bieten. Ergibt sich ein Anhaltspunkt dafür, das Verfahren könnte mit einer stattgebenden Entscheidung - oder überhaupt mit einer Entscheidung eines Senats - enden, dann ist die Verfassungsbeschwerde oder die Richtervorlage den jeweils beteiligten Staatsorganen und den weiteren Beteiligten des Ausgangsverfahrens zuzustellen. Nur bei diesen Zustellungen und bei der Vorbereitung der seltenen mündlichen Verhandlungen kommt der Mitarbeiter mit der Gestaltung des verfassungsgerichtlichen Verfahrens in Berührung.
Die Unterstützung durch die weiteren Bediensteten des Gerichts ist immens, hinzuweise ist vor allem auf die Bibliothek und die Arbeit der Rechtspfleger, die neben ihren eigentlichen Aufgaben auch alle hinaus gehenden Entscheidungen Korrektur lesen, und dies nicht nur unter rein formellen Gesichtspunkten.
Manche Mitarbeiter vermissen gelegentlich die Verhandlungen, den unmittelbaren Kontakt zu den Verfahrensbeteiligten, oder sogar die persönliche Verantwortung, die ein Richter durch die eigene Unterschrift unter die Entscheidung übernimmt. Auch die zahllosen völlig substanzlosen Eingaben binden unnötig Arbeitskraft und können frustrieren. Dafür gibt es nur bei einigen der Eilverfahren Hektik, ansonsten kann der Mitarbeiter die aufgeworfenen verfassungs- und einfachrechtlichen Fragen tief und gründlich durchleuchten und hat die Zeit, einen umfassenden Entscheidungsvorschlag zu erstellen. Und ganz gelegentlich beeinflusst er die Rechtslage in der Bundesrepublik ein klein wenig mit.
4.
Die Hiwis beim BVerfG sind überwiegend Richter aus allen Fachgerichtsbarkeiten, meist jüngere Kollegen aus den Eingangsinstanzen. Die Verwaltungsgerichte sind etwas überrepräsentiert. Das Gleiche gilt entgegen Art. 36 Abs. 1 Satz 1 GG für einige Bundesländer, wohl wegen der geografischen Lage des Gerichtsortes[12] oder unterschiedlicher Personalentwicklungspolitiken der Länder. Diese ordnen nämlich die Richter ab, nachdem sie ein Bundesverfassungsrichter - gelegentlich - auf Grund eines förmlichen Bewerbungsverfahrens mitsamt öffentlicher Ausschreibung angenommen hat oder - häufiger - sich von einer Landesjustizverwaltung hat vorschlagen lassen oder dort sogar gezielt angefordert hat.
Nur wenige der wissenschaftlichen Mitarbeiter stammen aus der Wissenschaft, sind oftmals Hochschulassistenten, noch weniger beginnen gleich nach dem Zweiten Staatsexamen als angestellte Assessoren. Anwälte sind äußerst selten darunter, was allgemein bedauert wird, jedoch kaum behoben werden kann.[13]
Die Abordnung dauert meist
um die drei Jahre, Tendenz sinkend: Anders als früher bleibt kaum ein Hiwi noch
fünf Jahre, und einige kehren schon nach zweien zurück in ihr Heimatgericht.
Finanziell wird die Abordnung immer noch mit der oberstgerichtlichen Zulage
versüßt, die auf den ersten Blick ganz gut aussieht, jedoch seit 1975
eingefroren ist.[14]
Als Erprobung werden Abordnungen zum Bundesverfassungsgericht und zu den
obersten Gerichtshöfen des Bundes in manchen Ländern anerkannt.[15]
Vor allem aber spricht die Arbeit an einem Verfassungsorgan selbst für eine
Abordnung als wissenschaftlicher Mitarbeiter zum Bundesverfassungsgericht. Sie
ist eine Erfahrung an sich und eine überaus interessante Arbeit, und vielleicht
hilft sie sogar bei der späteren Arbeit in der „eigenen“ Gerichtsbarkeit.
Daniel O’Sullivan
[1] § 13 GOBVerfG. (1) 1Die wissenschaftlichen Mitarbeiter unterstützen die Richter, denen sie zugewiesen sind, bei deren dienstlicher Tätigkeit. 2Sie sind dabei an die Weisungen des Richters gebunden. (2) 1Jeder Richter ist berechtigt, seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter selbst auszuwählen. 2Gegen seinen Willen kann ihm ein Mitarbeiter nicht zugewiesen werden. (3) 1Die dienstliche Beurteilung des Mitarbeiters obliegt dem Richter. 2Der Präsident kann eine eigene Beurteilung anfügen. (BGBl. I 1986, S. 2529).
[2] Thematisiert wurde die Rolle des wissenschaftlichen Mitarbeiters - soweit ersichtlich - allein in dem Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 7. März 1997 in dem Verfahren 2 BvQ 1/97 (juris).
[3] Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein, Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 93b Rn. 11 ff., Stand Juni 2001.
[4] Hendrik Hiwi, Leichen im Keller des Bundesverfassungsgerichts, Nomos-Verlag, 1996; ders., Verfassungslyrik, Nomos-Verlag, 2001.
Herz/Freymann/Vatter (Hrsg.), HIWI 2000 - Die einzig wahre Festschrift oder Was Sie schon immer über den BGH wissen wollten ..., Verlag Alma Mater, 2000.
[6] Art. 25 Satz 2 EMRK i.d.F. des Protokolls Nr. 11 (BGBl. II 1995, 578).
[7] Vgl. Bedürftig, Lexikon Drittes Reich, 1997, S. 160.
[8] Vgl. Roellecke, Roma locuta - Zum 50-jährigen Bestehen des BVerfG, NJW 2001, 2924.
[9] Lamprecht, Ist das BVerfG noch gesetzlicher Richter?, NJW 2001, 419.
[10] Sendler, Kammermusik II, Kammerrechtsprechung und gesetzlicher Richter, NJW 1995, 3291, 3293.
[11] Vgl. hierzu BVerfGE 90, 22, 24 ff.
[12] Anzumerken ist allerdings, dass Karlsruhe, vor allem ob seiner landschaftlichen Lage und seines Klimas, eine Abordnung wert ist.
[13] Dies gilt allerdings gleichermaßen für die Bundesverfassungsrichter.
[14] Vgl. Anlage III zum BBesG, Nr. 2 Abs. 1 i.V.m. Anlage IX zum BBesG, Bundesbesoldungsordnung R, Nummer 2 Buchstabe b sowie Art. 1 § 5 HStruktG (BGBl. I 1975, 3091, 3094.).
[15] Vgl. für Nordrhein-Westfalen AV des Justizministeriums vom 19. Januar 1972 i.d.F. vom 9. Oktober 2002, JMBl. NRW, 238.